Kapitel 1: Die Notabhaltebucht

1.7K 6 0
                                    

Hallo, ich bin Anne und ich möchte euch meine Geschichte erzählen. Ich bin seit vorgestern sechs Jahre alt und ich habe einen großen Bruder, Mark, der wird im Juni acht und geht schon in die 2. Klasse. Meine kleine Schwester Maren ist seit drei Monaten zwei Jahre alt und geht auch seitdem in den Kindergarten. In unserem Bundesland haben wir das Glück, dass für alle Kinder ab zwei Jahren der Kindergarten kostenlos ist.

Ein bisschen zur Vorgeschichte: Ich bin mit etwa 3 Jahren trocken geworden, wie das ja bei vielen Kindern ist. Allerdings gibt es ja Kinder, die sind, wenn sie ein paar Tage aus den Windeln raus sind, „staubtrocken". Damit meine ich, sie haben nie Pipi-Unfälle, weder tags noch nachts und merken immer frühzeitig, dass sie aufs Klo müssen, sodass auch mal noch eine Viertelstunde Zeit ist, wenn sie sich melden. So ein Kind ist mein großer Bruder. So bin ich leider nicht. Für nachts habe ich eine Schutzmatte im Bett, weil mein Bett in den letzten Jahren so etwa alle drei Wochen nass war. Das ist natürlich nur ein Durchschnittswert, es kam auch vor, dass es mal zwei Nächte hintereinander waren. Tagsüber habe ich sogar deutlich mehr Unfälle. Besonders wenn ich ins Spielen vertieft bin, merke ich es erst sehr spät, wenn ich aufs Klo muss. Manchmal kommt es dann vor, dass es kurz vor dem Klo zu spät ist. Aber auch in anderen Situationen merke ich es sehr spät. Das kann dann schon mal schwierig werden, wenn ich beispielsweise beim Einkaufen plötzlich muss. Da sind wir dann schon oft zur Kundentoilette gerannt und haben den Einkaufswagen mitten im Laden stehen lassen. In den letzten Jahren hatte ich meist so zwei Unfälle pro Woche. Wir haben deshalb immer Ersatzkleidung im Auto liegen und im Kindergarten hängt bei mir am Haken immer mal wieder eine Tüte mit der nassen Wäsche.

Heute haben wir meinen Kindergeburtstag gefeiert. Wir waren in einem Indoor Spielplatz. Es war toll. Eigentlich wollte ich am liebsten im Schwimmbad feiern, aber Mama hat gesagt das geht erst, wenn alle Gäste richtig gut schwimmen können. Leider brauchen mehr als die Hälfte meine Freundinnen noch Schwimmflügel. Die anderen haben im Schwimmkurs letzten Winter das Seepferdchen gemacht oder haben es zumindest versucht. Ich bin die einzige, die schon richtig gut schwimmen kann. Ich kann das sogar besser als mein großer Bruder. Das Seepferdchen habe ich kurz vor meinem fünften Geburtstag gemacht und im Herbst, am letzten Tag, an dem das Freibad offen hatte, habe ich meinen Freischwimmer gemacht. Brrr, war das Wasser kalt. Eigentlich heißt der ja ‚Jugendschwimmer Abzeichen Bronze' aber alle sagen Freischwimmer. Weil ich so gerne ins Schwimmbad wollte, waren wir da an meinem Geburtstag. Aber halt nur mit meinen Geschwistern. Wir sind direkt los gefahren, als mein Bruder Schule aus hatte und ganz lange geblieben bis es dunkel wurde. Gestern haben wir dann ausschlafen können, es war ja Samstag.

Jetzt sitze ich in meinem Kindersitz. Neben mir sitzt Annika, meine beste Freundin. Die hat nur eine Sitzerhöhung, keinen richtig großen Kindersitz. Mehr würde in der Mitte auch nicht rein passen. Ganz rechts sitzt Maren. Die hat noch so einen Kindersitz mit einem Kissen vor dem Bauch. Mein Bruder sitzt auf dem Beifahrersitz. Auch auf einer Sitzerhöhung. Meine Mama sitzt auch im Auto. Ratet mal wo. Okay war ein doofes Rätsel. Wo sollte sie wohl sonst sitzen? Die ist ja die einzige, die fahren kann und mehr Sitze haben wir ja nicht. Deshalb sind meine anderen Freundinnen bei Papa im Auto, der fährt vor uns. Und die Mama von Pia fährt das dritte Auto, aber die sind fünf Minuten vorher los gefahren, die mussten ja nicht noch das ganze Partyzubehör einladen.

