18. Kapitel

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Schade, ich hatte gehofft, dass ihr Dad Frühschicht hatte. Meine Hoffnung wurde enttäuscht als ich neben deren alten Jeep parkte und Ava mein Angebot umzudrehen ausschlug. Zum Glück war es nicht mein Vater mit dem dieses Gespräch geführt werden musste und trotzdem war es unangenehm für mich. „Haben wir eine Gesprächstaktik? Irgendwelche Safewords um zu verschwinden?"

„Safewords gibt es, soweit ich weis, nur in BDSM Bereichen und ich denke nicht, dass wir eine Taktik brauchen um mit Dad zu sprechen." Ava sah abschätzend über die Schulter.

„Du kennst dich mit sowas aus?", fragte ich fassungslos und Ava zwinkerte mir einfach nur zu. Dann öffnete sie mit ihren Schlüssel die Tür bevor sie ins Innere trat. Beklommen folgte ich ihr, sah ihren Vater wie er am Tisch saß und gerade die Zeitung beiseite legte als er uns erkannte.

„Dave hat mich angerufen." Es folgte keine Begrüßung oder andere freundliche Worte, keine Versöhnliche Geste die Daves Verhalten entschuldigen sollte. Unwillkürlich fragte ich mich, ob es bei mir zu Hause damals auch so kühl war. Ich hatte Mr. Hastings als einen liebevollen Vater kennen gelernt aber ihn so zu sehen ließ mich an meinen Bild von ihm zweifeln.  „Meinst du nicht, dass ich in deiner Entscheidung auch ein Wort mitzureden gehabt hätte? Du bist nicht volljährig, solche Entscheidungen darfst du gar nicht alleine treffen!" Er verschränkte die Arme und Ava schnaubte. Wusste sie, dass diese Schlacht schon verloren war bevor wir das Haus betreten hatten?

„Dad, bei aller Liebe, aber die Zeit wo du noch Entscheidungen über mich getroffen hast war ab dem Zeitpunkt vorbei wo ich bei den Nachbarn betteln musste etwas Nahrung zu bekommen und ich von meinem ersten Gehältern den Strom bezahlen musste weil du es nicht konntest!" Er sah sie an und sie hielt seinem Blick ohne Mühe stand. „Was meine Entscheidung angeht hätte ich mit dir gesprochen, aber im Moment zieht ihr es ja vor mich wie eine Aussetzige zu behandeln und ich hoffe einfach ihr versteht irgendwann, dass niemand Rücksicht auf euch nehmen muss. Die Welt schuldet euch rein gar nichts."

„Ava." Mr. Hastings Stimme hatte einen drohenden Unterton und ich trat näher zu Ava, nur für den Fall. „ Ich weis nicht was in Moment mit dir los ist, aber dein Verhalten in letzter Zeit ist wirklich grenzwertig. Ich habe versucht Rücksicht mit dir zu haben, das habe ich wirklich, aber irgendwann ist meine Geduld auch am Ende. Was meinst du wie es uns dabei geht? Wie konntest du nur so eine leichtfertige und rücksichtslose Entscheidung treffen." Am Ende des Satzes wurde seine Stimme immer mehr zu einem dröhnen.

„Gegenfrage Dad: weißt du wie es mir geht? Wann hast du mich das zuletzt gefragt?" Ava stemmte ihre Hände in die Hüfte, doch ich sah das Zittern, hörte das flackern in ihrer Stimme.

„Bist du allen Ernstes deswegen nach Hause gekommen? Um mir hier Sachen an den Kopf zu werfen weil ich noch andere Dinge erledigen muss?" Dieser Tonfall war wie der von Dave als er ihr gesagt hatte, dass sie nicht mehr seine Schwester sei. Es klang abwertend, verletzend und ich sah ihr an wie sehr es sie traf. 

„Abgesehen davon, dass ich hier alles mache und regel; nein. Ich bin hier um meine Sachen zu packen. Eigentlich wollte ich mit dir vernünftig reden aber offensichtlich geht das jetzt gerade nicht. Und ich gehe lieber als nachher Dinge zu sagen die man nicht zurück nehmen kann. Denn im Gegensatz zu Dave kann ich wenigstens ein bisschen nachdenken."

Ihr Vater stand mit wutverzerrten Gesicht auf und haute so plötzlich auf dem Tisch, dass Ava bei dem Knallen erschrocken zusammenfuhr. Nicht einmal eine Sekunde später hatte ich sie hinter mich geschoben, mein Körper bereit für alles was kommen konnte. Warum konnte ihr eigentlich niemand zuhören?  Mr. Hastings schien nicht zu merken welche Angst er seiner Tochter machte oder es interessierte ihn nicht mehr. „Lass Dave aus dem Spiel! Es ist nicht seine Schuld, dass du aus diesen verdammten Becher getrunken hat! Und wegen diesem Idioten ist seine Hand jetzt gebrochen! Wegen dir ist er aus der Mannschaft raus geflogen! Und es ist deine Schuld wenn er kein Stipendium deswegen bekommt!", schrie er sie urplötzlich an und Speichel tropfen fielen auf den Tisch, während es in mir durchbrannte. 

Ich wusste es, weil meine Sicht wieder anfing zu verschwimmen, die Ränder flackerten und das Piepen in meinem Ohr verstärkte sich als ich ihn Fassungslos ansah. Ich musste mich verhört haben, anders konnte ich mir das nicht erklären. Der Mr. Hastings den ich kannte sagte so etwas nicht. Der Mr. Hastings liebte seine Tochter.  „Meinen Sie dass Ernst? Geben Sie ernsthaft Ava die Schuld dafür unter Drogen gesetzt und fast vergewaltigt worden zu sein? Dass Dave auf Jeff einschlagen hat und sich selbst die Hand gebrochen hat? Das sie an seinem Verhalten Schuld ist und er deswegen geflogen ist? Denken Sie doch mal nach, wer außer Dave selbst soll die Schuld daran tragen?" 

Ich merkte erst dass ich ihm näher kam als Ava's Hände mich an den Oberarmen fest hielt. „Liam, lass uns einfach die Sachen holen und verschwinden." Dann sprach sie wieder zu ihren Vater, der noch immer mit geballten Händen am Tisch stand. „Wie es aussieht stehen die Fronten hier fest. Weißt du Dad, ich hätte gerne mit dir gesprochen, eigentlich habe ich unsere Gespräche immer sehr gemocht." Ich war mir sicher ihr war sein Schweigen zu meiner Frage ebenfalls aufgefallen als sie meine Hand nahm und nach oben eilte. Später war ihr Vater verschwunden, das Haus leer.

*

„Sollen wir darüber reden?", fragte ich sie als wir im Auto saßen doch Ava schüttelte nur den Kopf und sah weiter aus dem Fenster, ihre Haare verdeckten ihr Gesicht. Das Beben ihres Körpers konnte sie allerdings nicht verbergen. Sie war die erste Person, die ich kannte, die stumm weinen konnte. Ich haderte mit mir selbst, wollte ihr einerseits Raum geben, anderseits auch für sie da sein. Beides schien in diesem Moment nicht zusammen zupassen, was mich belastete. Was sollte ich tun? Was war falsch? Wie konnte ich ihr helfen? Konnte ich ihr helfen? Aber selbst wenn ich gewusst hätte wie, die Frage ob Ava das hätte annehmen können war eine ganz andere. Wortlos reichte ich ihr eine Taschentuchpackung aus dem Getränkehalter und genauso wortlos nahm sie es mir ab.

Ich bog in unsere Einfahrt ab und war froh, dass nur Mum's Auto da stand. Ava war sicher froh so wenig Menschen wie möglich zu sehen wo sie sich sonst hinter ihre Stärke verstecken konnte. Der Wagen kam zum halten und ich holte ihre Tasche aus dem Kofferraum als ich merkte, dass sie nicht ausgestiegen war. Seufzend stellte ich die Tasche wieder ab und öffnete ihre Tür. „Ava?"

Es dauerte nur einen kurzen Moment, dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Ich hatte ein Blick auf die verletzliche Ava werfen können und auch wenn die Umstände scheiße waren war ich froh dass sie es vor mir war. „Sollen wir reingehen?" Sie nickte und fuhr mit dem Taschentuch über ihr Gesicht. Mit immer noch zitternden Händen löste sie den Gurt, dann stieg sie aus. Sie wehrte sich nicht als ich meinen Arm um sie legte, noch machte sie überhaupt Anzeichen etwas mitzubekommen und ich fragte mich ob ich ihre Situation gerade ausnutze. 

Gemeinsam gingen wir auf das Haus zu und Mum öffnete uns bereits die Tür bevor wir sie überhaupt erreicht hatten. Sie trug noch ihre Kochschürze, in ihrem Blick lag so viel Mitgefühl als sie Ava sah und ich merkte welches Glück ich hatte. Kaum hatte ich meinen Arm von Ava genommen, breitete Mum die ihre aus. „Komm her Schätzchen.", sagte sie zu ihr und einen Wimpernschlag später umschlungen sie Ava.

„Es tut so weh.", brachte sie erstickt hervor. Ihr Anblick brach mir das Herz. Wieso gab es nichts was ich tun konnte? Ihr Körper wurde von unkontrollierte, Schluchzen übermannt und alleine das zusehen schmerzte.

Mum wiegte sie sanft und deutete mir mit einem Kopfnicken ins Haus zu gehen. „Ich weiß." Sie küsste sanft Ava's Scheitel. „Ich weiß." Stumm ging ich an ihnen vorbei ins Haus um zumindest schon einmal die Tasche in ihr Zimmer zu bringen um überhaupt etwas tun zu können. 

Vielleicht, überlegte ich als ich den Flur entlang zu den Schlafzimmern ging, war es doch eine gute Idee gewesen sie hierher zu bringen. Dann sah ich von der Galerie wie Mum ihr über die Schwarzen haare streichte und war mir dessen sicher. 

ElysiumWhere stories live. Discover now