12. Kapitel

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„Also, welcher von den Idioten hier hat dich geärgert?" Es war ein Gewusel von kleinen Kindern die schreiend über den Pausenhof liefen und ich musste ehrlich zugeben, dass sie alle für mich gleich aussahen. Für Amber offensichtlich nicht, denn sie zeigte zielstrebig auf eine Gruppe Jungs die am Rand zusammen standen und gerade lachten. Ihre Unsicherheit hatte sie abgelegt, stattdessen drückte sie ihre Schultern durch, reckte ihr Kinn und schritt ohne meine Hand weiter festzuhalten zu der Gruppe. Grinsend folgte ich ihr, beinahe versucht ein Video davon zu machen um es Ava zu schicken. Ich könnte mir vorstellen, dass sie mehr als stolz auf ihre Schwester wäre weil sie ihre Probleme alleine lösen wollte. Ich für meinen Teil war es. Trotzdem folgte ich ihr, nur für den Fall, denn schließlich hatten kleine Jungs auch kleine Gehirne. Gut, ob sich das mit dem Wachsen besserte sei mal dahin gestellt.

Amber marschierte ohne weitere Blicke zu mir weiter, bis sie vor den Jung stand und ihre Arme in ihre Hüfte stellte. Die kleinen Hosenscheißer bemerkten sie erst, als mein Schatten über sie fiel aber weil ich nur die Arme verschränkte, ansonsten aber still blieb, sahen sie Amber an und ihr Anführer verzog höhnisch das Gesicht. „Oh seht wer wieder da ist. Na, warst du wieder im Krankenhaus? Und konnten sie etwas gegen deine Dummheit machen?" Wow, das war schon ziemlich mies. Was dachte er eigentlich wer er war? Verzogenes Gör ohne Anstand oder Benehmen. Musste toll sein wenn man der größte war. So wie der aussah war der auch schon mindestsens sechs Mal sitzen geblieben. Oder fünfzehn Mal, dieses übergroße Baby. Gerade Mal aus den Windeln raus und schon ne große Klappe haben.

„Nein, sie haben gesagt, dass sie es schon bei dir versucht haben ohne Erfolg. Aber ich bin nicht hier um mich auf dein Niveau hinab zu lassen, auch wenn ich es möchte. Ich glaube du weißt nicht warum ich so oft im Krankenhaus bin." Sie schob ihr Shirt ein wenig hoch, so dass eine alte Narbe zu Vorschein kam und sie deutete darauf. „Da war ich Drei Jahre alt, meine erste Nierenoperation weil sie kaputt war, die daneben, da war ich Sechs. Und hier" Sie zog ihren Kragen runter und eine weitere, neuere Narbe kam zum Vorschein. „die ist Fünf Monate alt und ich lag vier Wochen im Krankenhaus weil sie nicht wussten ob ich es überlebe." Dann schob sie ihren Ärmel hoch und eine Dicke Ader war zu sehen mit mehreren Einstichstellen. „Das habe ich, damit ich Leben kann weil mein Körper das nicht mehr selbst macht. Zwei Mal die Woche bekomme ich ganz große Spritzen in die Arme und werde an ein Gerät angeschlossen was mir hilft. Und darum bin ich nicht in der Schule. Aber ich bin dann immer ganz Müde und kann nicht lernen. Ich bin nicht dumm. Du bist es wenn du das behauptest. Meine Schwester sagt, dass nur dumme Menschen sich über anderen lustig machen." Amber straffte ihre Schultern. „Das war alles was ich dir sagen wollte. Jetzt gehe ich."

Sie drehte sich um und ging zurück in die Richtung aus der wir kamen. Bevor ich ihr folgte drehte ich mich noch einmal zu diesen Winzlingen und baute mich zu meiner vollen Footballer Figur auf. Befriedigt registrierte ich deren Zusammenzucken und bemühte mich um ein Angsteinflößendes Gesicht. „Wenn ihr Amber noch einmal zu nah kommt und ihr wie auch immer weh tut, dann komme ich und tue euch weh, habt ihr Verstanden?" Subtil, aber es zeigte Wirkung: die Hosenscheißer nickten verängstigt.

„Liam, kommst du?", rief Amber vom Weiten und ich tat so als fiele es mir schwer ihrem Wunsch nach zu kommen. Ich wartete noch einen extra Moment nur um sie noch mehr einzuschüchtern, dann wandte ich mich ab und noch im Laufen deutete ich den Windelwerfern, dass ich sie ab jetzt im Auge behalten würde, während ich innerlich nur noch den Kopf schütteln konnte. In wenigen Schritten war ich bei ihr und konnte ihre noch von Aufregung geröteten Wangen sehen, die fast durch ihr breites Grinsen verschwanden. „Ich war gut oder? Ava meint immer, dass man über den Dingen stehen soll, dass hat sie damals auch gemacht als sie immer geärgert wurde." Mein Lächeln verrutschte leicht als mir einfiel, dass sie nur mich damit gemeint haben konnte aber Amber merkte es nicht. Lieber griff sie nach meiner Hand. „Was machen wir jetzt?" Ihre Euphorie war kaum zu verbergen und dann fiel ihr wohl wieder ein, dass sie ja Schule hatte, denn ihre Mundwinkel sanken schlagartig herab.

Ich hob sie hoch auf meinen Arm. „Wie wäre es wenn wir deiner Schulkrankenschwester sagen, dass du dich nicht gut fühlst und ich dich nach Hause bringe und dann machen wir Blau und essen ein Eis?" Süße,unschuldige, kleine Kinderaugen leuchten auf, verdunkelten sich und leuchteten wieder auf während sie überlegte, ob das wirklich eine so gute Idee war.

„Ich weiß nicht... Können wir Ava nicht auch fragen ob sie mit möchte?" Zögerlich nickte ich, unsicher ob das klug war, schließlich hatte Ava deutlich genug gemacht, was sie von mir und meiner Anwesenheit hielt. Allerdings würde ich Amber eh nichts abschlagen können, wer so häufig eine Barbie Tee Party veranstaltete baute unweigerlich eine Bindung zu einander auf. Dieses Kind machte mich schwach und es war die Gelegenheit für mich wieder in Ava's Nähe zu sein ohne das sie mir direkt die Schuld dafür geben könnte. Schließlich hatte Amber den Einfall gehabt, ich war nur ein Bauernopfern. Aber wen sollte ich was vormachen? Es gab wohl kein Szenario indem sie mich nicht für schuldig befinden würde.

*

Der Schulschwester zu erklären, dass es Amber nicht gut ging war leicht, denn mit ihren geröteten Wangen und erhitztem Gesicht sah sie wirklich fiebrig aus. Zu dem kam, dass Amber wirklich überzeugend Kraftlosigkeit vorspielen konnte, dass ich selbst einen Moment am zweifeln war ob sie nicht besser in ein Krankenhaus sollte. Aber kaum waren wir auf der Tür raus kicherte sie wie wild drauf los. „Hast du ihr Gesicht gesehen? Sie hat mir voll geglaubt!", sagte sie noch später als wir längst im Auto saßen, auf dem Weg zu mir um das Auto zu tauschen. So sehr ich den Audi liebte, aber die zwei Sitze waren doch manchmal unpraktisch. Geistesabwesend stimmte ich ihr zu, während ich mich fragte warum die Schulschwester sie so leichtfertig mir überlassen hatte. Hätte sie nicht wenigstens kontrollieren müssen wer ich überhaupt war statt sie mir quasi in die Arme zu drücken damit wir schneller verschwanden? Nun, offensichtlich hatte ich ein Vertrauenserweckendes Gesicht von dem ich bisher noch nichts wusste.

Das Ringen meiner Freisprecheinrichtung unterbrach meine Gedanken über die Entführungen und ein bezauberndes Bild von Ava war auf der Anzeige zu sehen. Ich konnte mir schon in etwa denken was sie wollte und es war mit Sicherheit nichts Gutes, also spielte ich kurz mit den Gedanken sie einfach zu ignorieren aber leider würde das nicht das Problem lösen. Und außerdem war da noch Amber, die bereits gesehen hatte wer mich da versuchte zu erreichen. Meinem Schicksal ergeben drückte ich den Knopf am Lenkrad um das Gespräch anzunehmen. „Ava! Wie schön von dir zu hören." War das ein Tick zu erfreut?

„Warum werde ich von Ambers's Schule angerufen, dass mit Fieber nach Hause geschickt wurde und ein gewisser Liam Jefferson sich angeboten hatte sie zu fahren?" In Anbetracht der Umstände, beziehungsweise ihrem sonstigen Verhalten mir gegenüber überraschte mich ihr Tonfall nicht unbedingt. Gut, so wie sie es darstellte klang das nicht positiv, aber - „Und Amber, wie möchtest du erklären, dass du heute Morgen noch topfit warst wo du jetzt plötzlich schwer krank bist?"

Es war still im Auto. Amber spielte nervös mit ihren Händen. „Ja also weißt du, da waren diese Jungs und die haben mich geärgert und dann wollte ich zu Dave, aber der hat mich weggeschickt und dann habe ich Liam getroffen und der hat mich getröstet und dann sind wir zu den blöden Jungs und haben das geklärt. Und dann hat Liam vorgeschlagen, dass wir ein Eis essen fahren und jetzt sind wir auf dem zu ihm um ein anderes Auto zu holen damit wir dich mitnehmen können. Wusstest du, dass sie mehrere Autos haben? Ich wusste das nicht. Die wohnen bestimmt in einem Schloss oder so. Oh meinst du, sie haben Pferde? Liam, habt ihr Pferde?" Amber redete schnell und ich schätzte ihren Versuch von dem Thema abzulenken, doch leider war ihr Versuch nicht von Erfolg gekrönt.

„Ein Eis? Liam, hast du meine Schwester ernsthaft zum schwänzen angestiftet für ein Eis?" Sie klang ruhig, aber das war schon immer das Fatale an der Sache gewesen. „Und was meintest du mit den Jungs? Wo war Dave?"

„Naja...also, die machen sich lustig über mich... manchmal... Ich dachte Dave würde mir helfen aber er hatte keine Zeit meinte er. Ich weiß du meinst ich soll darüber stehen aber Ava, manchmal sind sie wirklich fies zu mir." Amber druckste und ich drückte kurz ihre Hand um ihr das Gefühl zu geben nicht alleine zu sein. Sie sah nicht zu mir, aber ihre Schultern entspannten sich ein klein wenig mehr. Auf der anderen Seite der Leitung war es still geworden und wir hörten nur das ruhige Atmen von Ava. Währenddessen bog ich auf die Straße die zu meinem Haus ab.

„Warum hast du mir das nicht erzählt Amber?"

„Weil du doch immer so viel zu tun hast und ich dir nicht auch noch zur Last fallen will." Es wurde wieder still. 

„Oh Amber, ich ... Wann seid ihr hier?"

ElysiumWhere stories live. Discover now