Kapitel 37

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Kennt ihr dieses verfluchte Gefühl, wenn ihr glaubt, dass euer Herz gleich aus eurer Brust springen will?
Wenn eure Hände so sehr zittern, dass ihr keinen Stift mehr richtig halten könnt, um irgendeine Unterschrift zu leisten?
Kennt ihr diesen Moment, wenn euch die Knie vor Angst zittern und ihr das Gefühl habt, ihr würdet bei jedem nächsten Schritt gleich zusammenbrechen und nie wieder aufstehen können?
Tja, dann wisst ihr, wie es mir geht, als ich in das abgedunkelte Auto steige.
Ich setze mich einfach nur neben Ivana und sage nichts, da ich Angst habe, dass meine Stimme brechen könnte. 
Auch der Rest von uns ist ruhig, nur Gus murmelt leise etwas vor sich hin, während er einige Papiere in den Händen hält.
"Ich habe ihm extra frei gegeben, damit er sich in aller Ruhe mit der ganzen Sache beschäftigen kann", sagt meine Freundin leise, denn sie hat meinen fragenden Blick anscheinend bemerkt.
Jetzt schiebt sie ihre Hand vorsichtig in meine.
Ich weiß, sie würde es nie zugeben, doch ich sehe, dass sie genauso viel Angst hat wie ich.
Wer hätte das an so einem Tag nicht?
Heute würde sich entscheiden, was mit Erich passiert. Heute wird sich entscheiden, ob er sein Leben lang hinter Gittern verbringen muss.
Ich weiß, dass er mich vermutlich hassen wird, aber ich kann nicht zu Hause bleiben, um dann nur darauf zu warten, den Fernseher anzuschalten und das Urteil zu hören. Im schlimmsten Fall will ich bei ihm sein.
"Ich hoffe nur, dass ich vorher nochmal zu ihm darf", murmelt Gus und sieht endlich von seinen Papieren auf.
Ich bin überrascht. Er sieht wirklich professionell und nicht irgendwie übermüdet aus.
Ich lächle ihn verunsichert an und er beugt sich zu mir nach vorn.
"Wir kriegen ihn schon da raus, mach dir keine Sorgen. Wenn es eines gibt, was meine Eltern mir jemals beigebracht haben, dann, wie man vor Gericht überzeugend ist."

"Okay, hört zu. Wir machen genau das, was Erich von uns verlangen würde. Wir gehen jetzt da raus und reden mit niemandem. Wir gehen einfach an den Reportern und den Kameras vorbei. Wir gehen in das Gerichtsgebäude und das war's dann, klar?"
Iva und ich nicken. 
Erst jetzt fällt mir auf, wie ähnlich Augustus meinem Freund sein kann, wenn es um Führungsqualitäten geht.
Gus öffnet die Tür unseres Wagens und sofort dringt dieses Stimmengewirr in meine Ohren. Natürlich versuche ich alles so gut wie möglich zu ignorieren, doch die vielen Leute machen es nicht wirklich leicht. 
Ich fühle mich als würden alle Menschen näherkommen, wie verfluchte Wände, denen man nicht entkommen kann.
Mir ist nicht klar, ob die ganzen Reporter wissen, dass ich eine Beziehung mit Erich führe, aber nachdem er wegen dem letzten Vorfall in Untersuchungshaft gelandet ist, würde mich das nicht wundern. 
Ich habe das Gefühl, dass die Menge mich erdrückt und ich würde am liebsten schreien. 
Schreien, dass sie mich in Ruhe lassen sollen.
Schreien, dass mein Freund unschuldig sei.
Schreien, dass sie sich verpissen sollen.
Als ich kurz davor bin, unter dem Druck zusammenzubrechen, spüre ich eine Hand in meiner und sehe auf. 
Gus sieht mich ermutigend an und lächelt sogar. Das lässt mich besser fühlen und ich lasse mich von ihm aus der riesigen Masse in das Gerichtsgebäude ziehen.

