19. Kapitel

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„Liam, hast du gesehen das Ava hier ist?" Noah stand in meiner Tür und sah mich mit schockiertem Blick an. Ich seufzte leicht, bevor ich mich ganz zu ihm drehte. Er hatte es offenbar so eilig mit mir zu sprechen, dass er es noch einmal geschafft hatte seine Schultasche abzulegen. Seine Haare lagen noch genauso wie er sie am Morgen frisiert hatte und ich fragte mich unbewusst wie er das jedes Mal schaffte; meine dagegen waren absolut eigensinnig.

„Ist das wahr?", fragte ich ironisch, „Ich dachte ich hatte sie mir nur eingebildet aber offenbar saß sie doch neben mir im Auto heute."

Noah trat weiter in mein Zimmer, schloss die Tür hinter sich und legte seine Tasche ab, während er mich plötzlich kritisch musterte. „Sie ist aber schon freiwillig hier oder?" Ich sparte mir die Antwort sondern zwinkerte ihm nur verschworen zu als sich mein Körper an ihm vorbeischob und zur Tür verschwand. „Das ist nicht witzig Liam!" Seine Stimme überschlug sich fast so sehr wie seine Beine, die mir zu folgen versuchten.

Ich achtete nicht weiter auf ihn sondern ging zu Ava's vorrübergehenden Zimmer, klopfte und wartete nicht auf eine Antwort bevor ich die Tür öffnete. „Herein." Sie machte eine übertriebene Geste mit ihrer Hand, dann drehte sie sich wie ich zuvor auf dem Stuhl zu mir. „Gibt es einen speziellen Anlass für euren Besuch?" Ava klang wie Ava eben immer klang; nichts verriet etwas von dem Streit mit ihrem Vater oder ihrem Bruder, im Gegenteil, es war wie immer eigentlich. Aber ich wusste es besser.

„Noah hier", ich zog ihn neben mich. „machte sich Sorgen über deinen möglicherweise erzwungenen Aufenthalt hier. Wenn du ihm also sagen würdest, dass ich dich nicht entführt habe wäre ich dir sehr verbunden."

„Ich bin freiwillig hier, aber danke für deine Sorge Noah." Sie lächelte ihn freundlich an und sah wieder in die Bücher die im Chaos auf dem Tisch verteilt waren. Für sie war somit das Gespräch beendet, für Noah schien es erst der Anfang gewesen zu sein. Wie selbstverständlich legte er sich auf ihr Bett, was ja eigentlich das Bett meiner Eltern war und machte Anstalten seine Beine ebenfalls auf das Bett zu legen. „Es wäre schön wenn du vorher deine Schuhe ausziehen würdest.", kommentierte Ava trocken von ihrem Platz aus ohne ihn anzusehen.

„Oh." Noah beugte sich vor, zog seine Schuhe aus und warf sie mir zu. „Du weißt ja wo das Schuhregal ist."

Ich warf sie ihm zurück. „Du auch. Unfassbar dass Mum dich damit durchs Haus hat laufen lassen."

Noah zuckte mit den Schultern. „Sie liebt mich, akzeptier es einfach." Ich machte ein abfälliges Geräusch, aber Noah hatte längst das Interesse an mir verloren. Viel mehr wandte er sich neugierig Ava zu, die weiterhin es vorzuziehen schien uns keine Beachtung zu schenken. „Also Ava, was treibt dich zu uns? Dachte eigentlich, dass du uns nicht abkannst."

„Das denke ich auch, aber es fehlte mir leider an Alternativen."

„Hattest du Streit mit deiner Familie oder warum?" Er richtete sich im Bett ein wenig mehr auf und sah so leider nicht meinen warnenden/tötenden Blick nicht. Sie hielt kurz beim Schreiben inne.

„Kann man so sagen.", antwortete Ava knapp, dann schrieb sie weiter. Und möglichweise wiederholte ich mich, aber dennoch wäre für jeden anderen das Gespräch beendet außer für ihn. Manchmal hielt ich Noah für einen Vampir der statt Blut eben Gerüchte sog um zu überleben.

„Darf ich fragen warum?", bohrte er nach.

Ava stöhnte während sie sich auf dem Stuhl zu ihm drehte. „In Kurz? Dave und Dad waren wenig begeistert über die Tatsache, dass ich die Anzeige gegen Jeff zurück gezogen habe. Liam meinte ich könnte erst einmal hier bleiben bis sie sich beruhigen."

Eine präzise Zusammenfassung was meiner Meinung nach aber nicht verdeutlichte wie sehr die beiden überreagiert hatten oder wie schwer es für sie gewesen war. „Warum zur Hölle hast du sie denn zurückgezogen?!", fragte Noah entsetzt und dieses Mal merkte er meinen Blick als er zu mir sah um sich zu vergewissern, dass sie nicht scherzte.

