16. Kapitel

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Erleichtert verließ ich den Klassenraum und reihte mich in den Schülermassen ein, als dieser plötzlich zum stocken kam. Weniger erleichtert, mehr genervt über diese unnötige Verzögerung reckte ich mich um etwas zu sehen; kaum sah ich den Grund drängte ich mich durch die Massen ohne auf deren empörten Ausrufe zu achten. „Liam." Jeff drehte sich breit lächelnd und Arme ausstreckend zu mir.

Ich hatte mir unser aufeinander immer anders vorgestellt, blutiger, gewaltvoller. Wie oft hatte ich mir ausgemalt sein Gesicht gegen irgendeine Wand schlagen zu lassen oder ihm in Wasser tauchte bis er jämmerlich um Luft kämpfte, mit einem rostigen Messer seine Eier abzuschneiden, was auch immer. Aber das ich stattdessen vor ihm stand, sprach- und Regungslos, hatte ich am wenigstens erwartet. Warum tat ich nichts? Wieso stand ich hier nur so rum und starrte ihn an? Was war mit mir los? Hatte er nicht alles was ich ihm antun wollte verdient? Sein geschwollenes Gesicht reichte mir nicht, die Naht von der Operation am Kiefer war mir nicht genug. Er verdiente einfach mehr. Das Rascheln hinter mir ließ vermuten, dass noch jemand zu uns stieß. Kyle, mein bester Freund seit Kindheitstagen, tauchte mit verschränkten Armen neben mir auf. Sein Ton war eisig und nichts darin ließ einen anderen Schluss zu als das endgültige Ende unserer Freundschaft. „Was machst du hier? Solltest du nicht längst in irgendeinem Gefängnis sitzen wo du hingehörst?"

Jeff ließ seine Arme sinken ohne dabei das Lächeln zu verlieren. Nur der Ausdruck in seinen Augen verändert sich: sie wurden kalt, distanziert und ich erkannte meinen ehemaligen Kumpel nicht mehr wieder. Ab wo hatte es angefangen? Hätte es jemals einen Weg gegeben um als dies zu verhindern? „Nun, ich weiß deine Sorge zu schätzen Kyle aber ich befürchte dich Enttäuschen zu müssen." Der Sarkasmus und die Geringschätzung war nicht zu überhören.

„Was soll das heißen?", fragte Kyle während ich versuchte meine geballten Fäuste zu lockern. Hier die Fassung zu verlieren würde niemanden helfen. Jeff wollte nur provozieren versuchte ich mir einzureden.

„Nun, ich bin weiterhin ein freier Mann, denn die Anklage wurde zurückgezogen. Aber wer hätte schon etwas anderes erwartet?"

Bevor ich überhaupt ein Wort sagen konnte drang Daves Stimme von Wut getränkt zu uns. „Sie hat was getan?!" Mit sie meinte er wohl Ava und ich stellte mir dieselbe Frage. Vermutlich so wie jeder andere hier es tat. Mein Gott, hatten die denn alle nichts besseres zu tun als hier wie Assgeier zu lauern? Schnell suchte ich die Menge ab und fand Dave relativ schnell. Sein Gesicht sprach Bände und sicherlich überlegte er wie viel sein Gips aushalten könnte. Jeff lachte nur schrill während Dave sich umdrehte und in die entgegengesetzte Richtung verschwand. Ich zögerte nicht lange sondern folgte ihm. So gerne ich mich um Jeff's Lebensverkürzung gekümmert hätte, so wusste ich auch, dass Dave momentan unberechenbar war. Und wenn er nicht zu Jeffrey wollte, dann gab es nur eine weitere Person die noch in Frage kam. Ava.

Die meisten schienen instinktiv zu wissen dass es besser war mir aus dem Weg zu gehen. Die anderen hatten Pech und wurden achtlos zur Seite geschoben. „Aber Liam, willst du dich gar nicht mit mir unterhalten? Wir haben uns doch noch so viel zu erzählen!", rief Jeff von hinten und wieder ballten sich meine Fäuste, doch ich zwang mich weiterhin dazu ihn zu ignorieren. Dave hatte die Menge hinter sich gelassen und bog in den Gang zu den Schließfächern ab. Meine Schritte beschleunigten sich, aber ich kam nicht so schnell voran wie er.

Am Rande angekommen rannte ich los. Was immer passieren würde, es war sicherlich nichts Gutes und das Schicksal schien mir zuzustimmen. Daves Gebrüll war schon zu hören bevor ich überhaupt im richtigen Gang war. Meine Beine liefen noch schneller und schnitten die Kurve, sodass ich beinahe ausgerutscht wäre. „-BESCHEUERT BIST DU DIE ANKLAGE ZURÜCKZUZIEHEN? WAS FÄLLT DIR EINEN DEINEM BESCHEUERTEN KOPF EIN? WEIST DU NICHT MEHR WAS ER GETAN HAT DU DUMME-" Er kam nicht weiter, denn meine Hand packte seinen Kragen und riss ihn zu Seite. Noch taumelnd sah er mich an, als ich mich zwischen ihn und Ava stellte. Seine Augen schienen Funken zu sprühen, sogar Speichel hing an seiner Lippe. „Was soll das Liam? Spinnst du?", fuhr er mich an, doch ich war schneller.

Erneut griff ich ihn an seinem Kragen und drückte ihn gegen den Nächsten Spind. Dave versuchte sich zu wehren, kam aber nicht gegen mich an. „Du fragst mich was mit mir los sei? Schau dich selbst doch mal an! Brüllst deine Schwester an ohne ihr überhaupt die Gelegenheit zu geben etwas zu sagen. Beruhig dich Man! Sie ist deine Schwester."

Äußerlich wurde sein Körper ruhiger, trotzdem spürte ich die Anspannung unter meinen Händen. „Ach ja? Meine Schwester ist eigentlich intelligent genug um diesen Wichser nicht einfach laufen zu lassen. Meine Schwester wäre nicht so feige gewesen und hätte die Anklage zurück gezogen." Verächtlich sah er auf Ava hinab. „Aber das hier, das ist nicht mehr meine Schwester."

Es dauerte einen Moment, dann traf meine Hand sein Gesicht. Kaum dass er zurückweichen konnte, tat er es auch und mit seiner gesunden Hand hielt er seine Wange. Fassungslosigkeit lag in seinem Blick und hätte sich nicht eine kalte Hand auf meine Schultern gelegt, hätte ich mich sicher nicht zusammenreißen können. Es gab so vieles was ich ihm in diesem Moment sagen wollte. Wo war sein Verstand geblieben? Was dachte er eigentlich wer er war? Es brodelte in mir, heiße Wut strömte in meinen Adern durch den Körper doch im Unterschied zu Dave wusste ich, was Beherrschung war. Ihn zu schlagen stand nicht zur Debatte und auch sonst hatte ich nichts um ihn Ansatzweise zu verletzen. Es gab nur eines was ich konnte und wohlmöglich würde ich es am Ende noch mehr bereuen. „ Du bist aus dem Team. Bis heute Nachmittag sind deine Sachen aus der Umkleide verschwunden."

„Was? Liam, das kannst du nicht tun!" Entsetzen stand auf seinem Gesicht. „Du weißt dass ihr ohne mich verlieren werdet!"

Ich verschränkte die Arme. „Witzig, dasselbe hat Jeffrey damals auch gesagt als er für dich gehen musste. Und Dave," Ich trat einen Schritt auf ihn zu. „ trotzdem musste er gehen."

Er stieß einen animalischen Laut auf, schlug im gehen mit der gesunden Hand gegen einen Spind und verschwand. Mit geschlossenen Augen atmete ich tief durch bevor ich mich wieder zu Ava drehen konnte. Ihr Anblick versetzte mir Stiche, denn zum ersten Mal seit ich sie kannte wirkte sie gebrochen. Sie sah auf einen Punkt hinter mir und ich wusste, dass sie Dave nachsah. Vielleicht hoffte sie er würde wieder zur Vernunft kommen, aber ich rechnete mir da wenige Chancen ein. Vorsichtig näherte ich mich ihr. In ihrem löchrigen, viel zu großen Pullover wirkte sie seltsam verloren. „Ava?" Ruckartig sah sie zu mir und das Schimmern in ihren Augen sagte mir genug. „Hey.", murmelte ich, dann lag sie an meiner Brust, klammerte sich an meinem Shirt fest und weinte. Hilfloses Schluchzen drang aus ihr hervor während ich sanft meine Arme um ihre zierlichen Schultern legte. „Wir kriegen das wieder hin.", flüsterte ich leise, obwohl ich mir da nicht einmal mehr sicher war. Ava schien mich eh nicht mehr hören zu können. Sie weinte weiter und ich konnte nichts anderes tun als bei ihr zu bleiben.

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