Kapitel 9a

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Flordelis Vanyeridis

Die Rebellen wussten längst, was sie war.

Spätestens als man Lysander mit den Worten „Scheiß Sympathisant" hinter ihr in die Zelle geworfen hatte, war ihr klar, dass sie den Sonnenschal nicht länger über ihrem Gesicht halten musste. Sollten die Rotkutten ihre Herkunft nicht bereits in den ersten Sekunden an ihren Augen gelesen haben, so war ihnen der Einfluss der Chrysoberyll sehr bald ins Bewusstsein gelangt.

Da halfen auch die Mühen des Söldners nichts, die Aufmerksamkeit der Männer auf seine Person zu lenken. Er hatte es versucht. Mehrfach. Von mangelnder Gastfreundschaft hatte er gepredigt, als sie sich durch das Buschwerk kämpften. Von ungehobelten Sitten, während er seinen Körper stets wie einen Schild zwischen Flordelis und den Rebellen zu halten versuchte. Aber viel war ihm nicht möglich gewesen, zumal er die Männer andernfalls wohl eher mit der Nase darauf gestoßen hätte, dass sich unter der Tuchbedeckung der Kopfgeldjägerin eine Chrysoberyll verbarg.

So oder so.

Sie hatten es bemerkt.

Zwar hatten die Rotkutten bis zur Ankunft in ihrem Lager kein Sterbenswort darüber verloren, doch alles an ihrem Verhalten ließ seit den ersten Wegmetern darauf schließen.

Sie wussten es.

Sie war eine Chrysoberyll und Marell ein Sympathisant. Es gab keine Fragen. Es war einfach so.

Der Begegnung mit den Rebellen folgte ein halbstündiger Gewaltmarsch durch das hochgewachsene Buschwerk des Hains, kombiniert mit den scheuernden Fesseln an ihren Handgelenken – selbstverständlich ohne den Beistand ihrer Waffen, die man ihnen zuvor aus jeder Falte ihrer Gewandungen pulte. Hätte Flordelis nur den Hauch einer Chance darin gesehen, sich mit Tricksereien aus den Fesselstricken an ihren Händen zu winden ... Nun, die Rebellen gingen nicht unrecht in ihren Vorkehrungen, die Waffen noch vor ihrer Eskorte durch den Wald zu entfernen. Aber selbst mit ihren Waffen wäre die Kopfgeldjägerin das Risiko einer unmittelbaren Konfrontation nicht eingegangen, da sie wusste, dass sie gegen eine solche Menge an Rotkutten allein oder mit Lysander ihr Leben verloren hätte. Selbst wenn es ihr gelungen wäre, dem einen oder anderen Mann das Glück zu rauben ... Es hätte nichts geändert. Zu viele, die sie erschlagen oder erschießen würden.

Also warten. Sich fügen. Hoffen. Folgen.

Die Truppe war ohne Zwischenfälle zu ihrem Ziel gelangt.

Das Ironische daran?

Bei ihrem Ziel handelte es sich um ebendie Ruinenanlage, in der die Kopfgeldjägerin bei ihren Streifzügen durch das Kronland mehr als einmal übernachtet hatte. Genau die Ruinenanlage, die sie mit Lysander im Schlepptau als Rastplatz für die Nacht auszuwählen gedachte.

Selbst mit dem Tod vor Augen erinnerte sie sich noch genau an den einen Moment, als sie die Anlage vor einigen Jahrzehnten mitten im Wald entdeckte.

Hohe Mauern von Steinwerk stemmten sich aus dem überwucherten Waldgrund in den Himmel hinauf und machten den Bäumen am Rande der Lichtung Konkurrenz, indem sie nicht nur den Höhenmeter des Bewuchses sondern auch die Jahrhunderte ihrer Existenz überragten. Während die Zeit mit den Jahren das Leben aus dem Gemäuer verschluckte, strotzten die Rillen und Ritzen des Baumonuments nur so vor Lebendigkeit, boten einen Lebensraum für viel kleinere Bewohner des Kronlands. Seien es Mäuse oder Pilzbewuchs. Feuchtglitzernde Ranken sammelten den Tau aus den Bergen auf dem Stein und bedeckten die unnatürlichen Formen mit einem Teppich, der dem Wald die Macht über diesen Ort zurückzuverleihen schien. Als hätte sich die Natur zurückerobert, was dereinst von den Baumeistern ihrer Kontrolle entzogen worden war.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleWhere stories live. Discover now