Sie scherzte nicht. Leider. „Das ist ihre eigene, persönliche Entscheidung und gerade du müsstest verstehen wie wichtig es ist manchmal einfach nur Dinge zu akzeptieren, nicht wahr?" Meine Stimme klang schneidend, verfehlte aber nicht die gewünschte Wirkung. Sein Mund öffnete sich kurz und schloss sich dann wieder als er nicht wusste was er dazu noch erwidern konnte.

„Sie wollten Dave wegen schwerer Körperverletzung anzeigen und ich habe ein Deal vorgeschlagen in dem ich keine Anzeige erhebe wenn sie es nicht tun."

„Was?!" „Was?!", riefen Noah und ich gleichzeitig. Fassungslos sah ich zu ihr. Das war der Grund? Sie wollte ihren Bruder schützen? Denjenigen der sagte sie sei nicht mehr seine Schwester? Denjenigen der sich Null für sich interessiert hatte, sondern stattdessen sich in seinem ‚Ruhm' suhlte? „Du hast das alles für Dave getan?!"

„Das sagte ich gerade, ja."

„Aber warum hast du ihm das nicht gesagt?"

Wieder drehte sie sich um, nur sah sie dieses Mal genervt aus. „Du warst doch dabei. Ich hatte jetzt nicht so viele Gelegenheit ihm das zu erklären und eigentlich wollte ich es ihnen auch erst sagen wenn der Unterzeichnete Deal angekommen wäre, damit Dave nicht noch irgendetwas Dummes macht. Jeffrey leider schneller."

„Dieser miese Bastard! Aber irgendwie muss er doch bestraft werden, immerhin hat er versucht dich zu vergewaltigen!"Gott, ich spuckt ja sogar schon beim sprechen weil ich mich so aufregte.

„Das ist stimmt. Jemanden gegen seinem Willem zum Sex zu zwingen sollte immer Konsequenzen haben, nicht wahr Liam?" Ich wusste worauf sie anspielte und musste schlucken. Sie hatte natürlich Recht mit ihrem unterschwelligen Vorwurf; ich hatte sie dazu gezwungen und ich tat es nicht gerne, musste mich aber trotzdem fragen in wie fern ich mich also von Jeff unterschied. Ein Gedanke der mir nicht gefiel, überhaupt nicht gefiel. Noah sagte irgendwas was ich nicht hörte weil ich zu sehr mit dieser unbequemen Wahrheit beschäftigt war. Wie ich es auch drehte und auch wenn ich es gerne anders sehen würde, hatte sie Recht: ich war nicht besser gewesen und trotzdem redete sie mit mir, wohnte sogar hier.

„Wir sollten nach unten gehen. Mum hat bestimmt gekocht.", unterbrach ich Noah, stand auf und ging einfach. Ich brachte es nicht über mich, mich noch einmal umzudrehen und in ihre wissenden Augen zu schauen. Von mir selbst angeekelt tat ich was ich immer tat: flüchten, wo ich genau wusste dass eine Auseinandersetzung damit definitiv das Beste war. Tja, nicht jeder konnte wie Ava sein und immer alles richtig machen. Mechanisch stieg ich die Treppe runter, durchquerte das Foyer und ging in die Küche wo, wie prognostiziert, meine Mutter stand. Sie wies mich an schon einmal den Tisch zu decken ohne von dem Herd aufzusehen. Wie konnte sie nur so unbekümmert sein wenn ihr Sohn so ein widerlicher Typ war? Wie konnte sie sagen, dass sie stolz auf mich war?

„Sibyl, es riecht fantastisch! Soll ich dir noch irgendwo bei helfen?", fragte Noah und griff von der Seite her in den Topf um schon mal zu probieren. Mum haute ihm mit dem Löffel sanft auf die Finger als sie es sah.

„Du bekommst noch früh genug was zu essen Noah! Gott, womit habe ich bloß solche Söhne verdient?", fragte sie gen Himmel und bekam so nicht mit, wie Noah bei dem Wort ‚Söhne' rot wurde. Sie sagte oft solche Dinge die wie zufällig klangen, sie aber bewusst tat um Noah zu zeigen wie sehr sie ihn mochte und schätzte. „Aber du kannst schon mal das Besteck verteilen. Ava Schatz, setzt dich ruhig schon mal hin, die Jungs schaffen das schon alleine. Möchtest du etwas trinken?"

Ava ließ sich zögerlich auf einem der Stühle nieder und bejahte. Ich stellte den Teller in meiner Hand ab um ihr etwas zu bringen. Als ich ihr das Glas reichte, streiften sich kurz unsere Hände. Wie von selbst sah ich in ihr Gesicht und sie lächelte mich an. „Danke." Ich lächelte zurück.

ElysiumWhere stories live. Discover now