13.1: Der Brief

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Wenn man meinen würde, ich hätte mich bei meinem ersten Anruf schon angestellt, dann hatte man mich noch nicht vor dem zweiten gesehen.

Niall oder Liam? Das war eine gute Frage. Niall schien mir gegenüber immer noch ein bisschen misstrauisch zu sein und Liam war wohl der härteste Brocken, was die Reunion anging. Er hatte ja auch durchaus schlagfertige Argumente - wie sollte ich ihn denn davon überzeugen, seine Familie links liegen zu lassen und dafür zurück in die noch nicht einmal mehr existierende Band zu kommen, deren Erfolg momentan ebenfalls noch ungewiss war. Zwar war One Direction einmal enorm erfolgreich gewesen, aber ob sich dieser Hype wiederholen würde, war eben die andere Frage.

Niall. Ich würde Niall anrufen. Der war wenigstens von meinen Plänen nicht ganz abgeneigt, wie ich hoffte. Möglicherweise war der Augenblick, als Louis das Auto angehalten hatte, um hinaus zu den Fans zu gehen, ein Schlüsselmoment für den Iren gewesen. Er hatte gesehen, dass die Leute sie ganz und gar nicht abgeschrieben hatten. Und durch die längere Zeit, die er mit seinen Freunden verbracht hatte, hatte er vermutlich auch gesehen, dass sie sich zwar allesamt verändert hatten, das jedoch nicht unbedingt zum Schlechten hin.

Das Telefon riss mich aus meinen Gedanken. Seufzend hob ich ab.

"Mia Gibson", meldete ich mich.

"Simon hier", erklang die Stimme des Managers meines Freundes und ich runzelte die Stirn. Gab es schon wieder neue Termine? Er hatte mir eine Liste von den anstehenden Wochen doch schon vor ein paar Tagen geschickt!

"Miss Gibson, ich muss Ihnen mitteilen, dass Sie hiermit entlassen sind", kam er direkt zum Punkt und ich war noch verwirrter. Das kam jetzt wirklich unerwartet!

"Wie das?", fragte ich verdattert.

"Um keinen Verdacht zu erregen, ist es sinnvoller, wenn wir einen Job wie den Ihren alle paar Monate neu besetzen", erklärte mir der Ältere, "es fällt auf, wenn mit meinem Klienten immer die gleiche Person herumläuft und sich wie ein Bodyguard aufführt. Auf Ihrem Konto befindet sich das Gehalt für die nächsten zwei Monate. Ich bitte Sie, auch in Zukunft alle Kontaktdaten zu Mr Tomlinson vertraulich zu behandeln und wünsche Ihnen für die Zukunft viel Erfolg. Die schriftliche Kündigung wird Sie in einigen Tagen per Post erreichen."

Und damit legte er auf.

Okay, das war wohl das seltsamste Telefongespräch, das ich in der letzten Zeit geführt hatte, jedoch eigentlich nicht allzu dramatisch. Ich hatte ohnehin geplant, in nächster Zeit zu kündigen, also hatte ich mir eigentlich nur einen Anruf erspart.

Allerdings beschloss ich, dieses Ereignis als Vorwand zu nehmen, um Niall heute Abend nicht mehr zu kontaktieren, denn für einen Tag hatte ich genug schlechte Erfahrungen mit Telefonen gesammelt. Eine läppische Ausrede, das wusste ich selbst. Aber egal. Morgen würde ich vielleicht klarere Gedanken haben können.

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"Wieso hast du denn etwas mit meiner Adresse bestellt?", fragte ich meinen Halbbruder verschlafen. Mit seinem Anruf hatte er mich um halb sieben, vor Schulbeginn, aufgeweckt.

"Weil Mum immer so ausrastet, wenn ich solche Spiele kaufe", erklärte er, "und so bemerkt sie es vielleicht nicht."

"Du bist siebzehn, Josh", seufzte ich. "Selbst Jüngere spielen schon ab achtzehn freigegebene Spiele. Sie soll sich mal nicht so anstellen."

"Erklär du ihr das", grummelte er. "Aber kannst du jetzt bitte mal nachgucken, ob bei dir irgendwas angekommen ist? Es ist nur ein Spiel, das könnte auch im Briefkasten gelandet sein."

Brummend streckte ich mich, stand dann jedoch wirklich auf und tapste verschlafen nach draußen.

Erst dort bemerkte ich, dass ich meine Schlüssel vergessen hatte, drehte mich um und stapfte zurück, holte den Schlüssel für den Briefkasten und ging wieder zurück.

"Und, hast du geguckt?", drängte mich mein Bruder ungeduldig und ich verdrehte die Augen.

"Gleich."

Schüssel in das Schloss stecken, umdrehen und gleichzeitig mein Handy nicht verlieren. Ganz schön kompliziert für einen Morgen.

Endlich ging der Briefkasten auf. Nur ein Brief lag darin, der nicht unbedingt die Dicke und Form eines Computerspiels hatte.

"Nein, es ist nichts da", sagte ich zu Josh, nahm den verbliebenen Brief an mich, schloss den Briefkasten wieder und machte mich auf den Weg zurück ins Haus.

"Es müsste aber langsam angekommen sein", beschwerte er sich.

"Ja, ich kann's auch nicht ändern", gab ich genervt zurück, drehte meinen Brief um und erstarrte. Ich kannte diese Schrift. Sie gehörte ganz eindeutig zu Louis. Was hatte das nun wieder zu bedeuten?

"Josh, ich muss auflegen", meinte ich hastig, "bis später."

Bevor er noch etwas sagen konnte, würgte ich das Gespräch ab, riss den Umschlag auf und holte das Papier hervor.

Mia,

Wieso schrieb er mir einen Brief?

ich weiß jetzt, dass es nicht funktionieren wird. Ich möchte Dir Dein Leben nicht zerstören.

Schon nach den ersten beiden Sätzen wusste ich, wieso. Aber ich konnte es nicht glauben, daher hing mein Blick wie gefesselt an seiner unleserlichen Schrift.

Ich weiß, dass Du glaubst, Du könntest dem Ganzen standhalten, aber ich weiß es besser.
Ich wünschte, wir würden in einer anderen Welt leben, weit weg von hier, irgendwo, wo ich einfach ein Mann wäre und Du die Frau, die ich liebe. Aber so ist es nicht. Mein Leben ist weiß Gott nicht perfekt, doch wenn ich gefragt werde, was mir am besten gefallen hat, sage ich, das warst Du. Denn Du bist das Beste, was mir in meinem ganzen Leben passiert ist. Ich möchte, dass Du weißt, dass ich Dich liebe. Und, dass ich diese Entscheidung nur aus diesem Grund getroffen habe.
Ich habe Simon angerufen. Er wird sich darum kümmern, dass ich einen neuen Bodyguard bekomme.
Du solltest zudem ausziehen. Es wäre für uns beide zu schmerzhaft, ständig in direkter Nähe zu wohnen. Auf Deinem Konto befindet sich zu Deinem verdienten Geld auch ein kleiner Zuschuss von mir, um Dir die Suche nach einem neuen Wohnort zu erleichtern. Bitte, sei mir nicht böse. Vielleicht wirst Du es irgendwann auch verstehen. Ich bin einfach nicht dafür gemacht, geliebt zu werden.
Für Deine Zukunft wünsche ich Dir alles erdenklich Gute. Lebe Dein Leben, Mia, genieße die unbeschwerte Freiheit und die ganze Freude in der Welt, die Du mit mir niemals haben würdest.

In Liebe,
Louis

Schutzengel || l.t. ✓Where stories live. Discover now