6.1: Enttäuschungen

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"Wie komme ich eigentlich nach Hause, wenn du dich noch mit ... wem auch immer triffst?", wollte ich wissen, nachdem wir die Menschenmenge aus unserer Sicht verloren hatten.

Er öffnete seinen Mund zu einer Antwort, doch schließlich fiel ihm nichts ein und er schloss ihn eilig wieder. Dann antwortete er irgendwann. "Du ... kannst mitkommen, wenn du willst?", schlug er vor und sah mich fast flehentlich an, wohl in der Hoffnung, dass ich zustimmen würde und er sich somit keine andere Lösung dafür suchen musste.

"Okay", tat ich ihm also den Gefallen. Eigentlich hätte ich mir auch ein Taxi rufen können und wenn ich sozial gewesen wäre, hätte ich ihn vielleicht auch daran erinnert, aber ich war eben nur Mia und so hielt ich die Klappe und freute mich, noch ein wenig Zeit mit ihm und seinem Freund verbringen zu können.

Wir bogen in eines der Geschäfte ab, ein unscheinbares Café, dessen Schaufenster so voller Werbung war, dass man nur schwer auf die dahinter sitzenden Personen sehen konnte. Ein perfekter Ort für einen Star, der seine Ruhe haben wollte.

"Dort vorne", wies mich Louis an und deutete auf einen Tisch, an dem bereits zwei Personen saßen. Einer von ihnen war eindeutig einer von meiner Gattung, ein Bodyguard also, während der andere mir bekannt vor kam. Moment mal - Niall Ho... wie auch immer. Der Typ von One Direction.

"Ja sag mal, wieso hat sich One Direction denn überhaupt aufgelöst, wenn ihr euch so oder so alle zwei Wochen trefft?", grummelte ich.

Louis bedachte mich mit einem bösen Blick.

"Es ist nur eine Pause!", erklärte er mir verärgert.

"Schon klar", murmelte ich, doch weiter kamen wir mit unserer Unterhaltung nicht, da wir den Tisch erreicht hatten.

Die beiden Wartenden erhoben sich nun, sie grüßten uns, Louis mit einem High-Five, mich mit einem förmlicheren Händedruck, der mir etwas fehl am Platze vorkam.

"Ich hab schon von deinen Plänen gehört", meinte Niall augenzwinkernd und Louis horchte auf.

"Wirklich?", wollte er wissen, während ich derweil zu Nialls Bodyguard schielte, mit den Schultern zuckte, ihm damit zeigte, dass ich absolut keine Ahnung hatte, worüber die beiden gerade redeten und dann wieder etwas halbherzig ihrem Gespräch folgte. Ich hätte vielleicht doch das Taxi nehmen sollen. Nun ja, das kam halt davon, wenn man so asozial wie ich war.

"Und, bist du dabei?", fragte mein Schützling gerade hoffnungsvoll.

Der andere zögerte ein wenig.

"Ich weiß nicht so recht, Louis", murmelte er dann. "Also, klar, es wäre natürlich cool, wieder mehr mit euch zusammen zu machen und so weiter, aber es wird eben nie wieder so wie früher werden, nicht? Ich meine, du und Liam, ihr seid mittlerweile beide Väter und wir haben uns ziemlich verändert, denkst du nicht auch?"

"Das muss ja nichts Schlechtes sein!", meinte Louis heiser. "Es muss nicht so sein wie früher!"

"Sehen das die Fans genauso? Und wie viele von ihnen sind überhaupt noch geblieben, nach der langen Zeit? Wie viele von ihnen werden bleiben, nachdem sie sehen, wie anders wir geworden sind?"

Wütend verzerrte Louis das Gesicht.

"Diejenigen, die wirklich treu sind, sind geblieben! Und noch dazu sollten sie uns so akzeptieren, wie wir sind!"

Niall jedoch wiegte zweifelnd seinen Kopf hin und her.

"Es wäre schön, wenn es wirklich so wäre", murmelte er dann, "aber die Welt ist eben nicht immer ein Wunschkonzert."

Schon wieder war die Stimmung bedrückt, ich fühlte mich unwohl in dem Café, das mir nun noch kleiner als zuvor vorkam. Nialls blaue Augen fixierten mich für einen Moment mit gerunzelter Stirn, vielleicht fragte er sich, was ich hier überhaupt tat, doch er sagte nichts mehr dazu.

"Ich meine, schau dir zum Beispiel mal Harry an", sagte er dann in einem sanften Ton. "Man weiß ja nicht mal mehr, ob er Sänger oder Schauspieler ist. Wahrscheinlich weiß er es nicht einmal selbst! Und er macht gerade erst seinen Start in letzterem Bereich. Denkst du, er will das alles aufgeben?"

"Er hat gesagt, dass er darüber nachdenkt!", verteidigte Louis den Lockenschopf.

"Er will dich nur nicht enttäuschen", erklärte sein Gegenüber ihm jedoch. "Aber nach dem, was ich gehört habe, hat er ein Angebot für eine Hauptrolle bekommen. Das wird er nicht ausschlagen, das musst du doch einsehen, Louis!"

Dieser schien den Tränen nahe zu sein.

"Aber es ist 2020!", klagte er. "Wir hatten gesagt ..."

"... die Zeiten ändern sich", unterbrach Niall ihn. "Ich weiß, was wir gesagt hatten. Aber sieh es doch ein, es wird nicht funktionieren! Zu zweit können wir es nicht packen und die beiden anderen haben andere Dinge im Kopf!"

Fassungslos starrte Louis den ehemaligen Bandkollegen an.

"Heißt das also, du würdest mitmachen, wenn die anderen es täten?", hakte er nach.

"Vielleicht", brummte sein Freund, "aber es wird eben nie mehr so wie früher werden."

"Und wenn es besser wird?"

Niall schüttelte fast betrübt den Kopf.

"Fortsetzungen werden selten besser."

"Aber es ist nicht unmöglich!", hielt Louis erpicht dagegen. Sein Freund jedoch schüttelte nur erneut mit dem Kopf.

"Überzeuge erst einmal die anderen. Dann sehen wir weiter, okay?"

Wütend schnaubte der Angesprochene, richtete sich dann ruckartig auf und schob seinen Stuhl energisch vom Tisch weg.

"Wir gehen, Mia", grummelte er und streifte mit der Hand meinen Arm, um seine Worte zu untermalen.

"Na dann", murmelte ich kleinlaut, während mein Blick ein wenig verwirrt zwischen Niall und ihm hin und her glitt. "Nett, euch kennengelernt zu haben."

Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete mich Louis' ehemaliger Bandkollege, nickte dann jedoch zum Abschied.

Ich dagegen musste einige Meter joggen - was sich mit Koffern und Hund im Schlepptau als ein wahres Kunstwerk entpuppte - um hinter Louis herzukommen.
"So", meinte ich dann, "und jetzt erklärst du mir bitte mal genau, was hier eigentlich die ganze Zeit los ist."

Schutzengel || l.t. ✓Where stories live. Discover now