14.2: R.I.P. Rosen

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"Warum öffnet denn keiner die Tür?", fragte ich misstrauisch und drückte mehrmals hintereinander auf den Klingelknopf. Wenn er es jetzt noch immer nicht gehört hatte, musste er schon taub sein.

"Keine Ahnung", gab Niall schulterzuckend zurück, "vielleicht ist niemand zu Hause? Wir haben uns ja auch nicht angekündigt und vie-"

Mit einem heftigen Ruck wurde die Tür aufgerissen und Liam funkelte uns mit wütendem Blick an.

"Was wollt ihr hier?", fauchte er und ich zuckte kaum merklich zurück. Da hatten wir wohl einen sehr schlechten Tag erwischt.

"Liam ...?", fragte Harry vorsichtig. "Alles okay bei dir?"

Der Blick des Braunäugigen fuhr zu ihm herum.

"Natürlich ist alles okay!", rief er. "Vor meiner Haustür stehen drei Leute, von denen zwei meine Kollegen waren und eine die Neue von Louis ist. Ich habe absolut miserabel geschlafen, das Wetter ist scheiße und ich habe mein Buch im Regen liegen lassen. Und außerdem", er warf einen finsteren Blick in Richtung Harrys Auto, "steht ein Sportwagen in meinem Vorgarten."

Okay. Sehr, sehr ungünstiger Zeitpunkt. Schlimmer hätte es wohl gar nicht sein können! Nicht nur, dass wir mittlerweile alle nass bis auf die Knochen waren, nein, Liam verhielt sich auch noch, wie wenn er uns gerade bei einem Einbruch erwischt hätte.

Harry jedoch sah eher mitfühlend als verärgert aus.

"Tut mir leid, Kumpel", murmelte er. "Ich bezahl dir die Rosen."

"Du hast die Rosen kaputt gemacht?", fragte Niall ungläubig. Auch ich sah zur Seite und erkannte tatsächlich, dass der einst blühende Rosenstrauch ziemlich verkrüppelt zwischen Auto und Hauswand eingequetscht war.
"Gott, Cheryl wird dich töten."

"Was macht ihr überhaupt hier? Wieso stöbert ihr plötzlich in meinem Vorgarten herum?!", rief das letzte Bandmitglied aufgebracht.

"Können wir das drinnen besprechen?", meinte Harry vorsichtig und zog den Kopf ein, für den Fall, dass er ihn wieder anfahren würde.

Liam verdrehte die Augen, schnaubte genervt, machte aber letztendlich doch Platz, sodass wir eintreten konnten.

Ich hätte sofort sagen können, dass ich mich in seinem Haus befand, sobald ich den Flur betrat. An beiden Seiten der weißen Wände hingen Bilder von ihm, Cheryl, seinem Sohn und seiner Tochter. Dazu ab und an Kinderzeichnungen, wahrscheinlich von Bear.

Da er keine Anstalten machte, uns den Weg zu zeigen und die beiden anderen sich scheinbar auskannten, gingen wir direkt an Liam vorbei in ein Wohnzimmer, in dem um einen kleinen Glastisch herum ein Sofa und mehrere Sessel in einem hellen Orange verteilt waren.

Erst einige Zeit, nachdem wir uns alle gesetzt hatten, trat auch Liam hinter uns ein. Prüfend musterte ich ihn und erkannte mit einem Mal das, was ich vorher nicht gesehen hatte: die kaum erkennbaren, aber bei genauerem Hinsehen doch herausstechenden roten Ränder unter seinen Augen. Der müde Blick, die hängenden Schultern, die wahllos zusammengestellte Kleidung.

Jetzt konnte ich Harrys eher mitfühlende, schuldbewusste Reaktion ein wenig besser verstehen. Der Braunäugige schien nämlich ganz eindeutig nicht glücklich zu sein.

"Liam?", fragte ich leise. "Sollen wir in ein paar Tagen nochmal kommen?"

Er sah mich entgeistert an, doch ließ schließlich den Kopf hängen. Von der vorherigen Aggressivität war kaum noch etwas zu erkennen.

"Nein, schon okay", seufzte er, ließ sich in einen Sessel fallen und massierte mit einer Hand seine Schläfe.

Der Sessel wurde plötzlich ungemütlich, ich rückte von einer Seite zur anderen. Sollte ich die drei vielleicht alleine lassen? Vor mir würde es wahrscheinlich schwierig sein, über seine Probleme zu reden - ich war schließlich fast eine Fremde für ihn.

"Ich muss mal auf die Toilette", murmelte ich deshalb, sprang auf und hastete aus dem Wohnzimmer hinaus. Zwar hatte ich keine Ahnung, wo in Liams Haus das Badezimmer war, aber ich hatte ja genug Zeit, es zu suchen.

Plötzlich musste ich mich an den Tag erinnern, an dem Louis ein Konzert gegeben hatte und ich auf der Suche nach einer Toilette in seine Umkleide gestolpert war und ich blieb stehen, ließ mich gegen die Wand sinken und war mit einem Mal den Tränen nahe. Die Realität brach über mir zusammen und überflutete mich wie eine Welle.

Louis war nicht länger mein Freund. Er war nicht mal mehr ein Kollege, Chef oder wie auch immer meine geschäftliche Beziehung zu ihm bezeichnet werden konnte. Er war nun doch ganz einfach ein Star, der in seiner Welt nicht den Platz für eine Freundin hatte. Was dachte ich mir bei dieser ganzen Aktion denn überhaupt? Dass es die Welt ändern würde?

Ich würde jetzt nicht weinen. Was brachte es mir denn? Dadurch wurden meine Probleme auch nicht weggeschwemmt. Andererseits hätte ich jedes Recht dazu gehabt. Mein Freund hatte sich schließlich von mir getrennt.

Ich wollte nicht mehr hier stehen und darauf warten, dass Liam seinen Freunden sein Herz ausgeschüttet hatte. Irgendwie sehnte ich mich nach meinem Hund. In den letzten Tagen war er viel zu kurzgekommen. Ich hatte mich kaum um ihn gekümmert und wenn ich weiter so machte, würde er wieder eingeschnappt sein, wie damals, als ich versehentlich sein Lieblingsspielzeug, eine Sonne, die quietschte, sobald man draufdrückte, zerstört hatte.

Entschlossen richtete ich mich auf und sah zurück zum Wohnzimmer, aus dem nun gedämpfte Stimmen drangen. Ich würde hier garantiert nur stören.

Also schnappte ich mir so leise es mir möglich war meine Sachen und schlüpfte aus der Tür hinaus. Die frische Luft hier draußen würde mir garantiert guttun. Und Louis war immer noch nicht verloren für mich. Es gab noch Hoffnung für uns beide! Harry und Niall würden hier auch allein zurecht kommen.

Seufzend ging ich an den teuren Autos der beiden vorbei und wäre dabei am liebsten wieder umgekehrt, denn bei meinem tollen Entschluss hatte ich leider eine Kleinigkeit vergessen: Es regnete noch immer in Strömen.

Schutzengel || l.t. ✓Where stories live. Discover now