13. Kapitel

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Fünfzehn Minuten später schaltete ich den Motor ab und stieg aus dem Auto aus. Amber war schon an der Haustür bevor ich überhaupt um den Wagen gegangen war, aber ich ging auch deutlich langsamer als sie, denn Ava war sicher besser gestimmt, wenn sie erst einmal nur Amber sah. Seufzend öffnete ich den Kofferraum und nahm den pinken Rucksack heraus. Hatte ich damals auch so einen kleinen Rucksack gehabt? Die waren ja winzig. Obwohl, wenn ich es Recht überlegte, war Amber Jamber das auch. Dachte ich wirklich über die Größe des Rucksackes nach um nicht zu Ava gehen zu müssen? Gott, ich war so ein Mädchen! Mich meiner Männlichkeit wieder bewusst geworden ging ich zu den anderen beiden, die bereits im Hausinneren verschwunden sein mussten.

Stimmen verstummten als ich durch die Tür trat, stattdessen sahen mich zwei Augenpaare mit unterschiedlichen Gefühlsausdrücken an. Amber Jamber strahlte, Ava Lava wollte mich wohl am liebsten verstrahlen. Obwohl sie doch freundlicher aussah als ich es von ihr gewohnt war und vermutlich hatte sie die heldenhafte Rettung ihrer Schwester etwas milder gestimmt. Unauffällig musterte ich sie, wie sie da auf dem Boden neben ihrer Schwester kniete. Ava's linke Gesichtshälfte sah schon bedeutend besser aus im Vergleich zu dem Morgen im Krankenhaus, das Lila war zu Gelb geworden und ließen nur noch die Ursprüngliche Größe erahnen. Trotzdem verursachte nur der Anblick von ihr ein beißendes Gefühl in mir; sehnlicher als sonst wünschte ich mir, dass Jeff noch einmal auftauchte und ich zu Ende bringen konnte was Dave angefangen hatte. Seine Knochen zermalmen, ihm seine Hände zu brechen bis sie niemanden mehr anfassen konnten, sein Gesicht so oft auf den Boden aufschlagen zu lassen bis er wie Voldemort aussah und jede seiner Erinnerung an Ava ausgelöscht war. Er hatte nicht das Recht das Gefühl zu kennen wie sanft ihre Haut sich anfühlte, wie Weich sie war und wie zart. Er hatte ein Recht darauf zu erfahren wie sich eine gerissene Milz anfühlte und wie verdient es war seine Nahrung nur noch durch einen Strohhalm zu ziehen wobei mir am liebsten wäre, er könnte nichts mehr. Ich schluckte um diesen bitteren Geschmack in meinem Mund loszuwerden und blinzelte um wieder normal zu sehen. „Hey Ava."

Sie sah mich an, sah mich richtig an. Ihr Blick glitt über mein Gesicht, über den pinken Rucksack in meiner Hand bis zu meinen Füßen, bevor sie wieder in meine Augen sah. Unter ihrem Blick fühlte ich mich wie hypnotisiert, ich hatte das Gefühl sie könnte alles von mir sehen und es hätte mich bei jedem anderen gestört nur nicht bei ihr. Ava konnte alles von mir sehen weil es nichts mehr gab was ich vor ihr verbergen wollte. Sie sollte sehen dass ich es ernst meinte, dass sie mir Ernst war. Dass ich bei ihr sein wollte ohne dumme Hintergedanken. Vermutlich konnte sie das tatsächlich nicht alles sehen aber was sie sah schien ihr zu reichen. Sie stand auf, kam auf mich zu und blieb kurz vor mir stehen. Sie rang mit sich, bis sie ein ‚Danke' aussprach.

Ich wollte sie fragen wie es ihr geht, ob sie etwas brauchte, ob ich ihr irgendwie helfen konnte, ob ich mit Dave einmal reden sollte, ob sich die Anwälte gemeldet hätten, was sie geplant hatte und sie wissen lassen, dass ich immer da sein würde wenn sie jemanden zum Reden brauchte. Ich wollte sie so viel Fragen und ließ es weil ich wusste, sie würde eh nicht mit mir reden. Also frage ich sie nur, ob wir los fahren sollten. Ava nickte, griff nach irgendwelchen Schlüsseln die auf der Anrichte lagen und rief Amber zu sich. Ihre schwarzen Haare bewegten sich bei jeden ihrer Schritte und fasziniert sah ich ihr nach, wie sie mit Amber durch die Tür ging. Wie in einer Art Trance stand ich dar, unfähig auch nur einen Schritt zu machen. Ob sie wusste wie schön sie war in diesen Moment? Nicht wegen den Hämatom unter ihren Auge oder diesen abgetragenen Klamotten, sondern wegen dieser Stärke die sie ausstrahlte. Bei all dieser Scheiße die sie durchgemacht hat, ging sie noch immer aufrecht. Wie konnte man sie nicht dafür bewundern?

Sie drehte sich um und fragte mich, ob ich nicht kommen wollte. Ich wollte nicht. Ich wollte hier stehen bleiben und sie weiter ansehen. Kopfschüttelnd sah sie mich an als meine Beine sich widerwillig in ihre Richtung bewegten. Ich ging an ihr vorbei, ging zu meinem Auto und setzte mich ohne noch einmal nach ihr zu sehen. Verrückte Dinge gingen in meinem Kopf ab ohne sich steuern zu lassen. Was tat ich eigentlich hier? Es war Wahnsinn von mir gewesen zu denken wir könnten ganz normal miteinander umgehen. Ich meine, es war Ava die sich gerade neben mich in das Auto setzte. Die Frau die ich liebte und die mich hasste. Aber sie saß neben mir und für einen kleinen Moment erlaubte ich mir zu denken, dass sie es nicht tat. Dann fuhr ich los.

*

„Habe ich etwas in der Schule verpasst?" War die erste Frage die sie nach einer Weile stellte und ich überlegte ob ich sie anlügen sollte. Doch ich entschied mich dagegen denn es würde ihr nicht helfen zu denken sie hätte nichts verpasst.

„Es gibt Videos von dem Abend. Videos wo Dave auf Jeff einschlägt oder wo du auf der Trage weggefahren wirst. Tut mir leid.", antwortete ich ihr zögerlich.

Ich spürte ihren Blick auf meinem Gesicht, dann sah sie wieder aus dem Fenster. Es wurde still bevor sie wieder sprach und ihre Stimme klang fest dabei. „Es brauch dir nicht leid tun, du kannst nichts dafür. Und es ist besser wenn es Videos gibt als dass sie sich selbst etwas zusammendenken. Ist Jeff in der Schule?"

Meine Hände verkrampften sich kurz um das Lenkrad und ich schüttelte eilig den Kopf um sie davon abzulenken. „Nein ist er nicht. Aber es weiß auch niemand wo er ist. Vermutlich verkriecht er sich in seinem Zimmer oder er ist im Gefängnis wo er hin gehört." Oder er war tot wie er es für uns alle schon war. „Hast du Angst in die Schule zu gehen?"

Ava legte den Kopf schief und ich wusste dass sie genau überlegte was sie sagen sollte weil Amber hinten sehr genau zuhörte bei unserem Gespräch. „Ich mache mir Sorgen weil ich nicht weiß ob sie mehr wissen als ich. Weißt du, ich denke so oft über diesen Abend nach und versuche mich zu erinnern und ich kann es nicht. Das macht es so schwierig. Nicht zu wissen was passiert ist." Die Ampel vor uns schaltete auf rot und ich bremste, während ich versucht nachzufühlen was sie meinte. Es fiel mir schwer vorzustellen wie es für sie sein musste sich an alles zu erinnern und dann plötzlich nicht mehr. „Dave kann mir auch nicht wirklich etwas dazu sagen."

„Ja weil Dave dann wieder irgendwelche Dummen Sachen sagt oder damit prahlt was er getan hat.", rief Amber von hinten ein und überrascht zog ich meine Augenbrauen hoch. Es wurde immer merkwürdiger mit ihm. Ava zuckte mit den Schultern als ich ihr einen flüchtigen Blick zu warf.

„Dave ist im Moment etwas schwierig und ich zieh es vor nicht unbedingt mehr als nötig mit ihm zu reden.", fügte Ava als Erklärung hinzu und es klang beinahe wie eine Entschuldigung für sein Verhalten, aber ich verstand nicht warum sie dachte, dass sie sich für ihren Bruder entschuldigen müsste. „Ist halt eine schwierige Zeit."

Die Ampel schaltete wieder aus Grün und ich fuhr weiter. „Aber das ist trotzdem kein Grund sich so zu verhalten. Und er hat dir nichts erzählt?" Ungläubig sah ich zu ihr und sie zuckte erneut mit den Schultern.

„Nicht wirklich, zumindest macht es nicht so viel Sinn wie er es erzählt. Du warst doch da, kannst du mir nicht mehr erzählen?"

„Natürlich, aber ich weiß nur das, was in der Zeit des Anrufes und ab dem ich dich gefunden hatte passiert ist." Ich blinkte und bog auf den Parkplatz der Kindereisdiele ab. Früher waren Kyle und ich oft mit seinen Eltern hier gewesen weil es neben dem Eis noch eine Art Abenteuerinsel für Kinder gab. Sie lag zwar etwas außerhalb der Stadt, aber Ava war sicherlich eh nicht scharf darauf möglicherweise irgendwelche Bekannten zu treffen. „Und vielleicht sollten wir das später klären.", setzte ich mit einem schnellen Blick auf Amber hinzu. Ava verstand was ich meinte und nickte zustimmend. Immerhin waren wir dabei einer Meinung.

ElysiumWhere stories live. Discover now