#20 Weißt du, wer du bist?

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Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden.

~ Philip Rosenthal

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"Also nur, um das nochmal fest zu halten: Du warst ein Mensch und hast... ja was eigentlich? Wie bitte wird man zu einer Puppe?", will Kazumi neugierig wissen.
Nachdenklich legt sie ihre Hände hinter ihrem Rücken zusammen während sie geht und runzelt die Stirn.
Sie hat Sasori's Körper gesehen.
Sie hat ihn berührt.
Er ist eindeutig nicht aus Fleisch und Blut, doch wenn er ein Mensch war, wie kann das dann sein? Auf diese Frage findet sie keine Antwort und als der Rotschopf auch nach ein paar weiteren Sekunden nichts dazu sagt beschließt sie, erneut nach zu haken.
Kazumi will Antworten.
Sie will verstehen, was es mit Sasori auf sich hat.
Sie will ihn verstehen.
Um jeden Preis.

"Ich dachte du magst es nicht, andere warten zu lassen. Also... Ich warte auf eine Antwort."
"Du lernst schnell...", murmelt der Rotschopf woraufhin sich ein kleines Lächeln auf Kazumi's Lippen legt.
Langsam aber sicher glaubt sie, einen Draht zu ihm zu bekommen und das macht sie wirklich glücklich.
"Danke.", sagt die Blonde noch immer grinsend, was Sasori mit einem leichten Kopfschütteln quittiert.
"Sagen wir einfach mal, dass ich meinen menschlichen Körper aufgegeben habe.", erklärt er ausweichend.
Nur ungern würde er näher darauf eingehen, denn die Prozedur war nicht nur zeitaufwendig und hat einiges an Planung benötigt, sondern ist wohl eines seiner am besten gehüteten Geheimnisse. Und das soll es auch bleiben.
"Und weiter?", hakt Kazumi nach.
"Nichts weiter. Es wäre zu komplex für dich."
"Ich bin ein Mensch, Sasori, nicht dumm."
"Das eine schließt das andere nicht aus..."
"Oh, wow. Und wir sind schon wieder an diesem Punkt. Ich bin schockiert."
Fragend zieht Sasori eine Augenbraue nach oben, während Kazumi neben ihm seufzend den Kopf schüttelt.
"Sarkasmus, Sasori.", erklärt sie mit einem kleinen Grinsen, was den Rotschopf leicht die Augenbrauen zusammenziehen lässt.
"Ich weiß. Nur weil ich keine Emotionen habe heißt das nicht, dass ich so etwas nicht erkenne."
Kurz muss sich das Mädchen auf die Zunge beißen, um ihn nicht zu verbessern.

Nur, weil du keine Emotionen zeigst heißt das nicht, dass du keine hast...

Zu ihrem Glück spricht der Mann jedoch nach kurzer Pause bereits weiter und die Blonde ist mehr als froh über die verpasste Gelegenheit, ihre Gedanken auszusprechen.
"Ich hatte dich nur nicht für verbittert genug gehalten, um so deinem Unmut Ausdruck zu verleihen."
Ungläubig begegnet Kazumi Sasori's ruhigem Blick, lacht kurz humorlos auf bevor sie nicht anders kann als sich grinsend auf ihre Unterlippe zu beißen und den Kopf zu schütteln.
"Wenigstens zeige ich meine Verärgerung."
"Weil du ein Mensch bist."
"Und du warst einer."
"Exakt. Ich war. Diesen Tiefpunkt meiner Existenz habe ich überwunden."

Den ganzen Tag über sind sie unterwegs, legen kaum Pausen ein und obwohl Kazumi wirklich erschöpft ist verliert sie kein Wort darüber.
Das Schweigen, das hauptsächlich herrscht, ist angenehm und bis auf wenige Äußerungen von Seiten des Mädchens hält es weitestgehend so lang an, bis die Sonne langsam tiefer sinkt. Der Himmel über der saftig grünen Ebene färbt sich tieforange, geht zunehmend in ein kräftiges Rot über und begeistert betrachtet das Mädchen dieses Schauspiel.
"Es ist wunderschön. Diese Farben...", schwärmt sie verträumt und seufzt wohlig, während Sasori nur verständnislos den Kopf schüttelt.
"Es ist nichts Besonderes. Nur Licht, das in einem bestimmten Winkel einfällt und deshalb in seine Bestandteile zerlegt wird. Einfache Physik."
"Musst du eigentlich immer alles analysieren? Kannst du nicht wenigstens ein einziges Mal einfach nur hinsehen? Lediglich genießen, ohne darüber nachzudenken?"
Kazumi klingt tadelnd während sie noch immer das Farbenspiel in der Ferne betrachtet und ein Lächeln ununterbrochen auf ihren Lippen liegt. Stumm wandert Sasori's Blick von dem Sonnenuntergang zu dem Mädchen. Ihr blondes Haar leuchtet durch das warme Licht der tiefstehenden Sonne in einem sanften Goldton, die blauen Augen sehen noch immer fasziniert in die Ferne und ihre blasse Haut ist durch die Anstrengung des langen Fußmarsches an ihren Wangen leicht gerötet.

Sie ist wunderschön.

Der Puppenspieler sieht hin, genießt diesen Anblick, ohne groß darüber nachzudenken. So, wie Kazumi gesagt hat.
Doch er betrachtet weder die Farben am Himmel, noch die immer länger werdenden Schatten der Vegetation um sie herum.
Sein Blick gilt den Gesichtszügen des Mädchens. Ihrer schmalen, geraden Nase, den zart geschwungenen Lippen und dem kleinen Grübchen an ihrer linken Wange, welches durch das ehrliche Lächeln zu sehen ist. Er beobachtet, wie eine aufkommende Brise ihre Haare ein wenig zur Seite schiebt und ein vor ihrem Ohr gelegenes, bisher verstecktes Muttermal Preis gibt.
Er sieht zu, wie ihre Nase sich leicht kräuselt, als Kazumi ein leises Kichern von sich gibt, bei dem sie sich eine Hand an ihre Lippen legt, da der Wind ihre Locken dazu benutzt, um sie zu kitzeln.

So menschlich.

Bisher hat er alle offensichtlichen Emotionen, jeden Beweis des Menschsein, verachtet. Er fand sie abstoßend, nervtötend.
Das tut er noch immer - aus einem ganz einfachen Grund.

Es sind Fehler.

Und dennoch...

Sasori ist fasziniert.
Das ist wohl das passendste Wort für das, was in dem Kopf des Rotschopfs gerade vor sich geht. Kazumi hat irgendetwas an sich, was Sasori irgendwie anzuziehen scheint.

Doch er denkt nicht darüber nach, nimmt es nur am Rande wahr.
Genau wie das kleine Lächeln, das sich unbemerkt auf seine Lippen schleicht, während er das Mädchen so von der Seite betrachtet.

Sie ist beinahe vollkommen.

Er wird sich erst bewusst, dass er die Blonde schon eine Weile ununterbrochen angestarrt hat, als diese seinem Blick begegnet und verwundert blinzelt.
"Was ist los? Hab ich etwas im Gesicht?"
Augenblicklich fährt sie sich mit ihren Fingern über die Wangen, um einen nicht vorhandenen Schmutz zu entfernen.
"Nein. Alles gut.", murmelt der Puppenspieler bevor er sich leise räuspert.
"Sicher? Du kannst es ruhig sagen."
Nun reibt sich das Mädchen auch über ihre Stirn und runzelt diese zweifelnd.
Seufzend schließt Sasori für einen Moment die Augen und sieht anschließend zurück nach Westen, wo die Sonne inzwischen schon beinahe ganz verschwunden ist und sich nun zunehmend Dunkelheit über die weite Fläche ausbreitet.

"Ja, sicher. Du bist nur..."

Für einen Augenblick zögert der Puppenspieler, ordnet seine Gedanken so gut es geht.

Schön?
Faszinierend?

Sasori kann sich einfach nicht dazu bringen auch nur eines dieser Wörter oder ein ähnliches auszusprechen.

Sie ist ein Mensch.
Voller Fehler.

Und trotzdem kommt es ihm so vor, als wäre sie es nicht.
Verwirrt über seinen Gedankengang runzelt er die Stirn.
Er dachte das Mädchen durchschaut zu haben.
Er dachte zu glauben, dass er weiß, wer sie ist, weil alle Menschen in seinen Augen gleich sind.

Doch offensichtlich hat er sich geirrt.

Das Mädchen ist nicht wie alle anderen.
Sie ist leise, wenn andere laut sind.
Sie sieht hin, wenn andere wegsehen.
Sie lacht, wenn andere weinen.
Sie ist ehrlich, wenn andere lügen.

Er weiß nicht genau seit wann er es weiß, doch eines ist für den Puppenspieler eindeutig.

Kazumi ist einfach...

"...anders.", endet Sasori schließlich.

完璧 Perfektion - Denn Puppen lieben nicht (Sasori FF)Where stories live. Discover now