4. Kapitel

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„Iss doch noch etwas Liam, du brauchst doch Energie für das Spiel." Besorgt musterte meine Mutter in ihrem Etui Kleid meinen leeren Teller und ich unterdrückte ein genervtes Stöhnen. Nur weil sie beschlossen hatte sich für mein Leben zu interessieren. Früher wusste sie nicht einmal wenn ich ein Spiel hatte, geschweige denn kümmerte sie es nicht ob ich was gegessen hatte oder nicht. Aber man sollte meinen, sie wüsste, dass man vor dem Sport nichts essen sollte zumal sie doch ständig ihre Yoga Kurse besucht. Nun, vielleicht lag es auch einfach in der Natur des Mutterseins sich um alles zu sorgen. Manche hatten sowas von Anfang an, andere, wie meine Mutter, entdeckten dieses Metier erst nach dem Erwachsenwerden des Kindes.

„Nun lass ihn doch, er wird schon nicht vom Fleisch fallen deswegen. Was meinst du mein Sohn: gewinnt ihr heute?" Und so gerne ich mich mit Dad auch über Football unterhielt, aber vor einem so wichtigen Spiel über den möglichen Ausgang zu spekulieren half mir wenig dabei meine latente Nervosität zu unterdrücken. Einzig Noah saß entspannt im Schultrikot mit einem verschämten Grinsen am Tisch und langte gerade nach einem weiteren Stück Fleisch zum Essen. Seit den er selbst nicht mehr aktiv spielte, fand er es plötzlich urkomisch wenn wir anderen Aufgeregt waren. Dabei war er früher einer der schlimmsten gewesen. Ein möglicher Kandidat der sich vorher übergab. Ich vermutete, dass er froh war nicht mehr zu spielen, vor allem weil er es eigentlich nur für seine Eltern gemacht hatte um Anerkennung zu bekommen.

Ich hielt es mir vor zu schweigen um stattdessen meine Gedanken zu sammeln. Im Geiste ging ich unsere Spielzüge durch, überlegte wen wir wann aufs Feld schicken sollten und was ich über die Tricks der Gegner wusste. Das Wetter war gut, der Platz optimal präpariert, was für uns ein Vorteil darstellte. Zumal wir bei den Heimspielen eine gute Serie an Siegen für uns beanspruchten und ich würde einen Teufel tun unseren Sieg diesen lächerlichen Bexley's zu schenken. Mein Blick auf die Uhr ließ den Stuhl auf dem ich saß über den Marmorboden schrappen, wodurch ich einen tadelnden Blick meiner Mutter erntete, den ich ignorierte. Stattdessen griff ich nach der Wasserflasche und warf sie in meine offene Tasche. Es war eine alte Angewohnheit von mir, denn eigentlich brauchten wir keine Getränke mitbringen, da sie von der Schule gestellt wurden. Trotzdem packte ich immer eine ein.

„Musst du schon los?" Ganz offensichtlich, dachte ich mir sarkastisch. „Dann schon mal viel Spaß." Mum lächelte mich an, als würde sie am liebsten aufstehen und mich jetzt schon anfeuern. Dad war da anders. Als jemand der mehr Wert auf Erfolge legte, nickte er mir bloß zu und wünschte mir Erfolg. Kurzangebunden bedankte ich mich, bevor ich aus der Küche mit meiner Tasche in der Hand verschwand.

Früher hatte ich Kyle immer um seine Eltern beneidet wenn sie mit angemalten Gesichtern und in voller Fankleidung auf der Tribüne standen um uns anzufeuern. Heute, wo Mum ähnlich hysterisch schrie, verstand ich warum es ihm zeitweise peinlich mit ihnen war. Während ich den Tasche in den Kofferraum packte, überlegte ich mir ob es Sinn machen würde zu beten, dass sie sich heute nicht wie ein Eichhörnchen auf LSD verhielt. Bei Dad musste ich mir keine Sorgen machen, weil er im Gegensatz zu meiner Mutter genug Ahnung vom Football hatte, um tatsächlich Situation angemessene Kommentare zu brüllen. Den Großteil der Zeit diskutierte er aber am liebsten mit William oder Mr. Hastings, bei denen ich den Eindruck hatte, dass sie am liebsten selbst auf den Platz stehen wollten.

Ich schloss den Kofferraum, setzte mich in das Auto und startete den Motor per Knopfdruck. Geräuschvoll heulte dieser auf, als ich rückwärts ausparkte, ein Geräusch, was mir auch nach so vielen Malen trotzdem noch Gänsehaut verpasste. Das Radio schaltete sich automatisch ein und nach den ersten zwei Sekunden wollte ich es direkt wieder Ausschalten. Doch meine Hand hielt inne und unwillkürlich musste ich an die Erinnerung an diesen Song grinsen. Damals wollte ich auch den Sender wechseln, aber Ava hatte entzückt aufgeschrien und meine Hand weg geschlagen wie eine lästige Fliege. Dann fing sie an leise mitzusingen und bezaubert durch ihre Stimme konnte ich nichts sagen. Vermutlich hatte Ava gedacht ich hätte das Radio lauter gemacht, damit ich sie nicht hören musste, aber das Gegenteil war der Fall. Ich hatte gehofft sie würde deswegen lauter mitsingen und würde anfangen sich wohler zu fühlen. Hatte ich zu dem Zeitpunkt schon Gefühle sie entwickelt?

Was es auch gewesen war, es hatte nicht geholfen und eigentlich hatte ich erwartet, dass sich dieses beklemmende Gefühl in mir wieder ausbreitete, doch es blieb nur der leichte Nachhall einer schönen Erinnerung, der mich dazu brachte das Radio lauter zu drehen und mit zu summen . Der Audi bog auf die Straße Richtung Schule ab während ich im Refrain aus vollem Hals sang. Fuck, war ich dumm. Kyle's BMW stand bereits auf dem sonst leeren Parkplatz als ich neben ihm parkte. Mit geschulterter Tasche lief ich zu unseren Umkleiden und genoss diese letzte Art von Ruhe, bevor in einer halben Stunde die anderen auftauchen würden. Hastig zog ich mir das Trikot mit den Namen Jefferson über, nachdem ich routiniert die Protektoren umgeschnallt hatte, und verließ die Kabine in Richtung Spielfeld.

Mein bester Freund war wie zu erwarten bereits da und stand der Tribüne zugewandt. Er drehte sich nicht um während ich zu ihm lief sondern sah weiter geradeaus. Seine einzige Reaktion bestand in einem Nicken als ich neben ihm zum stehen kam, welches ich nicht zu erwidern brauchte. So standen wir beiden also, stillschweigend, dennoch im Einklang mit uns selbst auf einem leeren Platz vor einer einsamen Tribüne. Befriedigt stellte ich fest, dass diese Ruhe in mich kroch und sich langsam in mir ausdehnte, bis ich das Gefühl hatte bereit zu sein für das, was auf uns zukam.

Die ersten auf der Tribüne waren Familie Hastings. Es war leicht zu vergessen, dass nur ihr Vater einen Führerschein hatte und Dave gebracht werden musste. Amber winkte mir fröhlich zu, was ich zu gerne erwiderte. Auch Mr. Hastings grüßte mich vom weitem nur seine älteste Tochter verschränkte die Arme und beugte sich dann zu Amber um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Es schien als habe sie sich von ihrer Note erholt, sofern ich das von meinem Platz aus beurteilen konnte. Um nicht in Versuchung zu geraten zu ihnen zu laufen, drehte ich mich um und ging in die entgegengesetzte Richtung. In der Kabine fand ich schließlich einen etwas unbeholfenen Dave vor, der mit zitternden Händen versuchte den Schulterprotektor zu schließen. Er fluchte leise und hatte mich offensichtlich noch nicht bemerkt. Ich entschied seine Aufmerksamkeit durch ein hüsteln auf mich zu lenken, erreichte aber nur, dass er noch erschrockener den Protektor fallen ließ.

Lachend hob ich ihn auf um ihn Dave zu geben. „Was ist los Dave? Du bist doch sonst nicht so aufgeregt." Er versuchte zu lächeln. Es war mehr eine gequälte Grimasse die mein Lachen verstummen ließ. Besorgt legte ich den Protektor passend auf seine Schulter und zog ihn fest.

„Danke.", murmelte Dave leise, dann versuchte er die andere Seite anzubringen. Es wurde nicht besser so sehr zitterten seine Hände.

„Gib schon her. Also warum bist du so nervös?" Er atmete tief durch, während ich den anderen ebenfalls befestigte. „Lilian kommt. Hat sie zumindest gesagt. Und jetzt verlieren wir wahrscheinlich und das liegt an mir. Bestimmt stolpere ich und mache mich vor allen zum Affen! Wieso hast du mir so einen beschissenen Ratschlag gegeben? Wie soll das funktionieren? Gott, was ist wenn ich aus Versehen dem Gegner den Ball zu passe und die einen Touchdown machen? Ich werde ihr nie wieder unter die Augen treten können! Am besten ich spiele erst gar nicht. Ich-"

Tendenziell etwas überfordert unterbrach ich seinen Wasserfall an Worten. „Du wirst gar nichts außer spielen. Du bist ein Running back, du musst gar nicht passen. Und natürlich wirst du nicht stolpern. Ich bitte dich, du bist einer der besten Spieler, dass wissen wir alle. Lilie wird beeindruckt sein, glaub mir. Und jetzt reiß dich zusammen, sonst machst du dich wirklich zum Affen!"

„Lilian.", murmelte Dave leise und ich kräuselte die Stirn. „Dann eben Lilian. Also, du wirst fantastisch spielen, wir gewinnen und dann geht ihr auf die Party, klar?"

Dave nickte schon etwas motivierter und ich schlug ihm gegen den Kopf. „Gut. Dann sehen wir uns auf dem Spielfeld. Und wehe ich muss Jeff für dich einsetzen, dann wird die Sache mit Lily das geringste deiner Probleme sein." Um die Ernsthaftigkeit meiner Worte zu unterstreichen, hielt ich seine gepolsterten Schultern fest und sah ihm tief in die Augen.

„Sie heißt Lilian." Wie auch immer. 

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