17. Kapitel

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„Komm mit.", sagte ich zu Ava als ich das Leuten der Glocke hörte. Sie bewegte sich nicht und ich zog sanft an ihrer Hand um sie in einer der Abstellkammern zu bringen. Man merkte an ihrem verhalten, dass etwas nicht stimmte, denn normalerweise wäre sie niemals mit mir darein gegangen. Doch wie gesagt: es war nicht normal. Teilnahmslos stolperte sie hinter mir her während ich mich schnell vergewisserte ob jemand in der Nähe war um uns zu beobachten. Als ich mir sicher war ungesehen zu sein, öffnete ich die Tür und ließ Ava den Vortritt.

Kurz darauf waren die Gespräche von Schülern zu hören die in der Gesamtlautstärke untergingen und zu einer Masse wurden. Mein Blick galt der Tür also konnte ich nur im Augenwinkel sehen wie Ava sich auf den Boden niederließ und den Kopf auf ihre angewinkelten Knie legte. „Was hast du jetzt vor?", fragte ich sie leise. Zuerst dachte ich, sie hätte mich vielleicht nicht gehört aber dann hörte ich erneutes Schluchzend. Ich drehte mich nicht um weil ich mich dann noch hilfloser gefühlt hätte und wenigstens einer hier einen klaren Kopf behalten sollte. „Ava?"

„Ich weis es nicht.", antwortete sie erschöpft.

Es war das erste mal, dass ich sie in so einer Verfassung erlebte. Normalerweise war sie die Starke, die die Pläne hatte, die wusste was zu tun war. Sie aber so zu sehen, so traurig und auch ausgelaugt, tat mir merkwürdig weh. Es war nicht richtig hier zu sein wenn es eigentlich ihre Familie war die sie brauchte. Hatten sie nicht gesehen wie müde Ava war? „Soll ich dich irgendwo hinbringen oder jemanden anrufen?" Ich wusste von zwei Freundinnen, allerdings nicht wie ich die hätte erreichen können. Ich wandte mich der Tür ab und ging zu ihr. Der Raum war so klein, dass sich unsere Knie berührten als ich mich ihr gegenüber setzte.

„Nein, ich-", stockte sie und wir beiden wussten was sie noch hatte sagen wollen: sie hatte niemanden. Zum Teil trug ich die Verantwortung dafür, vermutlich sogar für einen noch größeren Teil aber das half uns nicht weiter. Sie nestelte an ihrem Pullover. „Und was soll ich zuhause noch? Du hast es ja eben gehört. Wenn Dad das erfährt..." Wieder verlor sich ihre Stimme.

„Und wenn du erst woanders bleibst?" Vielleicht ab es ja doch noch irgendwelche Freunde oder Verwandte wo sie zumindest eine Zeitlang hingehen konnte. Ava lehnte ihren Kopf gegen die Wand und sah zur Decke hinauf.

„Niemand der nahe genug wohnt um im Notfall schnell bei Amber zu sein. Und ohne Führerschein kann ich auch nicht zur Schule oder ins Sage. Nein, ich muss wieder nach Hause." Sie lächelte mich schief an, doch es war bei weitem kein fröhliches lächeln. „Ich meine, was kann noch schlimmes passieren?"

Ich lächelte nicht. Es gab nur wenige Momente in denen mir noch weniger zu Lächeln zumute war als jetzt, aber so sehr ich auch überlegte fand ich trotzdem keine Lösung. Es war auch schwierig wenn der einzige der sich um sie sorgte hier mit ihr in diesem Raum saß. Diese Situation erinnerte mich an die mit Noah damals und ich meinte mich zu erinnern dass wir ein ähnliches Gespräch geführt hatten auch wenn die Ausgangslage eine völlig andere war. Schließlich wurde Ava nicht wegen ihrer sexuellen Neigung zusammengeschlagen, noch hatte ihr Vater auf sie uriniert. Und bei Noah stand eine Rückkehr in seine Familie außer Frage, auch wenn er länger gebraucht hatte um das zu verstehen. Im Endeffekt ging es ihm bei uns erheblich besser als vorher. „Du kannst auch bei uns schlafen. Also wenn du willst. Wir haben Platz genug und es ist in der Nähe der Schule und Amber." 

