#26 Eine gemeinsame Last

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Sympathie, das sind zwei Herzen, die sich in eine Last teilen.


- Peter E. Schumacher

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Ruhig hebt und senkt sich Kazumi's Brustkorb während sie schläft. Kaltes Mondlicht fällt schwach durch das Fenster der Herberge in das Zimmer, erhellt sanft ihre entspannten Gesichtszüge.
Es muss Stunden her sein, dass das Mädchen eingeschlafen ist.
Mit gerunzelter Stirn steht Sasori neben dem Fenster an die Wand gelehnt da, betrachtet das schlafende Mädchen nachdenklich, nicht in der Lage, seinen Blick von diesem Bild abzuwenden.

Er ist wahnsinnig.

Das ist die einzige Erklärung, die ihm für sein Verhalten in den Sinn kommt. 
Leise murmelnd kuschelt sich Kazumi tiefer in das Kissen und das Stirnrunzeln des Rotschopfs verstärkt sich.
Ein Gedanke drängt sich ihm auf, lässt ihm keine Ruhe. Nämlich die Überlegung, dass er das Mädchen schon bald nicht mehr betrachten kann. In ein paar Tagen erreichen Sie Yu-Gakure und dann wird sie dort ein neues Leben anfangen, während er zu seinem alten zurückkehrt. Jede Sekunde ihrer Gegenwart, jeder Moment der Zweisamkeit, der Ausdruck in ihren strahlend blauen Augen, der Klang ihrer Stimme...
Das alles wird Vergangenheit sein, Erinnerung. Wahrscheinlich wird er sich bald schon nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern können.

"Kazumi.", formt Sasori lautlos mit seinen Lippen.

Er ist sich sogar ziemlich sicher, dass er ihn vergessen wird. Er wird genauso verblassen wie die Erinnerung an ihren Duft und das Bild ihres fröhlichen Lächelns.

Es wäre nicht das erste Mal, dass der Rotschopf Merkmale bestimmter Menschen vergessen würde.
Aber es ist definitiv das erste Mal, dass ihm schon allein dieser Gedanke Angst macht.
Sasori wird sie gehen lassen - wie geplant. Doch es wird ihm so schwer fallen wie nichts anderes, da ist er sich sicher.

"Sasori?"
Müde reibt sich Kazumi die Augen und setzt sich auf. Ihr Blick wandert suchend durch das halbdunkle Zimmer.
"Hier.", antwortet der Puppenspieler leise, seine Stimme zittert leicht, was er nicht nachvollziehen kann.

Vorsichtig tastet Kazumi über die Matraze blinzelt einige Male und versucht im Halbschlaf herauszufinden, von wo die geflüsterte Antwort gekommen ist. Ein paar Sekunden lang fixiert sie den dunklen Schatten, den sie für Sasori hält, bevor sie die Hand danach ausstreckt.
"K-kannst du herkommen?"
Ohne zu zögern kommt der Rotschopf dieser Bitte nach, nimmt ihre Hand und lässt zu, dass das Mädchen ihn zu sich auf die Matraze zieht.
"Was ist los?", will er wissen, als er das Zittern ihrer Finger bemerkt, und er hört, wie sie einmal tief durchatmet.
Fest drückt Kazumi seine Hand und schüttelt den Kopf.
"Jetzt ist alles gut..."
"Kazumi. Lass mich ja nicht auf eine anständige Antwort warten.", sagt er mahnend und seufzend lässt sich das Mädchen wieder nach hinten in das Kissen sinken, ohne die Berührung zu unterbrechen.
"Es ist albern, wirklich. Ich bin aufgewacht und habe für einen Moment gedacht, dass ich Zuhause bin. Ich... Ich hatte Angst, dass das alles nur ein Traum war und ich immernoch-"
Mitten im Satz bricht die Blonde ab, schüttelt erneut den Kopf und ein teils amüsiertes und teils verzweifeltes Schnauben kommt ihr über die Lippen.
Vorsichtig entzieht der Rotschopf ihr seine Hand, um sich neben das Mädchen auf die Matraze zu legen. Zaghaft streichen seine Finger über ihre warme Wange, fahren anschließend durch ihre blonden Locken.
"Schlaf. Ich bin hier. Es war kein Traum.", versucht er Kazumi zu beruhigen, die zögernd nickt.
Unter seinen vorsichtigen Berührungen entspannt sie sich schnell und schließt erneut die Augen.
Augenblicklich fühlt sie sich sicher und geborgen. Die Angst, die sie gerade noch erfüllt hat, kommt ihr nun furchtbar lächerlich vor und wohlig seufzend rutscht sie ein wenig näher an den jungen Mann heran, um ihren Kopf an seine Halsbeuge zu legen.
"Danke.", haucht sie beinahe lautlos und kann spüren, wie Sasori den Kopf schüttelt.
"Ich meine es ernst, Sasori. Danke, für alles. Du weißt gar nicht, wie viel mir das bedeutet. Ich stehe tief in deiner Schuld."
"Das hatten wir bereits.", antwortet er ausweichend und obwohl seine Stimme gleichgültig klingt weiß das Mädchen, dass es ihm nicht egal ist.

