11. Kapitel

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Ava blieb seit dem verschwunden, zumindest in der Schule. Ich wusste von Dave, dass sie nach dem morgen im Krankenhaus den ganzen Tag weg war aber er hatte keine Ahnung wo sie sich rumgetrieben hatte. Er war ziemlich sauer deswegen, weil sie weder an ihr Handy gegangen sei noch sich sonst irgendwie gemeldet habe. Stattdessen kam sie nach seinen Aussagen Abends nach Hause und machte weiter wo sie aufgehört hatte, so als sei niemals etwas passiert. Mir war noch nicht klar ob ich ihr Verhalten gut oder Besorgniserregend fand nur dass ihre Entscheidung vorerst nicht in die Schule zu kommen Goldrichtig war denn seit dem Abend war die Hölle los. Jeder, ausnahmslos, wusste Bescheid. In den Pausen sah man sich das Video an, in den Unterricht flüsterte man sich die wildesten Sachen zu, die man gehört habe. So war Ava vollkommen nackt gewesen oder ich hätte Jeff ein Auge ausgeschlagen. Konnte man ein Auge überhaupt ausschlagen?

Und vielleicht hätten die Lehrer dagegen etwas machen können, wenn sie nicht selbst ständig darüber tuscheln würden. Es wurde sogar eine Versammlung einberufen um diesen „Zwischenfall" zu besprechen wo Ava als wehrloses Opfer dargestellt wurde was mich extrem aufregte, schließlich hatte sie schon unter Drogen alles richtig gemacht wo andere nicht mal so drauf gekommen wären. Aber noch mehr regte mich Dave auf und ich wusste es war nicht in Ordnung weil er sich bestimmt auch Sorgen um seine Schwester machte aber dass er nicht für sie einschritt oder klarstellte wie es gelaufen war, das ging mir gewaltig gegen den Strich. Es gab nur vier Personen die alles wussten und dass waren Jeff, der aktuell nicht die Schule besuchte (verwunderlich), Ava, die ebenfalls zuhause blieb, Ich, dem es nicht zustand über die Vorkommnisse zu sprechen ohne Ava's Zustimmung und eben Dave, der es aber vorzog sich lieber in seiner Heldenrolle zu sehen. Das wegen ihm Ava überhaupt dort gewesen war ignorierte er geschickt. Lieber zeigte er allen die fragten seine verbundene Hand und stellte sich dabei so ins Rampenlicht, dass ich ihn zeitweise nicht wieder erkannte.

Und alle glaubten ihm, liefen um ihn herum, trugen sogar seine Tasche ohne zu hinterfragen. War ich früher auch so gewesen? So selbstverliebt? Hatte ich mich als König gesehen? Vermutlich würde mir die Antwort nicht gefallen, also überlegte ich erst gar nicht. Ich löste meinen Blick von ihm als ich durch die Tür nach Draußen ging. Sonnenstrahlen blendeten mich, nahmen mir für den Augenblick die Sicht und so übersah ich die kleine Gestalt vor mir bis ich in sie hinein lief. Überrascht schaffte ich es gerade noch so sie festzuhalten bevor ihr Körper den Boden berührt hätte.

„Amber, alles gut? Hast du dir wehgetan?", fragte ich sie besorgt und scannte ihren Körper auf Sichtbare Verletzungen ab aber bis auf zwei durch weinen gerötete Augen sah ich nichts Ungewöhnliches. Amber schüttelte ihren Kopf, sodass ihre blonden Locken im Sonnenlicht zu tanzen schienen und schniefte hörbar laut. „Na komm her, was ist denn passiert?" In meinen Armen brach sie erneut in Tränen aus und dünne Ärmchen schlossen sich um meinen Hals während sie unartikulierte Laute von sich gab die ich nicht verstand. Seufzend hob ich sie auf meinen Arm, dann steuerte ich eine etwas Abseitsgelegene Bank an. Sie war leichter als in meiner Erinnerung und es bereitete mir Sorgen. Ich meine, vielleicht war das ja auch normal aber sie sah so dünn aus. Sahen alle so aus? Fürsorglich rieb ich im Gehen ihre Ärmchen zur selben Zeit wie ich überlegte was man in solchen Situationen tat. Zugegeben, eventuell war ich ein klein wenig überfordert mit diesem weinenden Etwas in meinen Armen aber eine schwierige Situation wie diese galt es eben gemeistert zu werden. Also wiegte ich sie leicht als wir saßen und wartete ab, bis der Strom an Tränen versiegte und sie wieder sprechen konnte.

„Dave und Ava, na ja, also sie...", druckste sie herum während sie mit ihren kleinen Fäusten letzte tränen wegwischte. Zu warten bis sie weiter sprach erschien mir das einfachste, also wartete ich ab und es klappte sogar. Sie holte Tief Luft, dann schien sie gar nicht mehr aufhören zu können. „Sie streiten sich ganz oft. Und Daddy auch. Wegen dieser Feiern. Und Dave ist so doof! Immer muss er alles an ihr kritisieren und Daddy sagt gar nicht, dass er es lassen soll. Weißt du, weil Ava ist nämlich abgehauen und hat keinen gesagt das sie geht und dann kam sie nach Hause und Daddy hat sich ganz dolle aufgeregt, aber ich habe das nicht so ganz mitbekommen weil Ava mich auf unser Zimmer geschickt hat." Dann sah sie mir ganz tief in die Augen und flüsterte leise. „Aber ich hab ihn trotzdem schreien gehört. Ganz doll. Weil Avalon einfach weg war. Aber Avalon ist ganz ruhig geblieben deswegen weiß ich nicht was sie gesagt hat. Naja und jetzt reden sie so gut wie gar nicht mehr. Aber weißt du, ich glaube Ava brauch jemanden mit dem sie reden kann. Davie und Dad wollen ihr aber nicht zuhören und sie sagt, dass ich zu jung bin. Findest du ich bin zu jung?" Sie musterte mich ernsthaft. Ich zuckte mit den Schultern, denn auf die Schnelle fiel mir keine kluge Antwort ein. „Ja findest du auch. Aber ich bin gar nicht mehr so jung, ich bin schon Zehn Jahre alt! Ich höre sie manchmal nachts weinen wenn sie denkt, dass ich schlafe und das hab ich Davie erzählt und weißt du was der gemacht hat? Gar nichts. Manchmal glaube ich, dass ihm Ava egal ist. Und sie will erst wieder zur Schule wenn der blaue Fleck weg ist. Dave hat deswegen gemeckert. Aber Dave ist so wie so voll doof. Fast so doof wie die Jungs aus meiner Klasse.", murmelte sie leise, dass ich es beinahe nicht hörte.

„Was haben denn die doofen Jungs aus deiner Klasse gemacht?", fragte ich besorgt nach, versucht meine Wut die unterschwellig in mir wieder hochkochte zu bezwingen. Was sie sagte passte zu den Eindruck den ich hatte, verstärkte das Gefühl der Enge in meiner Brust.

„Sie ärgern mich weil ich krank bin und so oft fehle und sagen dass ich dumm bin weil ich ja immer wieder was verpasse." So so, sowas niederträchtiges machten sie also?

„Und warum bist du hier und nicht in der Schule?"

„Weil die eben wieder ganz gemein waren und ich zu Dave wollte aber er hatte keine Zeit für mich." Amber drückte sich fester an meine Brust, ihre Haare fielen wie ein Vorhang vor ihr Gesicht und zwischen meine Wut schlängelte sich Verachtung, ein Gefühl was ich im Bezug auf Dave bisher noch nie hatte. Aber wie konnte er keine Zeit für seine Schwester haben? Wie konnte er so blind sein für ihre Sorgen? Jemand sollte vielleicht einmal mit ihm sprechen um ihn zurück auf unseren Planten zu holen, zurück ins Jetzt.

„Na komm." Ich setzte Amber auf den Boden ab, nahm ihre Hand und stand ebenfalls auf. Mit ihren pinken Rucksack auf meiner Schulter ging ich los. „Ich habe gerade Zeit."

Nervös tippelte Amber neben mir her und ich war mir ihren Blick auf mich bewusst, wusste dass ihr Kopf raste um zu überlegen was ich vor hatte und wie sie schließlich die Erkenntnis traf. Schockiert blieb sie stehen. „Aber das kannst du nicht machen Liam! Das geht nicht!"

Als sie merkte, dass ich auch ohne sie weiter zu der angrenzenden Elementry School ging, rannte sie schnell wieder zu meiner Seite. „Doch das kann ich. Ich finde jedes Mädchen braucht jemanden der auf sie aufpasst oder nicht?" Sie sah mich kritisch an. Wieder etwas, was sie mit ihrer Schwester gemeinsam hatte.

„So wie du bei Ava?" Ich stockte und blieb stehen.

Dann ging ich auf Augenhöhe. „Ich verrate dir ein Geheimnis: ich glaube Ava passt auf mich auf."

Ambers Gesicht hellte auf und wieder änderte sich etwas in ihrem Blick, was mich so sehr an ihre Schwester erinnerte. Es war diese Art von Stärke die mich immer schon beeindruckt hatte. „Weil wir Frauen stark genug sind um auf uns selbst aufpassen können, wir brauchen dafür keinen Mann." Stolz reckte sie ihr Kinn und lachend streckte ich mich. Ja, sie war auf jeden Fall eine Hastings. „Trotzdem kommst du mit oder?", fragte sie schüchtern und schob ihre kleine Hand wieder in meine. Ich lächelte sie versonnen an.

„Immer.", antwortete ich und drückte sachte ihre zierliche Hand.

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