10.5: Was ich ihm wünsche

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Der Abend senkte sich langsam über Louis' riesiges Haus und die Sonne ging unter. Für alle eine Erleichterung, denn es war mal wieder scheiße heiß gewesen. Da wohnte man schon im für Regen berühmten England und bekam doch nur Sommerhitze zu spüren. Klimawandel for the win! Vielleicht sollte ich Louis mal dazu überreden, sich ein Elektroauto anzuschaffen? Genug Geld hatte er ja allemal.

Aber natürlich konnte man nicht mal die angenehmere Wärme des Abends in Ruhe genießen, weil die Stechmücken uns einen Strich durch die Rechnung machten. Von überall schienen sie zu kommen und wie Vampire nach unserem Blut zu dürsten. Nur, dass man sich nicht in ein Insekt verwandelte, wenn sie das Blut getrunken hatten ... und man konnte sie viel leichter erlegen! Ich hatte zwar noch nie versucht, einem Vampir auf den Kopf zu schlagen, sobald er in Reichweite war - genau genommen hatte ich auch noch keinen gesehen, weshalb diese Versuche auch etwas schwierig werden würden -, aber um ehrlich zu sein bezweifelte ich, dass ich bei dieser Methode auf großen Erfolg stoßen würde.

Und trotzdem entschloss ich mich dazu, nach draußen zu gehen, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Irgendeinen Tod musste man ja sterben.

Auf der Terrasse empfing mich sofort eine ganze Wolke dieser blutdürstenden Monster und für jede, die ich erschlug, kamen drei neue. Es war hoffnungslos! Wenigstens war die Luft ein bisschen frischer ...

Müde von dem anstrengenden Tag lehnte ich mich mit dem Rücken gegen die Hauswand und sah auf Louis' schönen Garten. Ich hatte nicht bemerkt, dass noch jemand anderes nach hier draußen gekommen war, deshalb zuckte ich erschrocken zusammen, als plötzlich jemand vor mir stand. Es war Liam.

"Es hat doch heute alles super geklappt, oder?", meinte ich freundlich und setzte ein Lächeln auf. Und es stimmte sogar: die Sachen der Jungs hatten Höchstpreise erzielt.

"Hmmm", machte er desinteressiert und schlug eine der vielen Stechmücken, die sich auf seinem Arm niedergelassen hatte, tot.

"Ist etwas?", fragte ich vorsichtig. Natürlich war etwas: er mochte mich nicht. Aber was hatte ich denn bitte falsch gemacht? Ich konnte es mir nicht erklären.

Einen Moment lang dachte ich, dass er mich einfach ignorieren würde, doch schließlich sah er auf und mir direkt in die Augen.

"Nichts ... es ist ..."

"Ja?", hakte ich zaghaft nach, da ich nicht zu aufdringlich wirken wollte.

"Hat nichts mit dir zu tun", brummte er darauf.

Ungläubig zog ich eine Augenbraue hoch.

"Es hat also auch die ganzen anderen Male nichts mit mir zu tun gehabt, als du in meiner Anwesenheit so schlecht gelaunt warst?", lachte ich trocken.

Er erstarrte in der Bewegung und ich wusste, dass ich ins Schwarze getroffen hatte.

"Es ...", fing er stockend an, brach ab und sah weg.

"Es?"

Er seufzte nur. Nach einer unglaublich langen Stille fuhr er fort: "Es hat nichts direkt mit dir zu tun."

Schwer schluckend sah ich ihn nun gleichermaßen ängstlich wie abwartend an. Als er nicht weitersprach, sagte ich vorsichtig:
"Und ... wie hat es dann mit mir zu tun?"

Ich wusste eigentlich gar nicht, ob ich die Antwort so genau wissen wollte.

Er fuhr sich über das Gesicht, atmete einmal tief ein und setzte schließlich an: "Du ... bist bestimmt eine wundervolle Person, Mia, also versteh mich bitte nicht falsch."

Jetzt bekam ich so langsam Angst, denn ein Satz, der so begann, konnte gar nicht positiv für mich enden.

"Aber ... tut mir leid, wenn ich das so plump sage ... du solltest nicht mit Louis zusammen sein."

Erschrocken riss ich die Augen auf. Bitte was?!

"Schau mich nicht so an", murmelte er zerknirscht, "das macht es nicht einfacher, dir das jetzt so zu sagen."

Eine normale Reaktion wäre es nun gewesen, wütend oder wenigstens beleidigt zu sein, doch ich blickte ihn einfach mit riesigen Augen verständnislos an.

"Er ... denk doch mal an Freddie. Der Kleine wird verrückt nach dir sein, du bist ja quasi seine neue zweite Mutter. Und wenn ihr euch trennt, wird es sein Herz schon wieder brechen. So war es doch auch bei allen Freundinnen davor. Ich weiß nicht, wie lange er das noch so durchhalten kann ..."

Liams Worte fühlten sich wie ein Schlag mitten ins Gesicht an.

Als ich mich halbwegs gefasst hatte, antwortete ich: "Weißt du was, Liam? Du bist bestimmt ein netter Typ. Aber weißt du auch, was mir an dir nicht gefällt? Deine absolute Sicherheit, dass Louis und ich uns über kurz oder lang wieder trennen werden."

Fast beschämt blickte er drein.

"Ich wünsche euch von ganzem Herzen, dass ihr für immer und ewig glücklich zusammen sein werdet", widersprach der Braunhaarige mir, "aber das Leben ist nun mal nicht immer fair. Und deshalb ist es nicht sehr schlau, diese Möglichkeit nicht wenigstens in Betracht zu ziehen. Ich habe selbst zwei Kinder, ich weiß, wie sehr ich sie liebe und kann mir deshalb gut vorstellen, wie sehr Louis seinen Sohn liebt. Er kann nicht wollen, dass er in einem so jungen Alter schon so zugrunde geht."

"Wir müssen ja erst einmal nicht zu Freddie", hielt ich dagegen, bemerkte aber selbst, wie dumm meine Worte waren. Sollte ich Louis etwa von seinem Sohn fernhalten?

"Oder", fügte ich also hastig hinzu, "ich breche den Kontakt zu Freddie hinterher einfach nicht ab. Auch ohne dass ich mit Lou zusammen bin, kann ich ja etwas mit seinem Sohn unternehmen."

Liam schüttelte seinen Kopf.

"Und was ist mit deinem Herzen? Wenn du dich gerade von Louis getrennt hast, wirst du nicht sehr erpicht darauf sein, seinen Sohn zu unterhalten."

Er hatte gute Argumente, was mich verunsicherte und mir die Tränen in die Augen trieb, die ich wegzublinzeln versuchte.

"Aber das ist ja nicht einmal alles", fuhr Liam unbarmherzig fort, "ich weiß, dass du momentan Lous Bodyguard bist. Was passiert, wenn jemals herauskommt, dass du für ihn gearbeitet hast? Soll er das Gleiche wie damals bei Briana durchmachen? Das kannst du ihm nicht wirklich wünschen, Mia!"

Nein, das konnte ich wirklich nicht. Ich schluckte und wischte eine Träne, die gegen meinen Willen meine Wange hinuntergekullert war, weg.

Liam seufzte müde.

"Ich ... es tut mir leid. Du kannst ja auch nichts dafür."

Ohne ihm wirklich zuzuhören, wiederholte mein Kopf die davor gesagten Worte immer und immer wieder.

"Du hast Recht, ich sollte versuchen, freundlicher zu dir zu sein", gab er zu. "Es ist euer Leben, da sollte ich mich nicht einmischen."

Zögernd trat er vor, streckte eine Hand aus und reichte sie mir.

"Frieden?"

Wie in Trance nickte ich und ergriff sie. Allerdings waren meine Gedanken weit weg und ich hätte später wahrscheinlich nicht einmal mehr sagen können, wieso wir uns die Hände gereicht hatten.

Schutzengel || l.t. ✓Donde viven las historias. Descúbrelo ahora