Kapitel 17: Was heißt das jetzt?

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Beate: „Heißt das jetzt, Anne soll einfach wieder Windeln anziehen und das ist dann halt so? Und das für immer? Das kann doch auch nicht sein."

Dr. Will: „Nein, so ist das nicht gemeint. Anne kann ja aufs Klo gehen und wir haben ja schon raus gefunden, dass sie noch lernen muss, wie sie die Muskeln im Bauch richtig einsetzt. Der Kinderurologe kann da sicherlich noch genauer untersuchen und findet vielleicht noch mehr. So was kann sich auch mit der Zeit verändern. Zum Beispiel mit einem Wachstumsschub. Allerdings sagt die Statistik, dass die Hälfte der Kinder, die mit sieben noch solche Probleme haben, diese Probleme dauerhaft haben. Das würde dann aber einfach heißen, sie hat eine schwache Blase und muss sich etwas mehr Gedanken darüber machen, wo das nächste Klo ist, vorsorglich gehen und vielleicht eine dickere Slipeinlage tragen, für die paar Tropfen, die sie auf dem Weg zum Klo verliert. Also eigentlich keine Slipeinlage, sondern so eine, die wirklich für Blasenschwäche gedacht ist. Wo fahren Sie denn in Urlaub hin und wie lange?"

Ich habe die ganze Zeit noch über das Beispiel mit der Brille und das mit dem Rollstuhl nachgedacht. Eigentlich hat sie recht. Trotzdem sind Windeln peinlicher als eine Brille. Aber warum interessiert Frau Will unser Urlaub?

Beate: „Wir fahren mit dem Wohnwagen nach Holland. Freitag geht's los und wir sind zwei Wochen weg. Wir müssen uns ja wegen Mark schon an die Schulferien halten."

Dr. Will: „Anne, Frau Mandel, dann schlage ich euch folgendes vor: Ihr schickt das Pipi Problem jetzt einfach mal in Urlaub, also ohne euch, und nach dem Urlaub sehen wir weiter."

Anne: „Wie kann ich mein Pipi Problem in Urlaub schicken?"

Dr. Will: „Ihr bekommt von mir jetzt ein Rezept für Windeln für größere Kinder. Und du kannst selbst entscheiden, ob du die anziehen willst oder nicht. Ich denke aber, es wäre besser wenn du die anziehst. Entweder gleich oder erst wenn ihr in Urlaub fahrt. Ich schreibe euch auch Windeln auf, die man wie eine Unterhose rauf und runter ziehen kann. Die kannst du anziehen und trotzdem normal aufs Klo gehen. Wenn du die schon vor dem Urlaub anziehst, passt ihr diese Woche halt besonders gut auf, dass niemand was sieht. Vielleicht kauft Mama mit dir noch eine Latzhose und vielleicht auch Bodys. Bodys in der Größe muss man vielleicht online kaufen. Aber die können nicht wie ein T Shirt aus der Hose rutschen. Im Urlaub braucht ihr nicht so gut aufpassen, wenn da jemand komisch schaut, ist das halt so, aber den seht ihr nach dem Urlaub ja nicht mehr. Und wenn jemand komisch fragt, kannst du jedem sagen, deine Kinderärztin hat dich untersucht und hat gesagt, dass du in die Windel machen darfst, weil da im Bauch was nicht ganz in Ordnung ist. Dauerhaft kann man das nicht geheim halten, schon gar nicht vor der besten Freundin, aber man muss das natürlich nicht jedem auf die Nase binden. Nach dem Urlaub habt ihr dann einiges an Erfahrung und könnt zusammen überlegen wie es weiter geht."

Beate: „Mit so einem Vorschlag hätte ich nicht gerechnet. Klingt sehr ungewohnt. Und ich hätte auch nicht gedacht, dass es Windeln auf Rezept gibt, wenn man nur ab und zu Unfälle hat."

Dr. Will: „Auf Rezept gibt es das, was medizinisch notwendig ist. Und ja, die Krankenkassen streiten da gerne drüber und wollen das nicht bezahlen. Ich schreibe das Rezept aber entsprechend und sie bekommen von uns ein Merkblatt, wo wir alles Mögliche zu dem Thema drauf geschrieben haben. Also da stehen natürlich auch Sachen drauf, die Sie nicht betreffen. Krankenkassen meinen zum Beispiel manchmal, dass die Windeln zum Hochziehen zum Teil selbst bezahlt werden müssen weil die zum Kleben billiger sind. Aber in dem Alter können Kinder die normalerweise noch nicht selbst kleben und deshalb sind die zum Hochziehen notwendig. Damit kann das Kind trotzdem selbstständig werden. Die werden auch meckern, das ich nicht die billigsten aufschreibe, aber es ist halt ein Unterschied, ob ein Kind nur im Bett liegt oder auf dem Spielplatz tobt. Da braucht man schon welche, die was aushalten. Die zum kleben schreibe ich trotzdem auf, weil die für Unterwegs je nach Situation besser sind. Also wenn doch die Mama die Windel wechseln muss. Ich stelle jetzt erst mal ein Rezept für einen Monat aus, aber die Menge, die ich drauf schreibe, reicht eher für zwei. Dann haben Sie genug Vorrat. Am besten rufen Sie gleich beim Urologen an, mit etwas Glück bekommen Sie dann direkt nach dem Urlaub einen Termin. Der kann dann ein Dauerrezept ausstellen. Und machen Sie sich keinen Kopf, ob Sie hier von der Krankenkasse mehr bekommen, als sie brauchen. Überlegen Sie mal, wie viele Maschinen Wäsche Sie zusätzlich gewaschen haben. So, Anne, das war jetzt erst mal ziemlich viel für deine Mama. Jetzt musst du noch mal gut aufpassen. Am besten passt dein Hase mit auf."

Ich schaue sie mit großen Augen an. Mein Hase sitzt auf meinem Schoß und ich halte seine Ohren hoch, damit der ganz genau zuhören kann.

Dr. Will: „Ich möchte, dass du immer genug trinkst und beim Pipi machen genau fühlst, was in deinem Bauch passiert. Egal ob du absichtlich in die Windel machst oder aus Versehen in die Windel machst oder aus Versehen auf dem Klo Pipi machst."

Anne: „Ich mache doch nicht aus Versehen auf dem Klo Pipi, das mache ich doch mit Absicht!"

Frau Will lächelt mich an. Ich glaube, das hat sie mit Absicht falsch gesagt.

Dr. Will: „Äh, ja genau. Aber wichtig ist, dass du versuchst, es nicht raus zu pressen, sondern erst einfach laufen lässt und dann zum Schluss ein bisschen drückst. So wie vorhin mit dem Luftballon. Du kannst auch vorher versuchen, es erst noch eine Weile drin zu lassen. Wenn das klappt ist es besonders gut. Aber auf keinen Fall so lange, bis es weh tut und wenn es läuft, dann lass es laufen. Zwischendurch stoppen ist auch nicht wirklich gesund."

Beate: „Woher bekommen wir denn die Windeln? Und warum nehmen wir nicht einfach die aus dem Drogeriemarkt?"

Dr. Will: „Die aus dem Drogeriemarkt werden ihr wohl nur noch relativ knapp passen und außerdem wird bei ihrer Körpergröße die Saugkapazität wohl an die Grenze stoßen. Besonders wenn wir gleichzeitig üben, wieder genug zu trinken. Die Windeln bekommen Sie im Sanitätshaus, hier zwei Straßen weiter. Die haben die normalerweise vorrätig, wir schicken denen des Öfteren Patienten die das brauchen. Es gibt übrigens noch einen großen Unterschied zu einem Baby: Anne kann selbst viel mithelfen. Es geht darum, dass sie auf ihr Pipi selbst aufpasst. Ob das dann in der Blase und im Klo ist, oder in der Windel, ist eigentlich egal. Aber sie muss lernen, darauf zu achten, dass die Wickeltasche gepackt ist und im Auto ist, sie muss merken, wenn es Zeit wird zu wechseln und sie sollte, kurz vor dem Wickeln immer noch mal Pipi machen, damit die Windel dann eine Weile trocken bleibt. Ob sie das auf dem Klo macht oder in die alte Windel spielt dabei nicht die große Rolle. Natürlich braucht sie da noch Unterstützung. Aber wir sollten hoffen, dass das Problem schnell weg geht und trotzdem damit rechnen, dass es lange dauert. Und wenn sie 20 Jahre alt ist, muss sie sich ja auch selbst drum kümmern, egal ob es nur eine Einlage ist oder mehr. Irgendwann zwischen jetzt und in zehn Jahren muss sie das also lernen. Für den Anfang darf sie aber jetzt auch mal die Vorteile nutzen. Also wenn sie im Kino sitzt und andere Kinder mitten im Film aufs Klo gehen, kann sie sitzen bleiben und weiter an ihrem halben Liter Fanta trinken. Das ist ein kleiner Ausgleich für die ganzen Probleme, die ihr bisher hattet. Hast du denn noch Fragen, Anne?"

Ich schaue sie immer noch mit großen Augen an. So ganz habe ich das jetzt noch nicht verstanden. Aber ich glaube sie hat gesagt, wenn jemand Baby sagt, kann ich antworten, dass die Frau Will gesagt hat, ich kann da nichts dafür. Und sie hat gesagt, es ist nicht schlimm, wenn ich absichtlich in die Windel mache und dass ich beim Pipi machen an den Luftballon denken soll. Ich finde das alles trotzdem peinlich. Mein Hase klappt die Ohren wieder runter und drückt mich. Ich schüttele den Kopf. Nein, Fragen habe ich keine mehr.

Dr. Will: „Frau Mandel, haben Sie noch Fragen?"

Beate: „Äh, dazu erst mal keine, glaube ich. Die kommen dann später, wenn ich versuche, das meinem Mann alles zu erklären. Aber ich habe noch eine Frage wegen Mark. Er wird ja bald acht und er hat immer noch dauernd den Daumen im Mund. Also immer die ganze Nacht, aber tagsüber auch immer mal wieder. Manchmal sogar in der Schule. Kann man da irgendwas machen?"

Frau Will fängt an zu grinsen.

Dr. Will: „Oh, das ist ein sehr spezielles Thema. Ich hatte sogar überlegt, meine Doktorarbeit darüber zu schreiben. Da kann ich Ihnen einiges zu sagen. Ich fürchte aber, es wird Ihnen nicht gefallen."

Beate: „Da bin ich jetzt gespannt. Ich glaube ich wundere mich jetzt sowieso über nichts mehr, nachdem Sie die Brille mit den Windeln in einen Satz gepackt haben."

Dr. Will: „Bei mir war der Daumen andauernd drin, bis ich zwölf war. Okay, mit zehn, beim Schulwechsel habe ich es in der Schule sein lassen. Dafür habe ich nachts aber bis ungefähr vierzehn genuckelt. Meine Mama hat alles probiert, um mich davon abzubringen. Aber eigentlich gibt es nur einen, der da wirklich helfen kann. Und ich meine jetzt nicht den Schneider aus dem Struwwelpeter, mit dem hat mir meine Oma immer gedroht. Haben Sie eine Idee wen ich dann meine?"

Beate: „Nein."

Dr. Will: „Der einzige, der Mark das Nuckeln abgewöhnen kann ist er selbst. Aber eben nur, wenn er das selbst will. Natürlich können Sie ihm das Leben schwer machen oder ihn absichtlich in peinliche Situationen bringen. Aber wirklich helfen tut das nicht. Meine Mutter hat dann mit elf irgendwann aufgegeben und gesagt ‚was denkst du, wenn du mal etwas älter bist und deinen ersten Freund hast, was der dazu sagt' danach hat sie dann jahrelang nichts mehr dazu. Als ich fünfzehn war, hat dann meine beste Freundin mit dem Rauchen angefangen. Als meine Mutter das erfahren hat, war sie ein bisschen geschockt und meinte ‚Bitte fang nicht mit dem Rauchen an. Steck dir lieber wieder den Daumen in den Mund ich werde darüber nie wieder meckern' Da habe dann direkt den Daumen rein gesteckt um sie zu testen."

Beate: „Sie meinen also, das müssen wir einfach hinnehmen und warten bis er selbst aufhört?"

Dr. Will: „Nein, nicht ganz. Erst mal macht es Sinn, mit ihm darüber zu sprechen. Er ist alt genug, um das zu verstehen. Das heißt aber auch, dass er nicht jammern darf, wenn ihn mal jemand deswegen auslacht. Trotzdem sollten sie ihn in so einer Situation unterstützen. Daumen lutschen ist allerdings auch nicht besonders gut für die Zähne und je nach Situation ziemlich unhygienisch. Für die Haut ist es auch nicht wirklich förderlich. Da kann man eventuell schon was machen."

Frau Will grinst von einem Ohr bis zum anderen und schaut Mama an.

Beate: „Ja?"

Dr. Will: „Da gibt es ein Hilfsmittel das sie auch im Drogeriemarkt in der Babyabteilung bekommen, oder in der Apotheke in der richtigen Größe, da sind die aber nicht so schön. Man kann auch beides kaufen, im Internet gibt es Anleitungen zum Umbauen."

Beate: „Ich verstehe nur Bahnhof."

Dr. Will: „Ich meine einen Beruhigungssauger. Die meisten sagen dazu aber Schnuller."

Beate: „Ich kann Mark doch keinen Schnuller kaufen."

Dr. Will: „Wieso nicht? Ist auch nur ein Hilfsmittel, wie eine Brille. Bekommt man aber nicht auf Rezept. Dafür ist er aber deutlich billiger und hält länger. Wenn er gut damit umgeht, ist der wesentlich hygienischer als der Daumen, macht weniger Zahnprobleme und die Haut freut sich auch. Andererseits ist der vermutlich noch peinlicher, aber zumindest für daheim eine mögliche Alternative. Nachteil ist natürlich, dass er dann beide Hände beim Nuckeln frei hat und vielleicht noch mehr nuckelt. Nachteil ist da natürlich Ansichtssache, er sieht das vermutlich anders. Vorteil ist aber wiederum, wenn er sich auf den Schnuller umgewöhnt hat, ist das Abgewöhnen eventuell einfacher. Den Schnuller kann er ja bewusst außer Reichweite parken, den Daumen hat man immer dabei und kann ihn ohne nachzudenken sofort rein stecken."

Beate: „Okay, ich glaube ich habe jetzt erst mal keine Fragen mehr. Ich hab ja jetzt genug zum Verdauen. Ihre Antworten sind wirklich etwas gewöhnungsbedürftig aber ich glaube ich kann sie weitgehend nachvollziehen."

Dr. Will: „Dann wünsche ich Ihnen einen wunderschönen Urlaub der für die ganze Familie entspannend wird. Am Empfang bekommen Sie dann noch das Rezept und das Infoblatt. Anne, ich wünsche dir alles Gute."

Anne trägt wieder WindelnWhere stories live. Discover now