Kapitel 11b

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Lysander Marell

Sie schoss wie ein Feuersturm durch die Dunkelheit der Katakombenanlage, als könnte sie die Finsternis durch ihre bloße Anwesenheit unterwerfen. Unter ihren Füßen schien das Mauerwerk des alten Tempels vor Demut zu beben, während die Steine unter seinen Füßen eine Erschütterung durch die Jahrhunderte seiner Existenz gehen ließen, um irgendwo in den Strudeltiefen der Zeit selbst zu Trümmern und Staub zu zerfallen, zu Asche zu werden, weil ihr Feuer selbst die Wärme der Fackeln an den Wänden ungültig erklärte. Bei solch einer Beschreibung sollte man meinen, die eintretende Person wäre eine Art heilige Lichtgestalt; gekommen, um die Schwärze des Steinwerks ein für alle Mal auszulöschen. Als wollte sie die Rebellen verbrennen. All das Dunkel mit sich nehmen.

Aber die Person, die so plötzlich in Lysanders Sichtfeld trat ... war alles andere als eine heilige Erscheinung.

Sie erschien ihm eher dämonisch.

Fast schon sündig dämonisch.

Das Feuer, das sie brachte ... glich einer anderen Form der Zerstörung.

Hüftlanges Haar umrahmte den zierlichen Körper wie ein Umhang aus glattem, fließenden Kupfer und floss im Spiel der Lichtverhältnisse beinahe wie flüssiges Metall über den Torso ihrer Rüstung, als wäre sie mit den Gebetsfigurinen der Lehma aus einem Guss gefertigt worden. Der lange Hals schien die anmutige Gestalt noch einmal in die Länge zu strecken, sodass man die Proportionen der Frau durchaus mit den feinen Kunstdarstellungen in den Ausstellungen der Kronstadt vergleichen mochte. Milchig weiß schimmerte der Hautton zwischen den kupferfarbenen Strähnen hervor und bildete einen fast schon geisterhaften Kontrast; das eisige Blau ihrer Augen wie ein Blick in die Seele, als lebte wahrhaftig ein Geist aus Urzeiten hinter der Maske. Alter im Gewand einer schier unglaublichen Jugend. Kalt. Aber listig.

Ja, die Form des Gesichts erinnerte Marell an einen Fuchs. Ein junges Tier, das er vor vielen Jahren immer wieder bei den Abfallsammlungsplätzen des Bordells angetroffen hatte.

Eine solche Assoziation in Fasern seiner Seele hätte durchaus für einen interessanten Wesenszug gesprochen, aber ...

Nein.

Lysander mochte zwar auf seinen Reisen außerhalb des Fürstentums gern mit allerlei Gesichtern ins Gespräch kommen, aus Neugier die Geschichten von unzähligen anderen Leben sammeln ... Doch in jenem Fall verging der anfängliche Wissensdurst äußerst rasch, als ihn das stechende Wasserblau ihrer Iris an die Zellenwand nagelte. Nicht lebendig wie der Zorn und all die anderen Gefühle in der Brust der Juwelendiebin, sondern kalt, eiskalt und irgendwie ... tot.

Instinktiv wich der Söldner einen Schritt nach hinten. So, wie es auch Flordelis getan hatte.

Zwar schien diese Dame nicht mit Unterstützung anderer Rebellen in die Katakombenanlage hinabgestiegen zu sein, doch sprach das blutdürstige Glitzern des Metalls in ihrem Waffengürtel wahrlich Bände darüber, wie wenig sie doch auf eine solche Unterstützung angewiesen wäre. Ihre Finger tippten in einer beunruhigenden Taktfolge auf dem Griffstück auf und nieder, als müsste sie das todeslüsterne Wesen in ihrem Innern bereits in jenen Augenblicken zügeln, um nicht all die Seelen im Umkreis des Tempels in einem wahnwitzigen Feldzug gegen die Heiligkeit zu zerfetzen.

Was Lysander daran am meisten irritierte?

Sie war – zumindest zu großen Blutteilen – menschlich. Seine Seele registrierte den Unterschied sofort. Doch wo er bei den meisten Menschen eine andere Form der Gefühlsströmungen zu lesen vermochte, wo sich die Empfindungen mischten, überschlugen und durcheinanderplapperten ... Da war bei der Frau nichts zu finden.

Absolut nichts.

„Weshalb seid ihr nicht auf eurem Posten? Kein unnötiger Kontakt zu der Gefangenen, solange die Vorbereitungen laufen. Das war ein Befehl."

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleWhere stories live. Discover now