Ava sah mich überrascht an und ich dachte schon es würde an meinen plötzlich lauten Herzschlag liegen. Gott, was hatte ich ihr gerade vorgeschlagen? Vermutlich würde sie lieber bei ihrer Familie bleiben als nur auch einen Fuß auf unser Grundstück zu setzten. Toll gemacht Jefferson, wirklich eine sehr gute Idee. Für sie war es die Wahl zwischen Pest und Cholera. Ich machte mich auf eine bissige Antwort gefasst und versuchte mein Selbstwertgefühl darauf vorzubereiten aber die Antwort blieb aus. Ihre Augen durchbohrten mich förmlich. „Und was willst du dies mal dafür?"

Irritiert blinzelte ich einige Male während mein Kopf diskutierte was sie damit meinte. „Was zur Hölle sollte ich dafür haben wollen?"

Ava zuckte mit den Schultern. „Ach ich weis nicht, vielleicht wieder Sex oder was dir gerade noch in den Kram passt.", erwiderte sie bissig. Siehe da, die alte Ava war nicht ganz verloren. Zu ihrer Verteidigung musste ich mir eingestehen dass sie keinen Grund hatte mir zu vertrauen, aber mir trotzdem zuzutrauen ihre momentane Lage auszunutzen? Das ging doch etwas zu weit.

„Ava Hastings, ich verspreche dir dabei keine Hintergedanken gehabt zu haben." Feierlich legte ich meine Hand auf die Brust und weil sie schon wieder die Augen verdrehen konnte, entschied ich mich für ein leichtes tritzen. „Aber wenn du dich unbedingt erkenntlich zeigen willst..." Das Buch flog schneller als ich den Satz beenden konnte. Lachend fing ich es ab bevor es meinen Kopf traf und besah mir den Einband. „Oh die Bibel, möchtest du, dass ich darauf schwöre?"

„Es wundert mich warum deine Hand nicht in Rauch aufgeht wenn du sie anfasst." Auch wenn Ava es später leugnete war ich mir sicher, dass sie auch gegrinst hat.

*

Die Schüler waren längst in ihren Klassen verschwunden als wir auf den Gang traten und ich nahm ihren Rucksack ab. Anders als bei Amber wollte Ava allerdings kein Händchenhalten. Trotzdem zog sie ihre Hand nach den dritten Anlauf nicht mehr weg. Gemeinsam gingen wir durch die leere Schule zu den Parkplätzen und unterwegs zog ich mein Handy aus der Tasche um Mum anzurufen. Es dauerte nicht lange bis sie abhob. „Liam, hast du nicht Unterricht? Ist alles in Ordnung?"

„Es geht mir gut. Mum, ich wollte fragen ob Ava eine Weile bei uns wohnen kann. Es gibt bei ihre zu Hause ein paar Probleme wegen der Sache mit Jeffrey.", erklärte ich kurz, wobei ich die wichtigsten Sachen vorab ließ. Auf dem Schulhof die familiäre Situation von ihr zu besprechen erschien mir nicht klug.

Es raschelte am anderen Ende der Leitung und offensichtlich war Mum mit irgendwelchen Blättern beschäftig. „Das Mädchen von dem Abendessen? Die die gesagt hat ich sei eine schlechte Mutter?"

„Also ganz so hat sie das aber nicht gesagt.", protestierte ich. „Aber ja, die mir Nachhilfe gegeben hat." (Delirium- Kapitel LII)

„Natürlich kann sie erst einmal hier bleiben. Ich mache ihr ein Zimmer fertig, kommt ihr gleich schon?"

Erleichtert atmete ich auf und sagte ihr, dass wir in einer Stunde ungefähr da sein würden. Dann verabschiedete sie sich. „Sag ihr nächstes Mal besser nicht sie sei eine schlechte Mutter.", sagte ich Ava und wir beiden grinsten.

„Wenn sie mich nicht fragt, dann werde ich auch nichts sagen. Du musst mich aber nicht fahren, ich kann auch den Bus nehmen. Schließlich hast du schon wegen Amber Unterricht verpasst." Ihre Stirn kräuselte sich wie sie es immer tat wenn sie sich wegen etwas Gedanken machte.

„Nein, es ist wirklich in Ordnung. Wir fahren eben zu dir, holen ein paar Sachen und bringen sie zu mir. Alles halb so wild.", winkte ich ab. Da ich unerwartete gut in der Schule war, konnten die zwei Tage mich auch nicht völlig nach hinten schmeißen.

„Und ich rede mit Dad.", setzte Ava hinzu. Sie klang nicht ängstlich oder aufgeregt deswegen. Ihre Stimme wirkte resigniert, als wüsste sie was auf sie zukommen würde. Und nach der Sache mit Dave konnte ich sie verstehen. 

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