Links neben uns fährt ein Sportwagen vorbei. Der ist voll laut. Und unser Auto fängt an zu vibrieren von dem Lärm. Huch, jetzt merke ich plötzlich, dass ich ganz dringend Pipi muss. Das kommt bestimmt von dem Vibrieren.

Anne: „Mama, ich muss ganz dringend Pipi."

Beate: „Anne, wir sind auf der Autobahn, ich kann hier nicht einfach anhalten. Warum warst du denn vor dem Losfahren nicht mehr auf dem Klo? Ich hatte dich doch Pipi machen geschickt."

Ja Mama hatte mich heute ungefähr immer, wenn ich zu unserem Tisch kam, erst mal Pipi machen geschickt.

Anne: „Aber ich war doch Pipi machen während du unseren Tisch abgeräumt hast, aber da kam fast nichts. Ich muss wirklich ganz dringend."

Beate: „Hier ist nicht mal ein Standstreifen. Ich glaube die nächste richtige Möglichkeit zum Anhalten dauert noch eine Viertelstunde."

Ich fange an zu weinen.

Anne: „Mama, so lange kann ich es nicht mehr halten."

Beate: „Nicht erschrecken, ich muss gleich ziemlich kräftig bremsen"

Mama bremst ziemlich kräftig und schaltet den Warnblinker ein und lenkt nach rechts.

Beate: „Das ist eine Nothaltebucht, hier ist echt wenig Platz. Annika, Mark, ihr bleibt angeschnallt und lasst die Türen zu. Ihr dürft jetzt keinen Quatsch machen. Ich bin gleich wieder da."

Wir kommen ziemlich schnell zum Stehen.

Beate: „Anne, du lässt die Tür zu, die mach ich auf. Aber schnall dich schon mal ab."

Mama steigt aus. Ich schnalle mich ab. Mama macht in dem Moment die Tür auf und nimmt direkt meine Hand. Normalerweise steige ich selbst aus dem Auto, aber hier ist es wohl irgendwie anders. Mama ist ziemlich angespannt. Ein Stück neben uns rast ein riesiger LKW an uns vorbei. Der macht ziemlich viel Wind. Wir gehen hinter dem Auto vorbei.

Anne: „Wo soll ich denn hier Pipi machen? Hier ist ja nicht mal ein Busch. Da sehen mich doch alle."

Mama zieht mir die Hose runter und hebt mich von Hinten hoch, so dass sie ihre Hände in meinen Kniekehlen hat. Sie hebt mich über die Leitplanke.

Beate: „Das geht hier nicht anders, aber die Autos sind so schnell, die sehen das gar nicht. So, jetzt bitte das ganze Pipi raus."

Es ist irgendwie eine komische Position zum Pinkeln. Na ja, nicht wirklich, Mama hat mich ja schon oft so hoch gehoben, aber halt irgendwo im Gebüsch, wo es ruhig ist. Aber nach ein paar Sekunden fängt es an zu laufen. Hinter uns im Auto klingelt das Handy von Mama. Es hat ziemlich schnell wieder aufgehört, also hat Mark den Anruf bestimmt angenommen. Es hört auf zu plätschern.

Beate: „Bist du fertig?"

Anne: „Ja."

Mama stellt mich auf den Boden und ich ziehe die Hose hoch. Mama nimmt mich wieder an die Hand und wartet hinter dem Auto, bis der nächste Laster vorbei gefahren ist. Dann steige ich ein und sie schnallt mich an. Wenn in der Mitte eine Sitzerhöhung ist, kriege ich das nicht alleine hin. Wenn wir ohne Mark fahren, kann ich es schon alleine.

Mark: „Papa hat angerufen und..."

Beate: „Moment, warte kurz, bis ich wieder auf der Straße bin."

Mama macht den Warnblinker aus und fährt los. Sie gibt ziemlich schnell Gas.

Beate: „So, jetzt."

Mark: „Papa hat gefragt, warum wir angehalten haben und ob alles in Ordnung ist. Ich habe ihm gesagt, dass Anne dringend Pipi musste."

Ich werde wieder rot. Mir ist das ziemlich peinlich, dass mal wieder alle wissen, dass wegen mir angehalten werden musste, obwohl es ja gar nicht weit ist, bis nach Hause.

Die anderen Kinder werden alle direkt heim gefahren. Wir haben uns schon im Indoorspielplatz tschüs gesagt. Morgen früh treffen wir uns dann alle wieder im Kindergarten.

Anne trägt wieder WindelnKde žijí příběhy. Začni objevovat