Kapitel 1c

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Die Kopfgeldjägerin

Flordelis blinzelte über die Spur der Aufmerksamkeit hinweg, die sich mit einem Mal doch sehr deutlich auf ihre Gesichtszüge brannte. Nur ein weiterer Streifblick über den Körper des Fremden genügte ihr, um den Hauch einer Emotion auf seinen Lippen lesen zu können.

Ein Schmunzeln.

Nicht sadistisch oder mörderisch, wie man es wohl bei einer solchen Vor-Konfrontation erwarten würde. Vielmehr ... zugestehend. Respektierend. Ein Zeichen, dass sich hinter der Maskerade mehr als nur Mordgedanken verbargen.

Hätte man die Kopfgeldjägerin in ebenjenen Sekunden nach ihrem zweiten Eindruck gefragt, so hätte sie wohl bei aller Liebe zu den Schöpfern unter den Donnerbergen niemals zugegeben, dass der kurze Moment der Nahbarkeit durchaus ihr Interesse für den Söldner aus dem Süden weckte. Doch im tiefsten Kern ihrer Seele konnte sie die Neugier in ihren Seelenschwingungen nicht verleugnen, als der Gesichtsausdruck des Fremden ihren ersten Eindruck so vollkommen zu verändern schien. Sie zwang jeden ihrer Gedankengänge hinter einen meterhohen Zaun zurück, ließ ihn nicht einen davon in der Luft erhaschen.

Aber sie waren da. Die Fragen.

Wer er war, dieser Mann.

Wer war er, in einer solchen Situation ein Schmunzeln durchblitzen zu lassen?

Flordelis lenkte ihre schweifenden Blicke mit verengten Augen zu dem Fremden auf der anderen Seite des Raumes, der sich nun mit einer langsamen Bewegung das Tongefäß in seinen Händen zu den Lippen führte. Zwar wusste sie die Fragen in ihrem Innern hinter dem gewohnt kalten Desinteresse zu verschleiern, doch ließ sie nun keinen Zweifel mehr an der Richtung ihrer eigenen Aufmerksamkeit.

Sie sah ihn unverwandt an. Musterte ihn.

Unverschleiert. Unverhohlen.

Er pustete in Seelenruhe auf die Oberfläche seines Kräutertees und verwirbelte die aufsteigenden Dampfwolken mit seinem Atem, als würde er sich überhaupt nicht an der Intensität ihrer Blicke auf seiner Haut stören. Er setzte den Rand des Tongefäßes mit gespreizten Fingern an seine Lippen, hielt einen Moment inne, atmete ein, atmete aus und ließ dann mit einem genießerischen Glitzern in seinen Augen einen großen Schluck des Gebräus über seine Zunge gleiten. Die Abstellbewegung glich beinahe einer Zeitlupenversion der anderen Regungen, als hätten die Schöpfer für einen kurzen Moment den Atem der Zeit gehalten.

Dann streifte sein Blick den von Flordelis. Fast hätte sie selbst den Atem angehalten.

Raubtier oder Beute?

Wer war sie selbst in dieser Konstellation?

Vor wenigen Minuten hätte sie noch geglaubt, dass sie die Antwort erst im Verlauf der Nacht erhalten würde ... Wäre da nicht in ebendiesen Momenten die Silhouette eines Vogels vor dem Buntglasfenster des Wegehauses aufgetaucht ... Und wäre die seltsam trubelnahe Erscheinung nicht mit dem Umstand einhergegangen, dass der Mann fast zeitgleich mit dem Eintreffen des Falken jedes Interesse für seinen Tee verlor.

Von einer Sekunde auf die nächste erhob sich der Fremde.

Er stand auf ... und bewegte sich in einer schnurgeraden Linie durch den Raum.

Sein Ziel: der Tisch der Kopfgeldjägerin.

Ein Schwert aus Rabenblut: Der Durst einer SeeleWhere stories live. Discover now