Kapitel 9c

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Flordelis ließ ihren Hinterkopf ein weiteres Mal gegen die Zellenwand fallen – dieses Mal so hart und frustriert und zerstört, dass sie sich beinahe wünschte, der Aufprall möge sie wenigstens bewusstlos werden lassen.

Das tat er nicht.

Stattdessen fing sich ihr wirrer Blick wieder an den Gesichtszügen des Söldners, der sich aus irgendeinem Grund an einem bittersüßlichen Lächeln mühte. Immerhin folgte dem seltsamen Gesichtsausdruck kein weiterer Versuch an emotionaler Kommunikation zwischen ihren Seelen und auch keine Bemerkung zu ihrem Verhalten, kein Kommentar zu der Rolle oder sonst irgendetwas. Wobei sie sich sicher war, dass auch er die Aufregung der Rotkutten zu deuten wusste.

Nein, sein Lächeln löste sich nur Millisekunden später wie ein flüchtiger Schemen von seinen Zügen und entblößte einen Spiegel seiner Seelentiefen, ruhig und klar, als hätte er in der Zwischenzeit seine Gedanken und Gefühle zu einem Strom gebündelt. Seine Augen lagen nun ohne emotionale Konnotation auf ihren Zügen und musterten die Reaktion darin mit einer Art, die Flordelis sonst eher den Wissenschaftlern in den Bibliotheken und Schulen der Lehma zugeschrieben hätte.

Ein Gefühl, als würde mit einem Blick in den wahren Kern des Söldners sehen können ... und zur selben Zeit so überhaupt nicht ihn wahrnehmen, sondern einen anderen Zustand, in den er sein Ich gehoben hatte. Ein Bild, das sich nun viel eher mit den Erfahrungswerten deckte, die Flordelis in ihren Jahren mit Männern aus den Zirkonschulen sammelte.

Er hatte etwas mit sich ... getan.

Etwas, das sie nicht zu benennen vermochte.

Etwas, das sie nicht zum ersten Mal sah.

Und so sehr sie diese Fähigkeit in ihrer Situation auch beneiden wollte ... Etwas in ihr beneidete ihn gar nicht darum.

Weil der Zustand nicht wie etwas wirkte, das man erlernte. Bei Lysander erschien er vielmehr wie etwas, das man ihm angetan hatte.

Der Söldner aus dem Süden brach nicht ein einziges Mal mit dem Augenkontakt, als Flordelis den klaren Strom seiner Seele wie ein greifbares Objekt umklammerte, ihn festhielt, nach Anhaltspunkten in den Strömen zu forschen versuchte. Er erwiderte die harsche Musterung mit einer solch klaren Aura, dass die Kopfgeldjägerin beim Anblick seiner Züge das Gefühl nicht loswurde, an jedem nur erdenklichen Punkt von seinen Gefühlen abzurutschen – ganz gleich, wie sehr sie sich in der seltsamen Atmosphäre festkrallen mochte.

„Ist dir aufgefallen, wie viele Lehma in ihren Reihen waren?", flüsterte er.

Flordelis hätte nicht einmal sagen können, woher er die Luft für diese Frage nahm. Oder weshalb es sich so seltsam anfühlte, dass er nun das Schweigen ihrer Blicke mit Worten brach.

Für einen kurzen Moment musste sie ihre eigenen Gedanken neu sortieren, sich durch die Irrungen und Wirrungen der Gefühle kämpfen, die der Kerker, die Rotkutten, ihre Erinnerungen und der Anblick der magyschen Fernübertragung in ihr ausgelöst hatten.

Ist dir aufgefallen, wie viele Lehma in ihren Reihen waren?

Die Rebellen. Ja, richtig. Flordelis nickte.

Langsam, aber sie tat es.

War es nicht das, womit sie ihren Verstand noch vor wenigen Minuten selbst beschäftigen wollte? Möglicherweise hatte Lysander gar nicht so unrecht darin, die unglückliche Fügung ihres Beisammenseins ein weiteres Mal mit Worten zu füllen. Möglicherweise war es nun wirklich gleich, ob sie sich den Kopf über Fluchtmöglichkeiten zerbrach oder nicht, an magysche Rollen dachte oder sonst überhaupt etwas tat – nun, da die Rotkutten ihre Passage in die Freiheit zu zerstören versuchten. Nicht zu sterben, wie es den Rebellen lieb war ... Das mochte eine Sache sein.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleWhere stories live. Discover now