Kapitel 5c

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Lysanders Augen wanderten zurück zu der schlanken Gestalt der Chrysoberyll, die ihn durch ihre bloße Anwesenheit ein weiteres Wechselbad der Gefühle durchleben ließ. Von illegaler Magerey und gestohlenem Glück über die Wut in seinem Bauch und die Tatsachenlage, dass sie abseits all jener Dinge die Neugier in seiner Seele ein wenig zu sehr kitzelte. Seine Blicke versuchten, die Scherenschnitte der Frau im schalen Lichteinfall schärfer zu stellen, in ihrer Miene zu lesen.

Sie hatte vor wenigen Sekunden zwei Männer getötet.

Eine Tat, bei der er selbst grauenvoll empfunden hätte.

Dann flößte sie dem dritten der Männer auch noch illegales Zauberwerk in den Mund und zwang ihn mit bloßen Händen, die Flüssigkeit auf seiner Zunge hinunterzuschlucken. Sie stieß ihn von sich, ließ ihn zwei Schritte nach hinten taumeln, ehe sie eine weitere Klinge aus der Scheide an ihrem Gürtel zog.

All das, ohne mit der Wimper zu zucken.

Mit dem Messer schnitt sie eine Haarsträhne aus ihrer Frisur und drückte sie dem verwirrt dreinblickenden Zirkon in die Hand.

»Du wirst vergessen, was hier geschehen ist«, flüsterte sie eisig. »Du erinnerst dich an dein Vorleben, an die Welt und an den Weg nach Hause, aber du weißt nicht mehr, dass wir uns begegnet sind. Stattdessen wirst du glauben, dass du mich bis in die Glasreiche verfolgt hast. Ich habe deine Kameraden getötet und bin dir entkommen. Ihr wart dicht auf meinen Fersen. So dicht, dass du deiner Fürstin eine Haarsträhne als Beweis bringen kannst. Ein Magyr wird sicher bestätigen, dass dein Mitbringsel mit den Haaren übereinstimmt, die im Palast gefunden wurden. Du akzeptierst deine Strafe dafür, dass du mich nicht töten konntest. Bele wird wütend sein.«

Mit diesen Worten packte sie den Zirkonsoldaten grob bei den Schultern und drehte ihn mit der Blickrichtung gen Süden, stieß ihn ein wenig, drängelte ihn, ehe sie ihn mehrere Schritte in die gewiesene Richtung voranschob. Für einen kurzen Moment schien der Mann die Bewegungsabläufe seiner eigenen Beine vergessen zu haben, als hätte ihm der Trank aus der Phiole sämtliche Denkmuster aus dem Schädel gebrannt. Wie Espenlaub zitterten seine Knie unter dem Gewicht seines Körpers und erinnerten Lysander an das Gefühl, das er selbst vor wenigen Minuten im Würgegriff dieses Zirkons empfunden hatte. Doch er ging vorwärts.

Einen Schritt. Dann den nächsten. Immer weiter in die Richtung, die man ihm vorgab. Immer sicherer, als würde er sich allmählich über das eigentliche Ziel seines Weges klar werden.

Schließlich sanken die Hände der Juwelendiebin tatenlos auf Höhe ihrer Hüften hinunter, während der schwindende Schatten des Häschers allein in die dunkle, dunkle Welt hinausstapfte.

»Ich wünsche eine angenehme Reise«, quittierte die Chrysoberyll.

Es hätte wohl kalt wirken sollen. Abschreckend für Lysander, den sie nicht so einfach fortschicken konnte. Doch unter dem beißenden Kommentar glaubte Marell vielmehr, eine tief empfundene Müdigkeit herauszuhören. Etwas, das über gewöhnlichen Schlafmangel hinausging. Als hätte sich die Frau nach dem Kampf gegen die Männer nicht nur auf einer körperlichen Ebene um ihre letzten Reserven gebracht, sondern eine viel tiefere Schicht ihres Seelenlebens an die Oberfläche gewirbelt, die sich längst auf andere Weise an der Welt und einem solchen Leben ermüdet hatte. Ein Schmerz, den ein Teil seiner Seele wie seinen eigenen nachzuempfinden vermochte.

Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass sie in solch eine Situation geriet. Nicht der erste Kampf. Nicht der erste Trank.

Er verstand.

Offenbar befand sich in der illegal erworbenen Flüssigkeit ein Zauber, der die Männer auf ihren Fersen im schlimmsten Fall der Fälle alles vergessen lassen konnte. Die Verabreichung des Mittels kam eher einer verzweifelten Suche nach einem Ausweg gleich, weil ihre Flucht vor der Realität nicht erst mit ihrer Flucht aus dem Palast der Zirkonfürstin begonnen hatte.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer Seeleजहाँ कहानियाँ रहती हैं। अभी खोजें