In den letzten Tagen hat sie ein Gefühl dafür bekommen, wann Sasori etwas mit seinen Worten ausdrücken will und wann ihm etwas wirklich egal ist.
Was sie betrifft, so hat sie in dem Rotschopf einen Freund gefunden und sie kann nicht behaupten, dass ihr Herz auch nicht ein wenig mehr an ihm hängt.
Vor allem ist sie ihm dankbar, doch das ist nicht alles. Da ist dieses merkwürdige Gefühl von Verbundenheit, von Vertrauen. Ein Gefühl von Zuneigung, das über das Maß einer Freundschaft hinaus zu gehen scheint.
Während sie versucht wieder einzuschlafen schleicht sich ein Gedanke in ihren Kopf.
Das leise, hämische Flüstern der Realität, das sich nicht verdrängen lässt.

Sie wird ihn verlieren.

Egal was sie empfindet - Am Ende ihrer Reise wird es keine Bedeutung haben.
Am Ende ihrer Reise wird er sich umdrehen und davon gehen, während sie ihm nach sieht, bis er in der Ferne verschwindet. Jeder Schritt nach vorne bringt sie auch näher an diesen Abschied, der sich nicht vermeiden lässt.
Sie kann nichts daran ändern, denn am Ende werden sie auseinander gehen, wie sie sich getroffen haben.
Als Fremde.
Und nicht mehr werden sie jemals sein.

Dieser Gedanke stimmt Kazumi traurig. Nur all zu gern würde sie wollen, dass ihre Bekanntschaft nicht etwas so Vergängliches wäre, und zeitgleich weiß sie sicher, dass das nur Wunschdenken ist. Ihre Wege werden sich trennen.
Umso wichtiger ist es deshalb, die verbleibende Zeit zu genießen, damit sie sich auch in ein paar Jahren noch gerne daran zurück erinnern wird.
Daran, wie Sasori ihr geholfen hat.
Daran wie er ihre Nähe akzeptiert und zugelassen hat, dass sie ihn an ihrer Sicht der Perfektion teilhaben lässt.
Wie er sich ihr geöffnet hat, wenigstens ein Stück weit.
Kazumi weiß, dass das sehr schwer für den Rotschopf ist. Alles, was über sachliche Diskussionen und nüchtern geteilte Meinungen hinaus geht.
Es ist schwer für ihn, beinahe schon unvorstellbar, und dennoch gibt er sich die größte Mühe, um über seinen eigenen Schatten zu springen.

Vielleicht, so denkt sich das Mädchen, weil er doch nicht so gefühlskalt ist wie er immer spielt.
Vielleicht, weil er es leid ist, allein zu sein.
Vielleicht, weil er langsam begreift, dass die Perfektion, die er anstrebt, ihn am Ende nicht glücklich machen wird. Weil er dann leer sein wird, isoliert von Gefühlen und Menschen, mit denen er diese teilen könnte.

Vielleicht.

Völlig in Gedanken versunken spielt sie mit dem Kragen seines Mantels.
"Du sollst schlafen.", erklingt Sasori's Stimme kühl über ihr.
"Ich weiß."
Stille breitet sich erneut aus bevor Kazumi leise seufzt.
"Sasori?"
Es kommt keine Antwort, doch das iritiert Kazumi nicht. Sie weiß, dass er sie gehört hat und darauf wartet, dass sie fort fährt.
"Wann werden wir Yu-Gakure erreichen?"
"In ein paar Tagen. Drei vielleicht.", antwortet er leise.

Schon so bald...

Beiden wird erst in diesem Moment bewusst, wie vergänglich ihre Bekanntschaft tatsächlich ist.
Und wie nah der Abschied.

完璧 Perfektion - Denn Puppen lieben nicht (Sasori FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt