#13 ☆ Der erste Schritt zur Perfektion ☆

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Egal wie weit der Weg ist, man muss den ersten Schritt tun.

~ Mao Tse-tung

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Mit großen Augen sieht Kazumi zu Sasori auf, der ihrem Blick ruhig begegnet.
"Packen? Gehen? I-ich kann doch nicht einfach meinen Vater allein lassen. Er... Ich...", murmelt das Mädchen kaum hörbar, schüttelt ungläubig den Kopf.
Schon zu lang haben sie doch nur einander...
Was soll sonst aus ihm werden?
Der Rotschopf antwortet nichts darauf, legt lediglich den Kopf leicht schief.
"Er braucht mich doch.", erklärt die Blonde leise ihre Gedanken und Sasori zieht beinahe schon ungläubig eine Augenbraue nach oben.
"Damit du ihm Alkohol bringst und er dich schlagen kann?"
Seine Stimme ist kalt und die Worte - oder vielmehr die Gewissheit, dass sie wahr sind - verletzen das Mädchen, lassen es schwer schlucken und den Blick auf ihre angezogenen Knie senken.
Vielleicht hat er Recht...
Ihr Vater hat sich verändert und vielleicht wird es Zeit, dass sie endlich ihren eigenen Weg geht. Dass sie endlich versucht die Perfektion zu erreichen, von der sie schon so lange träumt.
Dennoch fällt es ihr schwer diesen ersten Schritt auch zu tun und nicht nur darüber nachzudenken.
"Er hat mich vorher noch nie geschlagen...", flüstert sie eher zu sich selbst, als würde sie sich die Tatsache noch einmal ins Gedächtnis rufen müssen, dass ihr Vater nicht immer so war wie er inzwischen ist.
Dass es einmal eine Zeit gab, in der sie alle gemeinsam am See saßen: Sie, ihre Mutter und er.
Diese Erinnerungen scheinen immer mehr zu verblassen, werden überschattet von Bildern voller Tagen, an denen er leise schluchzend versucht hat seinen Kummer zu ertränken.

Kazumi's Vater war nicht immer so, das ist ihr klar.
Er hat sie noch nie zuvor geschlagen.
Dennoch stellt sich ihr gleichzeitig eine wichtige Frage: Es war das erste doch war es auch das letzte Mal?

Die Frage bleibt unausgesprochen und Sasori schließt die Augen, atmet tief durch, während Kazumi' s Gedanken sich beinahe überschlagen, sich erneut nur im Kreis drehen.
"Ich gebe dir fünf Minuten. Danach gehe ich - mit oder ohne dir. Schließlich wartet man auf mich und ich kann es nicht leiden, andere warten zu lassen." 

Fünf Minuten.

Nachdenklich kaut Kazumi auf ihrer Unterlippe herum während sie das schöne, gleichmäßige Gesicht ihres Gegenübers betrachtet.
Er kann sie hier raus schaffen selbst, wenn die Türe verschlossen ist, denn schließlich ist er auch hier rein gekommen und zwar nicht zum ersten Mal.
Er kann ihr helfen, sie aus diesem Haus und ihrem bisherigen Leben führen.
Er ist vielleicht nicht ihre letzte doch eine der wenigen Chancen auf Perfektion bevor sich ihre Zweifel ihr noch mehr in den Weg stellen als ohnehin schon und sie schließlich vielleicht endgültig vom Gehen abhalten könnten.

Gehen...
Es heißt jetzt oder wahrscheinlich nie.

Kazumi weiß das und auch Sasori ist diese Tatsache bewusst.

Er weiß auch, dass es dem Mädchen schwer fällt diesen ersten Schritt zu tun. Nur allzu gut erinnert er sich an den Moment, der ihn dazu bewegt hat sich zu ändern - und zwar drastisch.
Er erinnert sich an den ganzen Schmerz und den Zweifel, den er vor dieser Entscheidung ertragen musste.

Noch vier Minuten.

Insgeheim hofft Sasori wirklich, dass Kazumi sein Angebot annimmt und er sie raus aus diesem Haus schaffen kann.
Nicht, weil das Mädchen ihm leidtut und er ihr helfen will.
Nein auf keinen Fall, denn solche Gefühle hat er längst aus seinem Leben verdrängt.
Sasori ist sich sicher, dass das alles einen anderen Grund hat.
Er erinnert sich daran wie es ist nur ein Mensch zu sein und vielleicht ist genau das der Grund, weshalb er Kazumi diese Chance geben möchte hier raus zu kommen und ihren eigenen Weg zu gehen.
Weil sie ihn an sein früheres Ich erinnert - naiv und gutgläubig - und weil er hofft, so endlich vergessen zu können.
Endlich mit seiner Vergangenheit abzuschließen und zwar für immer.

Ja, vielleicht ist genau das der Grund...
Das und nichts anderes...

Noch drei Minuten.

Seit dem Tod ihrer Mutter hat sich Kazumi' s Leben sehr verändert.
Ihre Einstellung vielen Dingen gegenüber, ihr Verhalten in vielen Situationen. Sie hat gelernt das Leben zu lieben und zu genießen, solange sie kann. Perfektion und Schönheit überall zu suchen und in sich aufzunehmen. Offen zu sein, eigentlich allem gegenüber.
Denn Zeit ist begrenzt und rinnt einem jeden davon wie Sand durch die Finger.
Zunächst hat das Mädchen sich nach ihrem Verlust mit dem Gedanken getröstet, dass alles was passiert einen Sinn hat.
Dass so etwas wie das Schicksal oder vielleicht ein Gott alles bestimmt.
Später hat Kazumi angefangen zu verstehen, dass das Schicksal von jedem einzelnen beeinflusst werden kann. Dass jede Entscheidung ein Schritt in eine bestimmte Richtung ist.

Vielleicht ist es jetzt Zeit eine Entscheidung zu fällen und den ersten Schritt in Richtung Perfektion zu gehen.

Noch zwei Minuten.

Langsam erhebt sich Kazumi vom Boden. Ihre Beine zittern und ihre Schritte sind unsicher, als sie auf den kleinen Schrank in ihrem Zimmer zu geht und beginnt ein paar ihrer Sachen in einen Rucksack zu packen.
Sasori folgt ihr mit seinen Augen, bewegt sich jedoch kein Stück von der Stelle während sie wahllos und völlig durcheinander einfach alles verstaut, was sie gerade in die Hände bekommt.
Irgendwie ist er erleichtert darüber, dass sie sein Angebot annehmen möchte.

Vielleicht weil er nun die Gewissheit hat, nicht umsonst bereits gute drei Minuten auf das Mädchen gewartet zu haben.
Vielleicht aber, weil es ihn daran erinnert, dass auch er sich auf dem richtigen Weg befindet.
Suchend wandert Kazumi' s Blick durch den Raum, bleibt für den Bruchteil einer Sekunde an dem jungen Mann hängen, bevor er sofort weiter zum Bett gleitet. Sie wischt sich mit dem Handrücken über ihre Augen und geht auf das Möbelstück zu, um ein kleines, in dunkles leder gebundenes Buch unter dem Kissen herauszuziehen.
Kurz blättert sie darin herum bevor sie sich auf die Matratze setzt und den Stift von dem Rücken des Buches trennt.

Noch eine Minute.

Das Papier vor Kazumi ist unbeschrieben und tief atmet sie durch bevor sie den Stift ansetzt.
Für eine Sekunde verharrt sie dort bevor sie zu schreiben beginnt.

"Papa.
Wenn du das liest bin ich wahrscheinlich schon lange fort. Es ist besser, wenn ich gehe. Raus aus diesem Dorf und diesem Leben.
In meinem Herzen wirst du immer einen Platz haben und ich werde mich auch in zehn Jahren noch daran erinnern, wie du mich in den Schlaf gesungen hast. Achte auf dich und vergib mir, dass ich einfach verschwunden bin.
Ich liebe dich, Kazumi."

Noch einmal überfliegt die Blonde den kurzen Brief bevor sie die Seite aus dem Buch trennt, neben sich auf das Kissen legt und den Rest in ihren Rucksack packt.
Sie ist vollkommen erfüllt nicht nur von Trauer, Angst und Zweifel, sondern auch so etwas wie Erleichterung und Vorfreude machen sich mit jeder vergehenden Sekunde zunehmend in ihr breit.

"Die Zeit ist um.", lässt Sasori Kazumi wissen, die noch immer den Zettel auf ihrem Kopfkissen anstarrt.
Langsam nickt sie und erhebt sich zögernd. Auf dem Weg zu Sasori fahren ihre Finger beinahe beiläufig durch das dichte rote Fell des Katers, der brav an ihrem Bettende liegt.
"Pass gut auf dich auf.", flüstert sie dem Tier zu und schultert ihren Rucksack bevor sie neben dem Rotschopf vor dem Fenster stehen bleibt.

Es ist soweit...
Der erste Schritt in die richtige Richtung...

Ein letztes Mal lässt sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen, in dem sie aufgewachsen ist, bevor sie Sasori in die Augen sieht.
"Okay...", flüstert sie und versucht dabei dem Zittern in ihrer Stimme entgegen zu wirken.
Knapp nickt der Rotschopf bevor er eine Hand an ihre Taille legt und sie noch näher an sich zieht.
"Halt dich fest.", sagt er ruhig wobei sein warmer Atem ihr Gesicht streift und Kazumi's Herz einen Takt aussetzt.
Zögernd und mit hochrotem Gesicht schlingt Kazumi ihre Arme um seinen Hals, vergräbt ihr Gesicht im Stoff des braunen Mantels in Höhe seiner Schulter und schließt die Augen während Sasori mit der freien Hand das Fenster weiter auf drückt.

Und er sich mit dem Mädchen an seiner Seite herausfallen lässt.



Damit wären wir am Ende der Lesenacht.
Weitere Kapitel folgen wie gewohnt XD
Gute Nacht und vielen Dank für eure tatkräftige Unterstützung und euer positives Feedback!

完璧 Perfektion - Denn Puppen lieben nicht (Sasori FF)Where stories live. Discover now