Kapitel 9b

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„Wenn sie auch nur in die Nähe des Gitters kommen, werde ich sie bei lebendigem Leibe häuten", zischte sie, als könnte sie ihren Gedanken auf diese Weise Nachdruck verleihen.

Ihre Hand griff nach den Metallstangen des Käfigs, ruckte und zog, ohne große Hoffnung auf Erfolg bei dem Manöver.

„Das bringt doch nichts", flüsterte Lysander tonlos.

Nicht so resigniert, wie man bei derlei Worten vielleicht meinen mochte. Eher erstaunlich klar.

Sie würde sterben. Ja, vermutlich würden die Rebellen genau das mit ihr anstellen, was sie soeben den Rotkutten angedroht hatte.

Der Söldner stieß einen tiefen Atemzug in die feuchtkalte Luft und lenkte seinen Blick auf ihre Haut, sodass sich die Spuren seiner Aufmerksamkeit wie eine Berührung auf ihrem Körper nachzeichneten. Wo sie allerdings eine stechende Form seiner Seelenschwingungen erwartete, irgendeine Form von Groll, Wut oder brennendem Hass, weil er ohne sie gar nicht erst in eine solche Lage geraten wäre ... da spürte sie eine Wärme, die sie einem Mann mit seiner Vorgeschichte nicht unbedingt zugetraut hätte. Ein Söldner sollte in den Schulen für gewöhnlich die Schwächen von derlei Gefühlen gelernt haben, solche Empfindungen am besten mit der Ausbildung durch die Zirkone komplett verlernen. Doch Lysander schien die Wärme in seiner Seele sehr bewusst wahrzunehmen und lenkte die Schwingungen in ihre Richtung, als könnte er mit seiner Geste wahrhaft die Kälte aus den Kellergewölben vertreiben. Das Gefühl seiner Blicke auf ihrer Haut erinnerte Flordelis an einen Becher mit heißer Milch und Honig. Eine Erinnerung an ihre Jugend. Einen guten Freund. Und den Trost, den er spendete.

Ihre Augenlider flatterten für einen kurzen Moment bei dem Gedanken daran, sie müsste sich nur von den Gefühlswogen ihres Mitgefangenen davontragen lassen, um durch die Gitter des Rebellenlagers hinaus in die Freiheit zu gleiten. Sie könnte den Frühling über dem Kronland schmecken, im Gras liegen, die Arme ausbreiten, dem Wind in den Rispen lauschen und sich die Sonne auf den Körper scheinen lassen.

Eine wunderschöne Illusion.

Eine Illusion.

Die Kopfgeldjägerin schluckte.

„Du solltest deine Blicke lieber für nützlichere Dinge verwenden", knurrte sie.

Fest in dem, was sie meinte. Zurückweisend. Ihn daran erinnernd, wie sie sich zueinander verhielten. Zumindest wollte sie das.

In Wahrheit war ihre Stimme kaum mehr als ein heiseres Krächzen ... und sie musste das Gefühl mit einer physischen Bewegung von ihren Schultern schütteln, weil sie sich andernfalls nur zu gern in die falschen Versprechungen einlullen lassen wollte. Es wäre tröstlich gewesen. Seinen süßen Lügen zu glauben. Aber sie war nicht so verzweifelt, den Trost von Marell anzunehmen.

Beim Wetzstein, nein!

Flordelis ignorierte den kurzen Impuls, den die Seelenschwingungen des Söldners in den Raum abgaben. Sie drängte die Wärme von ihrer Haut, straffte die Schultern, den Hals, ihren Rücken und wandte sich gänzlich von Lysander ab. Stattdessen legte sie ihre gesamte Energie in die letzten Reserven ihrer Muskeln und rüttelte an den Gitterstäben des Käfigs, die Augen mit einem Raubvogelblick auf die Verankerungen des Kerkers gerichtet, um jede noch so kleine Regung des Materials im Halbdunkel erkennen zu können. Ihre Finger spürten in die Tiefen des Eisens hinein und suchten nach kleinen Schwachstellen; irgendetwas, dass sie sich im späteren Verlauf der Gefangennahme vielleicht noch zunutze machen könnte.

Doch nichts.

Nichts zu spüren.

Nichts zu sehen.

Die Stäbe des Abflussgitters spiegelten den Schein der Fackeln gerade genug, um sie beim Anblick ihrer nächtlichen Bleibe Ekel empfinden zu lassen. Keine Hinweise auf Fluchtmöglichkeiten. Dafür umso mehr Hinweise auf all diejenigen, die ihnen vorausgegangen waren.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleWhere stories live. Discover now