#30 Alles opfern für jene, die man liebt

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Das schwerste Opfer, welches der Mensch zu bringen vermag,
ist, sein Herz brechen zu lassen und seiner Liebe entsagen.

- Heinrich Martin

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Mit großen Augen sieht Kazumi sich staunend in dem Geschäft um. Die Fische am Fenster waren nur ein kleiner Teil der Artenvielfalt gewesen, die sie nun im Inneren erwartet, und das Mädchen ist absolut begeistert. Vögel, Hamster und Hasen befinden sich in eingezäunten Gehegen oder Käfigen und neugierig lässt das Mädchen ihren Blick schweifen, kann sich kaum satt sehen an der Menge von Tieren und Zubehör, welches die Regale füllt. Immer wieder entdeckt sie etwas Neues und plötzlich schreit ein Papagei laut auf, als sie an seinem Käfig vorbei geht. Erschrocken zuckt Kazumi zurück, stolpert über eine am Boden liegende Spielzeugmaus und schreckt einen dicken, roten Kater auf, als sie unsanft auf ihrem Hintern landet.
"Autsch!"
Mit schmerzverzerrtem Gesicht sitzt sie noch immer auf dem Boden, als sich schnelle Schritte nähern. Ein schwarzhaariger Mann kommt um ein Regal herum gelaufen, mustert das Mädchen auf dem Boden kurz mit dunklen Augen.
"Hast du dir weh getan?", will er wissen und die Blonde schüttelt knapp den Kopf.
"Halb so wild...", murmelt sie und steht auf bevor sie erneut einen Blick auf den Mann wirft.
Sie hat ihn schon einmal gesehen und sofort fällt ihr auch ein wo.
"Moment. Bist du nicht der Straßenkünstler mit den Messern?"
Überrascht blinzelnd nickt ihr Gegenüber bevor er sich einmal suchend in dem Laden umsieht.
"Du hast heute morgen zugesehen, stimmt. Wo ist denn dein Freund?"
Kazumi merkt, wie ihre Wangen anfangen heiß zu brennen.

Ihr Freund...
Was Sasori wohl dazu sagen würde?

"E-er wartet draußen."
Das Mädchen dreht sich um, versucht durch das Glas des Schaufensters den jungen Mann zu erblicken, doch dieser ist nirgends zu sehen. Nachdenklich zieht sie die Augenbrauen zusammen, runzelt die Stirn. Er wird doch nicht einfach gegangen sein, schließlich hat er gesagt, dass er draußen warten wird.
Hatte er etwa schon genug vom Warten?
"Er mag wohl keine Tiere.", reißt die Stimme des Fremden Kazumi aus ihren Gedanken.
Sie beobachtet, wie der Schwarzhaarige an ihr vorbei zum Schaufenster geht und sich kurz wachsam auf der Straße umsieht.
"I-ich weiß nicht. Vielleicht.", meint das Mädchen ausweichend.
Irgendwie ist ihr diese Situation gerade unangenehm. Irgendetwas stimmt hier nicht und sie kann dieses Gefühl von Unbehagen, welches in ihr aufsteigt, einfach nicht abschütteln. Eine Stimme in ihrem Hinterkopf warnt sie vor drohender Gefahr und nervös verlagert Kazumi ihr Gewicht von einem Bein auf das andere, spielt mit dem Saum ihres Oberteils.
"I-ich werde wohl besser-", beginnt das Mädchen leise, doch wird von der Stimme des Mannes unterbrochen.
"Merkwürdig."
"Huh?"
Verwirrt blinzelnd begegnet sie seinem Blick und der Ausdruck in seinen dunkelbraunen Augen verpasst ihr eine Gänsehaut, lässt sie erschaudern.

Er ist so kalt, hart und doch scheint in ihnen ein amüsiertes Funkeln zu liegen, welches Kazumi's Unwohlsein nicht gerade bessert.
Es ist gefährlich...
Seine Lippen verziehen sich zu einem schiefen Grinsen und beinahe schon beiläufig macht er ein paar Schritte zur Ladentür, lehnt sich dort dagegen und versperrt ihr somit den Weg nach draußen.

"Ich frage mich, weshalb er dich dann wohl mit sich herum schleppt."
"B-bitte, was?"
Verwirrt versucht sie zu verstehen, worauf der Mann hinaus will. Wieso er so etwas sagt?
Warum ist er so gemein?
"Du hast mich schon verstanden. Läufst ihm hinterher wie ein Hund, bettelst nahezu um seine Aufmerksamkeit. Es ist wirklich erbärmlich. Dafür hast du also deinen Vater verlassen? Um Haustier zu spielen?"

Ihr Vater...
Augenblicklich wird dem Mädchen übel und ungläubig stolpert sie ein paar Schritte zurück.
Das kann nicht sein...
Wieso weiß er das?
"Woher...?", haucht Kazumi beinahe lautlos, beobachtet mit großen Augen schockiert, wie sich das schiefe Grinsen des Straßenkünstlers verbreitert.
"Der alte Säufer hat viel geboten, damit er sein kleines Mädchen zurück bekommt. Ich glaube noch nie habe ich einen gestandenen Mann derart betteln hören."
"Hör auf...", murmelt Kazumi zitternd, schüttelt ungläubig den Kopf.

Er lügt.
Das muss er einfach! Sie kann sich nicht vorstellen, dass ihr Vater wirklich jemanden beauftragen würde, um sie zurück zu schleifen.
Wieso würde er ihr soetwas antun?
Kann er sie denn nicht einfach gehen lassen? Nicht einfach los lassen?

"Er hätte mir seine Seele verkauft, wenn er denn noch eine hätte. Bestimmt ist sie schon im Alkohol ertrunken. Dein Vater war ziemlich aufgebracht darüber, dass du ihn einfach so im Stich gelassen hast. Böses Mädchen. Wie konntest du nur? Hat er dich nicht aufgezogen? Ganz auf sich allein gestellt?"
"Hör auf!", wiederholt das Mädchen laut.
Die erhobene Stimme sorgt dafür, dass das Grinsen auf dem Gesicht des Mannes stirbt. Missbilligend schnalzt er mit der Zunge, runzelt die Stirn und sein Blick verfinstert sich bedrohlich.
"Pass auf, wie du mit mir redest, Mädchen."
Kazumi hat Angst.
Der Fremde ist furchterregend, der Gedanke, dass ihr Vater einfach nicht akzeptieren kann, dass sie sich ein eigenes Leben aufbauen will, lässt ihr einfach keine Ruhe. Garantiert will er sie nicht zurück, weil er sich Sorgen macht und sie liebt.
Nein, er will sie zurück, weil er es nicht ertragen kann, dass man sich ihm widersetzt. Sein Verhalten hat schon lange nichts mehr mit Liebe zu tun, das wird dem Mädchen langsam bewusst.
Es geht lediglich um Kontrolle.

Nur über ihre Leiche, wird sie zurück in dieses Dorf gehen. Sie hat so viel Mut gebraucht, um endlich zu fliehen. Sie ist noch nicht einmal richtig frei und soll schon aufgeben? Niemals!

Sasori hat versprochen, sie von dort weg zu bringen und Kazumi vertraut ihm.
Solange sie seine Unterstützung hat, fühlt sich die Blonde sicher und stark. Dann kann ihr niemand mehr etwas antun.

"Ich gehe nicht zurück.", lässt Kazumi den Mann wissen, ballt die Hände zu Fäusten, um das Zittern zu verhindern.
"Hörst du? Ich werde nicht zu ihm zurück gehen!", wiederholt sie laut, bemüht sich dabei um eine feste Stimme.
"Werd nicht vorlaut, Kind. Natürlich wirst du mich zu ihm begleiten. Und weißt du, was mir daran am besten gefällt? Du wirst es freiwillig tun."
Humorlos lacht Kazumi auf, ist sich nicht sicher, ob die Worte des Schwarzhaarigen ernst gemeint sind oder ob er sich einen Spaß erlaubt.
"Wieso sollte ich? Oder noch besser: Was hält mich bei ihm, selbst wenn ich dich zu ihm begleite?"

Es gibt nichts mehr, was sie dort hält und Kazumi muss stark überlegen, weshalb sie überhaupt so lang geblieben ist.
Erst Sasori hat ihr genug Mut gegeben, um endlich zu gehen.
Um die Perfektion anzustreben, die sie so gerne erlangen würde.

Nun ist es der Mann, der lacht. Erst ein leises Kichern wird es immer lauter bis sein schallendes Gelächter den Laden erfüllt.
Verwirrt zieht Kazumi die Augenbrauen zusammen, mustert den Schwarzhaarigen aufmerksam.

"Dummes Mädchen. So, so dumm. Du willst wissen was dich hält? Ganz einfach. Dein Freund."

Sasori...

"Du wirst mich begleiten ohne Drama, wirst nach Hause gehen und dort bleiben. Ansonsten wird deine Selbstsüchtigkeit dem Jungen das Leben kosten."

Wieder lacht er laut, während alle Farbe aus Kazumi's Gesicht weicht. Aufsteigende Panik schnürt ihr die Kehle zu und ihr Herz setzt einen Takt aus, bevor es zu Rasen beginnt.

Nicht Sasori.
Ihm darf einfach nichts zustoßen, erst Recht nicht ihretwegen. Sie könnte sich nie verzeihen, wenn dem so wäre.
Nach allem, was er für sie getan, wie viel Unannehmlichkeiten er auf sich genommen hat, um ihr zu helfen.
Nach ihren Gesprächen, ihren Küssen...
Niemals könnte sie ihm so in den Rücken fallen, zulassen, dass er in Gefahr gerät.

Niemals wollte sie zurück zu ihrem Vater gehen, doch auf keinen Fall wird sie still hinnehmen, dass der Rotschopf zu Schaden kommt.

Auch, wenn das bedeutet, dass sie ihre neu gewonnene Freiheit aufgeben muss.
Dass ihr Traum von Perfektion platzt.

Sie wird es hinnehmen, alles opfern, um ihn zu schützen.
Das steht für Kazumi ohne Zweifel fest.

"Schön... Du gewinnst.", flüstert Kazumi beinahe lautlos während sie versucht, die Tränen zurück zu drängen, die heiß in ihren Augen brennen.

Sie weiß nicht was schmerzhafter ist.

Das Wissen, dass sie alles aufgeben soll oder der Gedanke, dass sie Sasori so überraschend verlassen muss.

完璧 Perfektion - Denn Puppen lieben nicht (Sasori FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt