Kapitel 4c

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Hinter ihr stieß Lysander Marell ein unterdrücktes Grollen in den Himmel und stieß mit Schwung gegen ihren Rücken, sodass sie beinahe auf geradem Weg in die Arme ihres Gegners gestolpert wäre. Flordelis strauchelte zwei Schritte aus ihrer Angriffsposition nach vorn, zischte ihrerseits ein halbes Fluchvokabular über die Lippen und sammelte sich nur mit Mühe in einer neuen Position, während ihre Füße den rutschigen Boden irgendwie auszugleichen versuchten.

Dann war die unmittelbare Nähe von Marells Körper nicht mehr spürbar.

Obwohl sie noch vor wenigen Minuten bei allen Schöpfern unter den Donnerbergen geschworen hatte, sich nicht von den unglücklichen Umständen ihres Opfers aus dem Konzept bringen zu lassen, musste sie einfach einen kurzen Seitenblick über die Schulter riskieren.

Nicht unbedingt, weil sie nur die neue Zahl ihrer Gegner abschätzen wollte.

Nicht, um ihren eigenen Rücken zu schützen.

Sie hätte es wohl vor einem anderen niemals offen zugegeben, doch ...

Es war Schuld. Etwas, das an ihr nagte. Selbst, da ihr Selbsterhaltungstrieb innerlich aufschrie ...

Sie fühlte sich auf gewisse Weise für den Unglückspilz verantwortlich.

Flordelis wehrte den nächsten Angriff des Zirkons mit einer schnellen Seitenblockade von ihrem Oberarm ab und ließ die Klinge ihres Gegners über eine seitliche Halbdrehung in den leeren Raum zu ihrer Seite gleiten, sodass sie ihren Angreifer in eine geschicktere Position bugsieren konnte. Die Waffe des Mannes schleifte mit einem wütenden Sirren über das Metall in ihren Händen und schnitt sich seinen Weg zischend an ihrem Körper vorbei durch die Nacht, um mit einer Bogenbewegung wieder zu seinem Meister in Angriffshaltung zurückzukehren.

Schmatzende Geräusche begleiteten die Ausgleichsschritte, als sich das Duell von seiner ursprünglichen Position zur Seite verlagerte.

Mit einer weiteren Vierteldrehung könnte die Kopfgeldjägerin ihren Kampf so positionieren, dass sie ihm bei einem Blick zu Marell nicht gleich den ungeschützten Rücken präsentierte.

Sie wünschte ihm vieles, aber keinen unfairen Tod.

Sie hätte ihn selbst erwürgt, ja, aber ihn glücklos in ein Schwert stürzen zu sehen ... Es wäre auf gewisse Weise immer ihre Schuld gewesen.

Ihre Schuld.

Attacke. Block. Block. Wieder eine Attacke.

Ihr seitwärtsgerichteter Hieb wurde von einer harten Zirkonklinge blockiert, als sie die Duellrichtung ein weiteres Mal zu verlagern versuchte. Stattdessen sauste das Metall des Gegners in die entgegengesetzte Richtung, als wollte er das Manöver der Kopfgeldjägerin im Keim ersticken.

Block. Attacke. Block. Block.

Vierteldrehung.

Flordelis erzwang den Richtungswechsel mit einem gewaltigen Sensenschwung nach dem Kopf des Truppenführers, der seinerseits nur mehr zur gewünschten Duellseite auszuweichen vermochte. Ihre Schwertklinge brauste wie ein fallender Tod von oben am Körper des Gegners vorbei und schlidderte so haarscharf an einem Schultertreffer vorbei, dass sie den Schwung ihrer eigenen Waffe nur mit Mühen vor einer Kollision mit dem Matsch aufhalten konnte. Die Bewegung zog ihren Körperschwerpunkt aus dem Gleichgewicht, ließ sie mit ihrem Oberkörper hinter der langen Klinge vornüber kippen, ehe ihre Füße wieder festen Halt auf dem Schlammboden fanden.

Block.

Doch noch ehe die Kopfgeldjägerin ein klares Bild von der Situation zu ihrer Linken bekommen konnte, schnitt ihr der Truppenführer der Häscher mit seinem Schwert in den Weg. Er nutzte den Moment ihres Strauchelns für einen schnellen Schritt in Richtung der anderen Kämpfer, zwang ihre Wachsamkeit auf das todbringende Eisen in seinen Händen ... und auf seinen Körper, der nun einen großen Teil des Aufmerksamkeitsbereichs vor ihr einnahm. Zur selben Zeit schien er seine Standposition sehr genau so zu kalkulieren, dass die anderen Kämpfenden am Rand ihres Sichtfelds als Schemen erkennbar blieben.

Ein Grinsen löste den angestrengten Ausdruck in seinen Zügen ab. Er glaubte, in Lysander Marell ihre Schwachstelle gefunden zu haben ...

Im Grunde ... lag er damit nicht ganz im Unrecht.

Obwohl sie ihren Fokus bei aller Liebe zu ihrem Leben doch voll und ganz auf den Todestanz der Klingen richten sollte, obwohl jede ihrer Zellen gegen die törichten Seitenblicke zum Himmel schrie, analysierte ein Teil ihres Bewusstseins die Positionen der anderen Kämpfer aus dem Augenwinkel. Beinahe hätte ein Teil ihres Unterbewusstseins sogar ein hörbares Aufatmen aus ihren Lippen dringen lassen, als sie zwei Männer im aufrechten Stand registrierte. Zwar konnte sie die Situationsgrundlage nicht mehr in allen Details nachverfolgen, doch registrierte sie, dass keine Waffen mehr in den Händen der Männer zu sehen waren.

Etwas hatte dazu geführt, dass sie sich gegenseitig entwaffneten.

Der Unglückspilz Marell?

Nun ohne sein rettendes Distanzwerkzeug.

Wahrscheinlich hatte er einen Schlag mit der blanken Faust abbekommen, zumal sie keine offensichtliche Fehlhaltung durch eine Verstümmelung zu erkennen vermochte.

Er lebte.

In einer unglücklichen Situation, zumal der Mann vor ihm nach einer weiteren Waffe an seinem Gürtel zu tasten schien ...

Aber noch lebte er.

Fast schon unverschämtes Glück für einen so Unglücklichen, dass er bis zu diesem Punkt gekommen war.

Flordelis wollte gerade über die Tatsachenlage stutzen, da ...

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleWhere stories live. Discover now