Kapitel 3a

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Der Fremde

Sie hatte ihm sein Glück gestohlen, verflucht!

Als der Fremde hinter der Juwelendiebin über die Schwelle des Wegehauses in den abenddämmernden Kiefernwald stolperte, ließ ihm die hereinbrechende Kälte auf ganz andere Weise die Wärme aus den Gliedern entschwinden. Nicht etwa, weil der Atem der Schöpfer in den späten Sommertagen bereits von Schnee in den höhergelegenen Gipfelregionen zeugte oder weil sein Überwurf nicht für die Temperaturen in diesen Regionen des Landes gefertigt worden war ... sondern weil er wusste, dass er nach der verhängnisvollen Begegnung mit dieser Frau ein vollkommen anderes Leben führen würde. Er würde an Unglück leiden. Falls er überhaupt die Nacht überlebte, sollte sie ihm sein Glück nicht zurückgeben wollen.

Er hätte es besser wissen sollen, als ihr zu helfen.

Er hätte es besser wissen müssen!

Aus irgendeinem Grunde hatte ihm der Gedanke widerstrebt, dass die Häscher den Kopf einer so beeindruckenden Diebin in einer Schatulle zurück an den Hof schickten. Seine Faszination für ihr Vorgehen in den Räumlichkeiten des Palastes verleitete den Fremden zu dem törichten Wunsch, ihr bei der Ausführung seines Auftrags zumindest das Leben zu lassen. Es wäre vielleicht möglich gewesen, sie ohne eine Berührung zu überwältigen. Sie zu seiner Auftraggeberin zu schleifen und den Lohn zu kassieren. Ein Seil hätte es vermutlich getan. Aber sie zu berühren ... nun, er sah ja die Konsequenzen seiner Naivität.

Beinahe hätte er sich als Freund der Juwelendiebin ausgegeben. Hätten die Häscher der Fürstin die Zielperson ohne einen Begleiter in der Schänke des Wegehauses angetroffen, wäre der Kampf am nächsten Morgen in den Verwinkelungen des Waldes nicht zu verhindern gewesen. Sicher, die Diebin wäre dank ihrer Fähigkeiten wohl kein einfaches Ziel für die Männer geworden, zumal sie ganz offensichtlich nicht mit dem Einsatz ihres Seelendurstes zögerte.

Aber weshalb überhaupt einen Kampf entstehen lassen? Weshalb, wenn sie zusammen doch viel eher ein Gemenge hätten vermeiden können?

Zumindest war das sein Gedanke gewesen.

Ein Gedanke, den sie nicht zu teilen schien.

Die Juwelendiebin stapfte mit zusammengeballten Fäusten durch den Matsch in die Nacht und vergrub ihre Fingernägel dabei so tief in den Handinnenflächen, dass der Fremde ihre Wut gar nicht erst in den Schwingungen ihrer Seele lesen musste. Ein unübersehbarer Knoten aus Zornesgefühlen folgte ihr wie ein Schatten auf den Platz vor dem Wegehaus und nahm dem liladämmernden Himmel über den Scherenschnittformen der Wipfel jede Schönheit. Die Abendstimmung wich vor den angespannten Schritten der Frau in den Wald. Dem Fremden war, als würde selbst das weit entfernte Zirpen der letzten Sommergrillen verstummen.

Sie wandte sich nicht nach ihm um, würdigte ihn nicht eines Blickes. Für gewöhnlich ein törichtes Verhalten für eine gesuchte Frau, doch hatte sie wohl keinen gelungenen Angriff mehr durch ihn zu befürchten. Zudem war er sich sicher, dass ihre Ohren im Falle eines Falles sehr genau auf seine knartschenden Schrittgeräusche im Matsch lauschen würden.

Er hätte sich selbst ohrfeigen können.

Nicht nur, dass er die Zornesgefühle der Juwelendiebin nach den Ereignissen in der Taverne nachzuvollziehen vermochte ... nein, er selbst war auch mehr als wütend auf seinen törichten Einfall. Seine Fingerspitzen kneteten sich wie besessen durch die Lederverstärkung des Speers in seiner Rechten und hätten die Bänder vermutlich von ihrem hölzernen Kern gepult, wenn er seine Kraft nicht in ein letztes bisschen Selbstbeherrschung investiert hätte. Seine Eingeweide zogen sich bei dem Gedanken an die kommende Begegnung unlängst zu einem Klumpen zusammen und drückten ihm sein Abendmahl zurück in die Kehle, bis er vor lauter Wut auf sich selbst nur noch Galle auf der Zunge schmeckte. Zeitgleich war er nicht zu verhindern in der Lage, dass sich seine Gereiztheit auch auf die Chrysoberyll projizierte.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleOù les histoires vivent. Découvrez maintenant