Während Ivana und ich draußen warten müssen, ist Gus drinnen bei Erich, um die Strategie mit ihm zu besprechen. Wir haben keine Ahnung, wie diese Strategie aussieht, aber ich hoffe inständig, dass sie funktioniert.
"Hast du schon mal darüber nachgedacht, was passieren könnte, wenn sie ihn jetzt aus irgendeinem Grund schuldig sprechen sollten?", fragt meine beste Freundin und hebt meine Stimmung damit natürlich überhaupt nicht.
"Erich ist nicht schuldig, Iva, das weißt du genauso gut wie ich. Ich habe keinen Grund dazu, über irgendwelche Alternativen nachzudenken, falls du das meinst. Er wird freikommen und damit hat sich der Spaß, klar?"
Anhand meiner Stimmlage muss sie merken wie gereizt ich bin, weshalb sie nichts mehr sagt und wir eine lange Weile schweigend nebeneinander sitzen.
Bis ich auf einmal einen Blondschopf erkenne, der direkt auf mich zukommt.
"Es tut mir leid, Miss Hunter, aber würden Sie mich bitte für einen kurzen Moment begleiten?"
Sie hat zwar höflich gefragt, aber durch ihren Tonfall erkenne ich, dass das keine Bitte von Detective Mulligan gewesen ist.
Deswegen stehe ich nur stumm nickend auf und folge ihr bis um die Ecke, sodass wir ein wenig außer Hörweite von meiner besten Freundin sind.
"Sie sind tatsächlich noch hier und unterstützen ihn. Und jetzt haben Sie auch noch seinen besten Freund als Anwalt mit reingezogen. Warum um Himmels Willen machen Sie das alles?"
Ich starre sie an und verstehe nicht, warum sie das überhaupt noch fragt.
"Ich liebe diesen Mann mehr als mein eigenes Leben. Da dürfte Sie eigentlich überhaupt nichts mehr wundern."
Sie kommt einen Schritt näher und sieht mir fest in die Augen.
"Courtney, die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass Mr. Blunt wegen Mordes verurteilt wird und Sie wollen wirklich bei ihm bleiben? Sie werden keine Zukunft haben, wenn Sie bei ihm bleiben."
Ich traue meinen Ohren kaum.
"Bei allem Respekt, aber wie können Sie es wagen? Wie können Sie es wagen darüber zu entscheiden, wie ich meine Zukunft gestalte? Mit welchem Menschen ich mein Leben verbringen möchte und wie viel ich durchhalte? Sie mögen vielleicht mehr Erfahrung haben als ich, aber das gibt ihn noch lange nicht das Recht, ein Urteil fällen zu dürfen. Weder im Bezug auf mich, noch im Bezug auf meinen Freund. Habe ich mich klar ausgedrückt?"
Noch bevor Detective Mulligan etwas hätte sagen können, taucht Gus auf einmal neben mir auf, überraschenderweise nicht wirklich angespannt.
"Tut mir leid, dass ich dich hier unterbrechen muss, Court, aber Erich möchte dich noch einmal sehen, bevor es losgeht. Ich habe gefragt und es ist erlaubt."
"Vielen Dank, Augustus. Ich komme natürlich sofort."
Mit diesen Worten drehe ich mich um und lasse Hildy Mulligan einfach so stehen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Denn solche Leute konnte ich mir echt schenken.

Es ist ein komischer Anblick, als ich den Raum betrete und Erich trotz der ganzen Situation mit einem leichten Lächeln auf den Lippen vorfinde.
Er ist vollkommen in Orange gekleidet und als ich auf seine Hände schaue, die sich bereits in Handschellen befinden, muss ich schlucken.
Ich gehe zu ihm und küsse ihn vorsichtig. Mir ist klar, dass er normalerweise nicht so leicht von mir abgelassen hätte, aber da immer noch ein Beamter im Zimmer steht, sind mehr Küsse oder Berührungen nicht erlaubt. 
"Wie geht's dir?", will mein Freund wissen, kaum habe ich mich gegenüber von ihm an den Tisch gesetzt. 
"Ich bin unfassbar nervös", antworte ich ehrlich und Erich greift nach meiner Hand.
"Ich weiß, mein Engel, das bin ich auch. Aber dank dir wird Gus mich vertreten. Er ist ein verdammtes Genie. Ich bin froh, dass du nicht David engagiert hast, denn ich glaube nicht, dass er das gut hinbekommen hätte. Aber hör zu, deshalb wollte ich dich nicht sprechen. Es gibt ein viel wichtigeres Thema. Für den Fall, dass das Urteil nicht so enden sollte, wie wir es erwarten, dann-"
"Erich, bitte sag das nicht. Du wirst freikommen, du hast nichts Unrechtes getan", unterbreche ich ihn und spüre, dass erneut die Tränen in meinen Augen aufsteigen. 
"Courtney", sagt er ruhig, "du weißt, dass wir darüber sprechen müssen. Uns bleibt nichts Anderes übrig, verstehst du? Wenn das Urteil anders ausfällt, als wir erwarten, dann will ich, dass du nach New York gehst. Geh an die Uni und studiere dort. Ich möchte nicht, dass du dir deine Zukunft wegen mir verbaust, hast du mich verstanden? 
Ich habe mit Gus gesprochen und er wird dafür sorgen, dass du mit einer hohen Abfindung aus der Firma entlassen wirst. Es wird genug Geld sein, damit du eine lange Weile davon in New York leben kannst und die Gebühren bezahlst, falls du nicht für das Stipendium angenommen werden solltest. 
Courtney, bitte versprich mir, dass du im Falle einer Verurteilung an die Columbia gehst. Du hast das Recht neu anzufangen und dir das Leben aufzubauen, das du schon wolltest, nachdem du nach Oxford gegangen bist. Sorg dafür, dass die Menschen deinen Namen auf einem oder mehreren Buchdeckeln zu lesen bekommen. Führe das Leben, das du schon so lange gewollt hast."
Die Tränen laufen mir nun endgültig die Wangen herunter.
"Erich, ich kann das nicht, ich-"
"Doch Courtney, du kannst. Wenn ich in dem letzten Jahr eines über dich gelernt habe, dann, dass du alles schaffen kannst, was du dir vornimmst. Versprich es mir. Bitte."

Noch immer bereue ich, dass ich ihm mein Wort tatsächlich gegeben habe. 
Ich werde wohl kaum aus San Francisco verschwinden können, wenn Erich tatsächlich ins Gefängnis kommen könnte. Obwohl ich bis jetzt ehrlich sagen muss, dass ich einen Schimmer am Ende dieses dunklen Tunnels erkennen kann.
Gus macht seine Sache ausgesprochen gut. Er ist unfassbar talentiert und weiß ganz genau, was er sagen muss, damit er die Geschworenen überzeugt.
Mein Blick gleitet wieder zu Erich, der sich immer wieder nervös umsieht.
Als ich in San Francisco ankam, hätte ich nicht einmal eine Sekunde daran gedacht, dass ich mich jemals in einem Gerichtssaal befinden würde. Schon gar nicht, weil mein fester Freund der Angeklagte sein würde. Angeklagter in einem Mord.
Als ich in die Stadt zog, habe ich mir eigentlich vorgenommen, dass ich mich ganz normal auf meinen Job konzentriere, damit ich genug Geld verdiene, um vielleicht eines Tages ein Studium an der Columbia-University finanzieren zu können.
Ich hatte mir vorgenommen, die Finger von irgendwelchen Beziehungen zu lassen und hier vielleicht Freunde finden würde.
Ich war davon ausgegangen, nie wieder auch nur ein einziges Wort über die Geschichte von Oxford verlieren zu müssen.
Ich hatte mir das Ziel gesetzt, einfach nur eine gute Assistentin zu sein und keine Schwierigkeiten zu bekommen.
Ich hatte mir geschworen, mein Herz nicht zu verlieren.
Doch letztendlich läuft das Leben nie nach Plan, es kommt immer anders.
Schließlich wäre es sonst kein Leben.

"Ich bitte Sie jetzt, sich im Staate Kaliforniens zu erheben, denn nun wird die geehrte Richterin das Urteil verkünden."
Ich stehe auf und sehe meinem Freund in die Augen. 
In den nächsten paar Sekunden könnte sich unser Leben für immer verändern. 
Nicht nur Erichs Leben, nicht nur mein Leben, sondern auch das von Gus und Ivana.
Sollte Erich tatsächlich verurteilt werden, so würde Augustus der neue CEO von APPLSN werden und Iva die neue Zweitchefin der Firma.
Ich würde aus der Firma entlassen werden, um ein neues Leben zu beginnen, das ich eigentlich gar nicht will.
Und Erich?
Er wird sein gesamtes Leben hinter Gittern verbringen und niemand wird sich irgendwann mehr an den Menschen erinnern, der er davor war. 
Niemand wird sich an den liebevollen Menschen erinnern, den ich kennen- und lieben gelernt habe.
Meine Augen treffen erneut auf seine. 
Braun trifft Graublau.
Es schickt genau solche Schläge durch meinen Körper, wie beim ersten Mal, als er mich angesehen hat.
Ich sehe immer noch dieses kleine Lächeln auf seinem Gesicht, bevor er sich abwendet und wieder nach vorn schaut.
"Durch den Mangel an Beweisen wird Erich Maxwell Blunt von allen Anklagepunkten freigesprochen."

Hallo Cookies. ❤️
Hier ist vermutlich das Kapitel, auf das viele gewartet haben.
Was sagt ihr? :)
Und nein, das ist noch nicht das Ende der Story ;)
Read you next time ;*
Momofelton ❤️




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