Kapitel 11a

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Flordelis Vanyeridis

„Was ist hier los?"

Die Frauenstimme hallte wie ein unterirdisches Donnerwetter durch die Kelleranlagen des Tempels und erschütterte die Steine bis in den Kern der Erde unter den Füßen der Kopfgeldjägerin.

Sie zuckte von den Gitterstäben zurück.

Ein Schritt nach hinten, um Abstand zwischen sich und die Wachmänner zu bringen.

Dabei war die Stimme gar nicht von den Lippen der beiden Rotkutten geflossen, sondern vielmehr von den Wänden des Gebetskellers an ihre Ohren gedrungen; so plötzlich, so allgegenwärtig im Raum, dass man meinen mochte, die Frage wäre tatsächlich von den Jahrhunderte alten Stimmen in den geschliffenen Mauerblöcken gekommen. Die Tonfolge so glockenhell und lieblich, dass man nur allzu gern in den Wogen ihrer Melodie versinken wollte, so schön und so klar, dass sie an das Plätschern der klaren Gebirgsbäche in den Donnerbergen erinnerte. Doch die Frage darin erschien der Kopfgeldjägerin mehr wie ein Dolchstoß, der sie vollkommen unerwartet zwischen die Rippen traf.

Ohne zu zögern. Ohne Gnade.

Direkt. Unvermittelt. Knallhart.

Flordelis musste sich nach dem Durcheinander ihrer Gefühle erst einmal einen Atemzug stehlen, ehe sie verstand, dass die Härte der Stimme gar nicht ihrem Verhalten gegolten hatte. Die Köpfe der Rebellen schnellten wie ein Spiegelbild des jeweils anderen zu einem Punkt außerhalb des Sichtfelds der Zelle herum und erstarrten dann auf ihren Hälsen zu einem Ausdruck, der den toten Blicken der Figurinenköpfe auf dem Boden nicht unähnlich war. Zur selben Zeit schienen unter dem blicklosen Schleier Gefühle zu liegen, die von der Kopfgeldjägerin noch nicht vollständig mit der Situation übereingebracht werden konnten.

Wut. Verachtung.

Angst?

Die Reaktion der beiden Wachmänner ließ die Kopfgeldjägerin darauf schließen, dass sich die geisterhaften Worte aus den Wänden wohl eher gegen die Rotkutten richteten.

Ihr Verstand raste. Noch immer zu viel.

Zu viel, das in ihrem Inneren gärte.

Marell hatte sie davor bewahrt, sich darin zu verlieren, und dieser Widerling ...

Sie hatte ihn angespuckt.

Er hätte weit Schlimmeres verdient.

Aber wenigstens fühlte sich ihre Reaktion auf die Aussage des Mannes wieder wie etwas an, dass eine Flordelis Vanyeridis in solch einer Situationslage tun würde. Nicht wie die Reaktion einer vollkommen anderen Person, die an der Dunkelheit der Katakombenanlage zu einer leeren Hülle niederbrennen würde.

Sie zitterte. Es wollte und wollte und wollte nicht aufhören.

Ebenfalls Wut und Verachtung und Angst.

Dennoch ... Es war gut.

Es war zumindest irgendetwas. Eine Reaktion, die sie nach all dem einzuordnen vermochte.

Es war, wie ein Körper nun einmal unter dieser Art von Stress reagierte ...

Es ...

Flordelis' Muskulatur spannte sich wie ein Bogen vor dem alles entscheidenden Schuss. Sie drängte die Worte der Wachmänner von sich, versuchte, ihre folgenden Handlungen nicht mehr einer bloßen Impulsreaktion entspringen zu lassen. So, wie sie in einer Auseinandersetzung auf Leben und Tod eine klare Richtung für all das benötigte, was in den wenigen Augenblicken zwischen den Klingen nicht von Bedeutung war.

Sie war nicht mehr allein mit Lysander.

Das war es, worauf sie sich nun fokussieren sollte.

Da waren Rotkutten. Zwei. Und so wie sie den Klang der Stimme aus den Wänden interpretierte ... befand sich mindestens eine weitere Rotkutte auf dem Weg.

Ihre Blicke folgten der unsichtbaren Fokuslinie der beiden Wachmänner durch die Dämmerung bis hin zu dem Punkt, der durch die Nischenform der Zelle von einer dicken Steinwand verdeckt wurde. In den wechselnden Lichtverhältnissen der Fackeln verschleierten sich die Formen des Raumes, zogen sich hinter dem Wald aus Stützbalken in alle Richtungen und dann wieder in keine, sodass die Zugänge des Gewölbes nicht in den Schatten auszumachen waren. Flammenlichter tanzten auf den Steinen mal in die eine, mal in die andere Richtung und spielten mit den herabgestürzten Trümmerteilen des Bauwerks, sodass man tausend und keinen Eingang zwischen den Säulen zu sehen vermochte. Es wäre gut möglich gewesen, dass Flordelis einen zusätzlichen Treppenabstieg bei ihrer Ankunft übersehen hatte. Einen Zugang, der wohl genau in der Blickrichtung der Rotkutten und hinter den bröckelnden Mauern der Kerkernische liegen mochte.

Denn die Stimme war sicherlich nicht aus den Steinen gekommen. Die Reaktion in den fahlen Gesichtern der Wachen? Ganz bestimmt keinem Geist aus dem Tempel zuzuschreiben. Nein, die Ausdrücke in den verhärteten Mienen erschienen doch sehr irdisch, wenn man das Verlangen in den Augen des einen besonders gewichten wollte. Es war in jeder Faser zu lesen. Dieser Mann schien ebenfalls jemanden anzuspucken zu wollen und sein Gefühl richtete sich nicht auf die Kopfgeldjägerin. Wer auch immer dort nahte, er war nicht beliebt.

Sie war nicht beliebt, diese Frau.

Nein, mehr als das.

Mindestens einer der Männer verachtete sie.

In jeder anderen Lage wäre der Umstand in Flordelis' Augen genug gewesen, um die Frau zumindest in einem Punkt zu respektieren. Nun jedoch ...

Sie wappnete sich.

Wussten die Schöpfer, was die Dame mit den Gefangenen vorhatte.

Hinter ihr stieß Lysander Marell einen scharfen Atemlaut in die Düsternis der Zelle, als die schmatzenden Schritte die Räumlichkeiten der Tempelanlage mit einer Präsenz füllten, die ihnen zuvor noch nicht unter den Rotkuttenrebellen begegnet war.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt