8.3: Wohin soll das führen?

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So sehr ich auch genörgelt, gemotzt und gequengelt hatte, es war nicht aus Louis herauszuholen gewesen, wie genau er das zuletzt Gesagte gemeint hatte. Also endete der Abend letztendlich damit, dass wir beide in meinem ehemaligen Zimmer, das Monica mittlerweile zu einem Bügelzimmer umfunktioniert hatte (Dad war für solche Aufgaben rein gar nicht zu gebrauchen und ich argwöhnte, dass meine Schwestern in meine Fußstapfen getreten waren und sich, wann immer sie eine Möglichkeit sahen, darum drückten), lagen, ich mit dem Kopf in Richtung Wand gedreht und bleidigt schmollend, er auf der Matratze liegend und keinen Ton machend, wusste der Himmel, was ihm durch den Kopf ging oder ob er schon eingeschlafen war. Es kümmerte mich mehr als mir lieb war, ich wollte wissen, was er gemeint hatte und noch dazu, ob ihm unser Gespräch ebenfalls den Schlaf raubte oder ob er darüber stand.

Ich war beleidigt, weil er scheinbar davon ausging, dass alle Frauen ihn vergötterten und er aufpassen musste, um sie nicht plötzlich in seinem Bett wiederzufinden. Er war beleidigt ... ja, warum überhaupt? Eigentlich hatte er gar kein Recht dazu, doch das schien ihn ja nicht zu stören.

Ich hatte mir viele Gedanken über seinen letzten Satz gemacht und kam zu einem Schluss: Er sah mich als eine vollkommene Schlampe an.

Wie sonst konnte ich mir erklären, dass es für ihn ein Problem war, wenn wir einmal als wirkliche Freunde zu einer Party gingen, statt nur auf Arbeitsbeziehung? Ich war es ja, an der das Problem lag, besser gesagt mein Charakter, weil dieser anscheinend so schlimm war, ich allerdings gar nichts dafür konnte. Was war es sonst an einem Menschen, was ohne seine Absicht ein Problem werden konnte?

Ich hatte gedacht, dass wir im letzten Monat vielleicht wirklich so etwas wie Freunde geworden waren, denn ich hatte mit kaum einem Menschen außerhalb der Familie jemals so viel Zeit verbracht wie mit ihm und er hatte sich scheinbar doch irgendwie meine Zuneigung erkämpft. Anders konnte ich mir kaum erklären, dass ich um etwa fünf Uhr morgens, lange, nachdem die letzten Gäste gegangen waren, noch wach lag und darüber grübelte.

"Ich bin keine Schlampe, die sich jedem Typen an die Brust schmeißt, der sie zu nahe an sich heran lässt", grummelte ich schließlich, wohl eher, um mich selbst zu beruhigen. Langsam rollte ich mich auf den Rücken, legte den Kopf zur Seite und sah Louis' Umrisse im Schein des Mondes, der durch das Fenster in mein Zimmer fiel.

Er lag ebenfalls auf dem Rücken, hatte den Kopf zur Decke gerichtet und hob und senkte seinen Brustkorb sanft im gleichmäßigen Takt seines Atems. Fast dachte - oder hoffte - ich, dass er wirklich schlief, bis ich seine Stimme leise hören konnte.

"Das habe ich auch niemals behauptet, Mia", erklärte er leise.
Ich wollte schon zu Protest ansetzen, doch er unterbrach mich, noch bevor ich überhaupt anfangen konnte.

"... und wenn es so war, dann tut es mir schrecklich leid. Wenn du dir meine Argumentation von vorhin noch einmal durch den Kopf gehen lässt, merkst du, dass es nicht einmal logisch war. Ich habe damit angefangen, dass es bei dir eigentlich egal ist, weil wir so oder so eine freundschaftliche Beziehung zueinander haben und damit geendet, dass das vorherige Problem nur bei dir existiert. Es ist also egal, aber irgendwie doch nicht. Wo ist da der Sinn? Ich denke, ich bin wohl ein wenig angetrunken ..."

"Nein", widersprach ich und hasste meine Stimme dafür, dass sie tatsächlich ein wenig zitterte, "du hast damit angefangen, dich wie ein mieses Arschloch aufzuführen und zu sagen, dass alle weiblichen Personen in deinem Umfeld dir sofort verfallen, wenn du sie nicht auf genügend großem Abstand hältst, bist dann übergeschweift zu 'bei dir ist so oder so schon Hopfen und Malz verloren, weil unsere Arbeits- und Freundschaftsbeziehung sich überschneidet' und hast damit geendet, dass du eigentlich doch kein so großer Womanizer bist, sondern das Problem insgesamt bei mir liegt, obwohl ich eigentlich nichts dafür kann. Sprich, du hast gesagt, dass ich eine Schlampe bin und mit dir sofort ins Bett hüpfen würde, wenn du feiner Gentleman nicht darauf achtest, dass unsere Beziehung in Grenzen bleibt und ich noch dazu einen scheiß Charakter habe, sodass etwas Ernstes ohnehin nie in Frage käme."

Ich war wütender geworden, während ich unsere Unterhaltung von vorhin zusammengefasst hatte, aber jetzt kullerte mir eine Träne die Wange hinunter. Ich hoffte, dass es eine Zornesträne war, wusste aber gleichzeitig, dass diese Annahme falsch war.

"Oh Gott, Mia, das habe ich doch nicht so gemeint!", stöhnte Louis entsetzt.

"Ja?", fuhr ich ihn an, "Es hat aber verdächtig danach geklungen!"

Er seuftze traurig.

"Hör doch nicht auf das wirre Gerede eines alten Holzkopfes wie mir, Mia", grummelte er dann, "aber das alles hat schon seinen wahren Kern. Ich misstraue seit Briana unfreiwillig fast jedem. Nicht, weil ich meinen würde, dass mich jemand anfällt und vergewaltigt, sondern einfach, weil ich so etwas nie wieder erleben möchte. Die Presse, die sich das Maul darüber zerreißt, viele enttäuschte Fans, die sowohl mich, als auch Briana oder sogar Freddie hassen, aus dem Grund, dass mein Sohn überhaupt existiert und ich, urplötzlich in die Rolle eines Vaters geworfen, der ich weder bereit noch gewillt zu sein war. Vor allem der Anfang war nicht gerade leicht. Wie soll man denn mit einer Frau umgehen, die eigentlich nur die Stylistin war und nicht mehr, die aber plötzlich das eigene Kind bekommt? Wir haben ein wenig geflirtet, das gebe ich ja zu, aber keiner von uns wollte etwas Ernstes. Und dann das. Versteh mich nicht falsch, ich liebe meinen Sohn, aber ich kann nicht sagen, dass er geplant gewesen war. Und jetzt habe ich allmählich ein bisschen Angst. Ein bisschen Angst, weil du wirklich meine Freundin geworden bist, Mia. Viel schneller, als ich jemals erwartet hatte. Und weil ich nicht weiß, wohin das noch führen soll ..."

Er brach ab und blieb auch danach still. Vielleicht wartete er auf eine Antwort, die ich ihm nicht geben konnte? Denn in mir spielte sich ein Wirbel der Gefühle ab. Schließlich hatte er gerade gesagt, dass er nicht wusste, wohin das alles führen sollte. Ich wusste es genauso wenig - ich wusste nicht einmal, wie weit ich gehen wollte. Wir waren befreundet, das stand fest, aber war da noch mehr? Wollte ich überhaupt noch mehr? Was konnte in einem Monat schon passieren?

Doch leider wusste ich nur zu gut: In einem Monat konnte eine ganze Menge passieren.

Schutzengel || l.t. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt