1.3: Der Pokerface-Mann

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Das Café, zu dem die beiden gehen wollten, lag ein wenig außerhalb von London, damit wir nicht allzu auffällig waren. Jedoch bezweifelte ich, dass es irgendetwas bringen würde, da wir mit einer glänzenden Limousine vorfuhren.

"Wir sind so unauffällig", grummelte ich erneut und schnaubte.

"Der Fahrer wird gleich gehen", erklärte Louis mir. "Und die Angestellten des Cafés wissen Bescheid. Wir bekommen einen separaten Raum. Solange man uns nicht entdeckt, kann noch nichts passieren."

Ich verdrehte die Augen. Eigentlich hatte ich mich noch länger in meiner neuen Behausung umsehen wollen, dementsprechend schlecht gelaunt war ich nun. Allerdings würde ich nächstens wahrscheinlich eh dorthin ziehen, schließlich war sie schon eingerichtet und an den Möbeln in meiner Wohnung hing ich nicht sonderlich.

"Und was soll ich jetzt machen?", fragte ich. Schon wieder dachte ich an meinen Frühstückstisch Zuhause, während mein Magen zu knurren begann. "Auf das Dach kraxeln und unschuldige Passanten abschießen?"

"Ich hoffe doch nicht!", brummte der Braunhaarige und schüttelte mit dem Kopf.

"Du kannst zu Dave gehen. Er steht dort vorne und ist, glaube ich, nicht zu übersehen."

Nein, das war er wahrhaftig nicht. Bei Dave handelte es nämlich um einen groß gewachsenen, muskulösen Mann, dessen Schulterbreite wahrscheinlich mehr als doppelt so groß wie meine war. Missmutig starrte er Löcher in die Luft und ich musste unwillkürlich schlucken. Das war ein Bodyguard, wie man ihn sich vorstellte.

Da ich allerdings Louis' Blick sah, wusste ich, dass es sich bei seiner Aussage weniger um einen Vorschlag als um einen Befehl handelte. Hannah und er wollten scheinbar ein wenig Zeit für sich haben.

Demnach holte ich einmal tief Luft und machte mich auf den Weg zu dem Riesen. Immerhin folgte mir mein Hund auf Schritt und Tritt und man sollte Menschen so oder so nicht nach dem Aussehen beurteilen. Das fiel einem allerdings viel schwerer, wenn jemand so aussah.

"Hey", machte ich also intelligent und hob eine Hand zur Begrüßung. "Alles fit? Ich bin Mia."

Die Art, wie sich der Glatzkopf ganz langsam zu mir drehte und mich abschätzend musterte, sagte mir, dass eine solche Begrüßung keine gute Idee gewesen war.

"Du bist Dave, oder?", fragte ich dann und hielt meine Arme hinter meinem Körper verschränkt, während ich langsam auf und ab wippte.

"Ja", brummte dieser und musterte mich noch einmal. "Und was sollst du darstellen? Barbie?"

Empört schnappte ich nach Luft.

"Barbie hat keine braunen Augen!", hielt ich ihm mit erhobenem Zeigefinger entgegen. Zumindest hoffte ich, dass sie es nicht hatte. So genau hatte ich sie mir auch noch nicht angeguckt, denn ich hatte in meinem ganzen Leben vielleicht drei Mal mit einer solchen gespielt.

"Stimmt auch wieder", gab Dave zu, verzog aber keine Miene. Entweder langweilte ihn unsere Konversation zu Tode oder er war einer dieser bewundernswerten Menschen, die ein Pokerface aufsetzen konnten, welches keine Emotionen verriet.

"Ich bin Louis' ...", fing ich an, brach dann aber ab. Durfte ich es dem Typen überhaupt sagen? Ich hatte immerhin einen Vertrag unterschrieben, der mich zur Geheimhaltung dieses Jobs verpflichtete. Und gegen diesen nach weniger als vierundzwanzig Stunden zum ersten Mal zu verstoßen, war nun wirklich nicht das, was ich machen wollte.

"... Freundin", beendete ich meinen Satz also und schielte verzweifelt zu dem Braunhaarigen hinüber, der das Café mittlerweile betreten hatte und zu einer Angestellten gegangen war.

"Aha", machte der Glatzkopf und starrte den Sänger stur an. "Und was machst du dann hier?"

Verdammt. Warum musste Lügen immer so unglaublich kompliziert sein?!

"Ich ... wollte mal so die Angestellten abchecken, wissen Sie ... Dave."

Scheiße, falsche Anrede. Oder vielleicht doch nicht. Er hatte mir das Du jedenfalls nicht angeboten. Jedoch kannte ich seinen Nachnamen nicht einmal!

Um dies zu überspielen, boxte ich ihm einmal kumpelhaft gegen die Schulter, was er mit einem Grunzen quittierte.

Dann setzte er sich in Bewegung und ich sah überrascht auf.

"Hey!", rief ich ihm hinterher, "Wohin gehen Sie denn?"

Jetzt konnte ich auch beim 'Sie' bleiben.

Der Schrank von einem Menschen blickte über die Schulter auf mich zurück.

"Ich weiß nicht, was Sie machen, aber ich erledige meinen Job", gab er zurück - er ging auf die höflichere Anrede ein - und ich hatte den plötzlichen Drang, Karly auf ihn zu hetzen. Diesen Einfall verwarf ich jedoch wieder, weil mir dieser Typ so aussah, als wenn er sich in diesem Falle wirklich einen Boxkampf mit dem Vierbeiner liefern würde.

Da ich nicht alleine hier draußen stehen wollte, rannte ich ihm schlussendlich doch hinterher, nicht, ohne mir dabei ziemlich armselig vorzukommen.

Dave war in der Zeit hineingegangen und hatte sich vor der Tür aufgestellt, die zu dem getrennten Raum führte, in dem sich Louis und Hannah befanden.

"Wenn irgendjemand hier reinkommt, wird er bestimmt nicht bemerken, dass hinter dieser Tür eine berühmte Person ist, wenn ein Bodyguard direkt davor steht", meinte ich ironisch und lehnte mich schlecht gelaunt gegen die Wand.

"Hören Sie", begann der Riese, "Sie können hierbleiben oder es auch lassen, das ist mir ziemlich egal, aber nerven Sie doch bitte jemand anderen dabei."

Sauer funkelte ich ihn an.

"Ich bin auch nicht freiwillig hier!", beschwerte ich mich. Und dann fiel mir auf, dass ich zuvor gesagt hatte, ich sei Louis' Freundin. Jetzt wollte ich lieber gar nicht wissen, wie ich damit die Sichtweise des Typen auf seinen Schützling verändert hatte.

"Ach nein?", fragte Dave jedoch nur desinteressiert. Ich bezweifelte, dass er überhaupt zugehört hatte.

"Laufen Sie eigentlich immer so rum, wie wenn Sie gerade jemanden getötet hätten?", fragte ich dann. Das hörte er natürlich!

Ganz langsam drehte sich sein Kopf zu mir und ich zog den meinen ein. So etwas war nie ein gutes Zeichen.

"Hatte ich Ihnen nicht gesagt, dass Sie mich nicht nerven sollen?", motzte er mich an und ich lächelte scheinheilig.

"Ich bin schon leise!", sagte ich schnell. "Sie bemerken meine Anwesenheit gar nicht!"

Dann schwieg ich tatsächlich eine Weile und begutachtete die hässliche Einrichtung des Cafés. Mein Blick blieb auf dem Schaufenster hängen und unwillkürlich zuckte ich zusammen, als ich die beiden Mädchen sah, die kichernd davorstanden.

"What the fuck?!", entfuhr es mir. "Ich hab den Jumpscare meines Lebens bekommen!"

"Das sind Fans", erklärte der Bodyguard mir. "Wir sollten gehen, bevor noch mehr auftauchen."

"Gut, dass Louis den Wagen weggeschickt hat", grummelte ich, während ich mich fragte, wieso Fans in allen Unterhaltungen wie aggressive Rudeltiere dargestellt wurden.

Ohne weiter zu Zögern, klopfte ich an der Tür an.

"Louis?!", rief ich, "Sieh zu, dass wir 'ne Karre bekommen! Wir müssen gehen!"

Zufrieden drehte ich mich um und zuckte erneut zusammen. Die Anzahl der Mädchen, die uns durch die Scheibe begafften, hatte sich verdoppelt!

"Sind ja schlimmer als die Karnickel", brummte ich, fragte mich aber gleichzeitig, wie zum Teufel sie uns so schnell gefunden hatten.

Schutzengel || l.t. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt