Kapitel 17

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"Ich habe mal eine wichtige Frage an dich, Court", sagt Erich und sieht mich lächelnd an.
Ich hebe gespannt den Kopf, während ich mir mit einer Servierte einen Krümel von den Lippen entferne.
"Ich weiß, dass dir das alles ein wenig früh vorkommen mag, aber die Firma schmeißt jedes Jahr eine Geburtstagsfeier für APPLSN und naja, ich dachte, dass es vielleicht keine schlechte Idee wäre, dich ins Organisationsteam zu holen. Schließlich machst du deinen Job für mich perfekt und ich habe so das Gefühl, dass dir manche Aufgaben sehr viel Spaß machen könnten..."
"Oh Erich, das finde ich toll! Nett von dir, dass du dabei an mich gedacht hast. Ich würde das wirklich sehr gern machen."
Es gefällt mir, dass Erich trotz allem auch für ein paar Minuten an etwas Alltägliches denken kann, oder es zumindest versucht.
"Da gibt es noch eine Sache, für die du perfekt geeignet wärst...", beginnt er und kratzt sich verlegen am Hinterkopf.
"Ja? Woran denkst du dabei?"
"Ich halte jedes Jahr eine Rede. Sie sind nie wirklich schlecht gewesen, aber ich glaube, dass sie besser werden könnten, wenn eine Expertin draufguckt. Würdest du das vielleicht machen?"
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich meinen Chef jemals so schüchtern gesehen habe.
"Natürlich, ich mache das sogar unglaublich gerne. Das ist eine gute Gelegenheit, um dich von meinen Fähigkeiten zu überzeugen."
"Courtney, das hast du doch jetzt schon getan, da brauchst du mir nicht zu zeigen, was du auf dem Papier draufhast, das weiß ich auch so. Schließlich hat nicht jeder die Möglichkeit nach Oxford gehen zu dürfen."
Lächelnd verdrehe ich die Augen.
"Du tust ja gerade so, als wäre das unfassbar besonders. Ich weiß, die Oxford University ist großartig, aber ich gebe nicht gern an. Ich stelle mich nicht wirklich gern als größer dar, als ich es eigentlich bin."
Erich legt mir sanft eine Hand auf die Schulter.
"Courtney, du hast das Recht, das als etwas Unglaubliches zu betrachten. Du kannst stolz auf dich sein und solltest das auch zeigen. Ich meine, du warst auf einer der erfolgreichsten Universitäten der Welt, mein Gott nochmal! Wenn das mal kein Grund ist, um sich ein kleines bisschen damit aufzuplustern, dann weiß ich auch nicht."
Ich sehe ihn an und weiß sofort, dass er jedes einzelne Wort komplett ernst gemeint hat.
"Wenn ich dir mit dieser Frage zu nah trete, musst du mir das sagen, okay? Hast du ... Hast du jemals darüber nachgedacht, ob du nochmal mit einem Literaturstudium beginnst? Irgendwo anders?"
Ich beiße mir auf die Unterlippe. Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? Wäre er dann sauer? Würde er mich rauswerfen? Aber er ist derjenige gewesen, der gefragt hat.
"Um ehrlich zu sein, habe ich nicht vor ewig bei APPLSN zu bleiben... Ich nutze das als Möglichkeit, um Geld für ein Studium zu bekommen... Ich weiß, du bist sauer und ich hätte es dir früher erzählen sollen, aber-"
"Court, es ist alles gut. Beruhige dich, ich bin nicht sauer. Kein bisschen. Wenn wir nun schon so offen reden, kann ich dir ja auch sagen, dass ich nicht mit einer permanenten Stelle bei dir gerechnet habe. Vom ersten Tag an nicht. Klarer wurde es allerdings, als ich dich einige Male dabei beobachtet habe, wie du über deinem Notizbuch gesessen hast."
Sofort spüre ich, dass meine Wangen knallrot werden.
"Ich... Ich habe meine Aufgaben davor immer erledigt."
Mein Chef lacht.
"Das weiß ich doch, keine Sorge. Ich habe deine Augen beim Schreiben gesehen, Court, und da ist einfach Leidenschaft. Ich habe einige deiner Texte gelesen, die du für mich geschrieben hast und wenn du das nicht weiter ausbaust und nichts damit machen würdest, dann wäre dein ganzes Talent vergeudet."
"Es ist zwar nett, dass du das so sagst, aber ich glaube nicht, dass ich jemals auf die Uni gehen kann, auf die ich insgeheim möchte."
"Wieso? Auf welche Uni willst du denn?"
Ich grabe meine Vorderzähne so sehr in meine Unterlippe, dass ich bereits befürchte, jeden Moment würde Blut hervortreten.
"Die Columbia University fasziniert mich. Ich weiß, du hättest jetzt sicherlich erwartet, dass ich Yale oder Harvard sage, aber die sprechen mich einfach nicht an, haben sie noch nie."
"Columbia also, hm? Aber warum denkst du, dass du nicht dorthin gehen kannst?"
"Du weißt sicherlich, dass es sich dabei um eine private Uni handelt und ich kann mir die Studiengebühren nicht leisten, die sind nämlich wirklich sehr heftig."
Erich zieht eine Augenbraue hoch.
"Wie heftig denn?"
"Um die 62.000 Dollar. Vermutlich denkst du jetzt, dass ich ziemlich bescheuert bin, wenn ich mir ausgerechnet diese University aussuche, oder?"
Sein Lächeln ist mir schon fast eine Spur zu sanft, aber auch nur fast.
"Ich halte dich nicht für bescheuert, würde ich niemals. Im Gegenteil, ich finde es unglaublich interessant, warum es ausgerechnet die Columbia werden soll."
"Abgesehen davon, dass die Literaturkurse wieder unglaublich gut sind, zieht mich allerdings noch ein ganz anderer Grund dorthin. Es ist eine, um es so zu bezeichnen, literarische Revolution, die an der Columbia quasi ihren Anfang fand. Die Beat-Generation. Vielleicht kennst du Howl von Allen Ginsberg. Ein unglaublich gutes Gedicht, da kannst du dir sicher sein. Dabei hat es nicht viel mit dem Wort Gedicht zu tun, das man vor dem Ende des zweiten Weltkriegs gekannt hat. Es ist kein Gedicht in der Form, die damals toleriert wurde, Erich. Ganz und gar nicht. Und es war nicht nur Lyrik, es beeinflusste ganze Lebensweisen. Spontanität, spontane Kreativität war die Divise. Man hielt sich nicht mehr an Reime oder Versmaße, man schrieb drauf los. Es wurde kein Blatt mehr vor den Mund genommen, wenn das Thema des Textes Sexualität sein sollte, man ließ sich durch nichts und niemanden aufhalten, selbst wenn die Dozenten einen für vollkommen übergeschnappt hielten. Und ein letzter Faktor, der vielleicht noch ein wenig verrückt klingt, heißt Lucien Carr. Nachdem was mir geschehen ist, fühle ich mich in gewissen Punkten mit diesem bereits verstorbenen Menschen verbunden. Lu hat in Ansätzen etwas Ähnliches erlebt und irgendwie zieht es mich auch aus diesem Grund an diesen Ort. Ich meine, William S. Burroughs hat mit Naked Lunch alles abgeschossen, was sich ein Beatnik damals erträumt hat. Aufgrund dieser Beat-Generation habe ich etwas Wichtiges erkannt, das jeder Autor, der auch nur ein bisschen was von seinem Handwerk versteht, beherzigen sollte: Es geht nicht darum, die Literatur zu verändern, es geht darum, sie neu zu erfinden."
Als Erich mich nur anstarrt, wird mir etwas wirklich peinlich bewusst.
"Du denkst jetzt sicherlich, dass ich der absolute Nerd bin, oder?" 
Dann beginnt Erich zu lächeln und zieht mich in eine kurze und doch feste Umarmung, die ich gern erwidere.
"Ich denke nicht, dass du ein Nerd bist, sondern ein verdammtes Genie."

Cookies, schon wieder ein neues Kapitel! ❤️
Ich weiß, dass es dieses Mal sehr theoretisch bezüglich der Literatur geworden ist, aber es zeigt wie unsere Protagonistin tickt.
Hoffentlich hat euch das nicht all zu sehr gestört :)
All das, was ich in diesem Kapitel über die sogenannte "Beat-Generation" erzählt habe, ist tatsächlich so passiert.
Aus der sogenannten "New Vision", die unter anderem aus Allen Ginsberg bestanden hat, habe ich einen Teil von Courtneys Persönlichkeit gemacht und auch ihre wirklich grausame Vergangenheit hat Ansätze von der Vergangenheit Lucien Carrs, der mich bis heute inspiriert.
Das Motto, das Court am Ende ihres kleinen Vortrags genannt hat, war übrigens der Grund für "Dark Secrets". Crazy oder?
Oh wow, ich habe schon wieder zu viel geredet!
Sagt mir doch bitte, was ihr von diesem Teil der Geschichte haltet ;)
Read you next time ;*
Momofelton ❤️

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