Kapitel 18

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"Erich scheint es besser zu gehen, oder?"
Ivana beugt sich zu mir herüber, während Erich und mein Freund dabei sind, unser Essen zu organisieren. Wir haben beschlossen, in das chinesische Restaurant zu gehen. Hier ist es um Einiges ruhiger, außerdem versuche vor allem ich Erich aus dem Chaos fragender Mitarbeiter herauszuholen.
"Ein bisschen vielleicht, ja."
"Ein bisschen? Hast du gesehen, wie entspannt er mittlerweile durch die Flure läuft? Vor ein paar Tagen hätte das nicht funktioniert. Da hätte er garantiert einen Nervenzusammenbruch nach dem anderen gehabt, aber jetzt ist es besser. Was hast du gemacht, Courtney Hunter?"
Ich sehe sie irritiert an.
"Wieso sollte ich etwas gemacht haben? Ich habe höchstens mit ihm geredet, mehr nicht."
"Ja, siehst du? Wenn ihm das schon hilft, ist er so was von in dich verschossen."
Als ich gerade etwas darauf antworten will, stellt mir Augustus eine Nudelbox vor die Nase.
"Wer ist in wen verschossen?"
"Ich in dich", sage ich schnell, sobald ich sehe, dass Ivana zu einer Antwort ansetzen möchte. Gus lächelt und beugt sich ein wenig herunter, sodass ich ihm einen leichten Kuss auf den Lippen platzieren kann. Ich merke Erichs Blick auf mir und löse mich recht schnell wieder. Als ich ihm in die Augen schaue, weiß ich nicht wie ich das, was ich darin sehe, deuten soll. Ist es Verzweiflung? Wut? Mitleid vielleicht?
Ich muss ehrlich zu euch sein. Momentan ist es entspannend für mich, wenn ich nicht so viel Zeit mit meinem Freund verbringen muss, denn seit er meine Geschichte kennt, fasst er mich nur noch mit Samthandschuhen an. Vor allem bei Gus habe ich gehofft, dass er es nicht tun würde. Ich hasse so etwas einfach nur, ich bin nicht meine Vergangenheit und das habe ich ihm bereits gesagt. Okay, die Situation ist nicht die beste dafür gewesen, aber er hatte es einfach provoziert: Ich bin bei ihm zu Hause gewesen und wir haben ein wenig auf seiner Couch herumgemacht. Dieser Wortlaut tut mir übrigens leid, ich weiß nur nicht, wie ich es anders ausdrücken soll. Jedenfalls waren wir schon kurz davor, einen Schritt weiterzugehen, bis Gus plötzlich zögerlich wurde. Ich kann ihn ja verstehen, aber als ich ihn dann fragte, was los sei, hat er genau den Blick in den Augen gehabt, den ich so sehr hasse. Er hatte Angst. Angst davor, mich zu berühren. Als ich ihn, nachdem die ganze Stimmung verflogen war, darauf ansprach, sagte er, er wolle mich nicht an meinen ehemaligen Dozenten erinnern, wenn er mit mir schliefe. Das hat mich wütend gemacht. Genau das ist es, was Patrick als Einziger aus meinem damaligen Freundeskreis auf die Reihe bekommen hat: Mich nach allem, was passiert ist, noch genauso wie vorher zu behandeln. Ich kann ja verstehen, dass es für die Leute schwer sein muss, aber nur weil mir das geschehen ist, was mir geschehen ist, will ich trotzdem als die Courtney gesehen werden, als die ich mich selbst mittlerweile wieder sehen kann. Als eine junge Frau, die trotz Narben stark genug ist, alles auf die Reihe zu bekommen, was sie will. Mir ist klar, dass es die wenigsten Menschen nach solchen Erlebnissen so sehen können und trotzdem ist es möglich, ich bin ja wohl ein gutes Beispiel dafür. Ich habe mich wieder mit Gus vertragen und er hat mich auch ernst genommen, als ich ihm meine Meinung diesbezüglich mitgeteilt habe, aber ich spüre noch immer, dass er mit allem, was er in meiner Gegenwart tut oder sagt, unglaublich vorsichtig ist. Ich bin so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkt habe, dass mein Freund mich angesprochen hat. Ich werde erst wieder wach, als Erich mir vor dem Gesicht herumschnippst.
"Court, du solltest auch mal essen, bevor es kalt wird, meinst du nicht?"
Mein Chef schiebt mir die Gabel zu und lässt mich dabei nicht aus den Augen. Sein Blick ist stechend und er wendet ihn erst wieder von mir ab, als ich den ersten Bissen genommen habe. Es schmeckt wie immer vorzüglich und trotzdem erwische ich mich dabei, dass ich Erich nicht aus den Augen lasse. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er mir irgendwas sagen will, zumindest schafft er es augenblicklich, meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Da ist etwas in seinen Augen, das mich fesselt. Das mich nachdenklich stimmt. Ich wäre fast wieder in meine Welt der Gedanken entschwunden, doch da habe ich die Rechnung ohne Augustus gemacht, der jetzt vorsichtig mit seinen Fingerspitzen über mein Bein streichelt. Als ich ihn mit einem leichten Lächeln ansehe, hellt sich sein Gesicht auf und scheint sich zu freuen, dass ihn nun wieder beachte.
"Was ist denn heute los mit dir, Süße? Du wirkst so vollkommen abwesend. Was schwirrt in deinem hübschen Kopf herum?"
Ach ja, das ist noch so eine Sache, die sich mein Freund seit Neuestem angewöhnt hat. Er behandelt mich in letzter Zeit oft, als würde er mich in keiner Art und Weise irgendwie auch nur ein wenig aufregen wollen. Ich lasse mir nichts anmerken und küsse ihn kurz auf die Wange.
"Ich habe nur über die riesige Feier von APPLSN nachgedacht, das ist alles. Schließlich muss ich bald mit der Organisation anfangen, damit mein geplantes Konzept aufgeht."
Das süße Lächeln auf seinem Gesicht wandelt sich nun in einen besorgten Ausdruck um.
"Court, wenn es dir zu viel werden sollte-"
Den Rest höre ich schon gar nicht mehr, denn das Blut rauscht viel zu laut in meinen Ohren. Wie kann er es wagen?
"Gus, es ist meine Entscheidung und mein verfluchtes Leben! Ich dachte, dass vor allem du verstehen würdest, dass ich nicht wie ein rohes Ei behandelt werden möchte! Ich bin nach der ganzen Sache immer noch ich und niemand anders. Warum kannst du das nicht sehen? Wieso kannst du mich nicht einfach so behandeln wie an dem Morgen, als ich in deinen Armen gelegen habe? Ich entscheide selbst, was ich tue und was nicht, ich brauche niemanden, der mich bevormundet! Ich bin eine erwachsene Frau und das, was mir geschehen ist, gibt dir noch lange nicht das Recht, es anders zu betrachten! Wann verstehst du endlich, dass ich mit diesen Narben geliebt werden will?"
Mir ist sofort klar, dass ich viel zu laut gewesen bin, aber das interessiert mich gerade herzlich wenig. Hätte ich das gerade nicht getan, wäre ich vermutlich geplatzt. Ich versuche wirklich nachsichtig mit Gus zu sein, doch ich kann so nicht weitermachen. Noch bevor er etwas sagen kann, erhebe ich mich vom Tisch und verlasse das Restaurant. Das ist mir gerade eindeutig zu viel.

Ich schrecke auf, als sich die Tür öffnet und bin aus irgendeinem Grund nicht sehr überrascht, dass Erich vor meinem Freund hier ist. Vorsichtig schließt er sie wieder und setzt sich ohne ein Wort zu sagen neben mich. Ich sehe ihn nur mies gelaunt an, obwohl ich weiß, dass er nichts für all das kann.
"Nur damit es dir klar ist, Gus wird gleich hier aufschlagen. Ich glaube, dass er sich schrecklich fühlt, aber ich kann dich verstehen. Immer wie ein rohes Ei behandelt zu werden, ist sicherlich echt nicht das Wahre. Aber eins solltest du über Gus wissen. Wenn er liebt, dann liebt er wirklich. Du darfst ihm all das nicht zu übel nehmen, er will dich nur beschützen, er will, dass es dir gut geht. Bitte sei nicht zu hart zu ihm, okay?"
Eine Sache verwirrt mich. Wenn Erich doch so verliebt in mich ist, wie Ivana behauptet, warum macht er sich dann Sorgen darum, dass ich mich nicht wieder mit Gus vertragen könnte?
Doch ich komme nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn in diesem Moment wird die Tür aufgerissen und Augustus stolpert ins Büro unseres Chefs. Erich geht mit der Begründung, er müsse bei Bill etwas abgeben, doch ich weiß, dass er uns Zeit allein geben will. Kaum ist er aus dem Raum, beginnt mein Freund zu reden: "Courtney, ich weiß, ich bin ein verdammter Idiot! Ich sollte dich so behandeln wie du es möchtest und das will ich auch, doch gleichzeitig habe ich Angst, dass ich dich aus irgendeinem Grund an diesen ... diesen Menschen erinnern könnte. Ich schwöre dir hoch und heilig, dass ich dich genauso behandeln und genauso auf die Art lieben werde, wie ich es getan habe, bevor ich von deiner Geschichte erfahren habe. Court, du bist so ein starker Mensch, so wunderbar und atemberaubend, hörst du? Ich will dich nicht verlieren. Ich will jeden Tag der Grund dafür sein, weshalb du ihn genießen kannst. Ich möchte nicht, dass du wegen mir sauer wirst. Ich möchte, dass du weißt, dass ich dich liebe. Mit all deinen Narben, die dir das Leben verpasst hat. Ich liebe verflucht nochmal alles an dir und ich hoffe, dass du das weißt..."
Da steht er nun und sieht mich an. Ich weiß ganz genau, dass er das alles ernst meint und wäre ihm am liebsten auf der Stelle in die Arme gesprungen. Doch ein Teil von mir widersetzt sich diesem Verlangen.
"Süße, bitte sag etwas..."
Er kommt einen Schritt näher und schiebt mir zaghaft eine Strähne hinters Ohr. Ich muss leicht lächeln. Dann gebe ich ihm einen Zettel in die Hand.
"Ich kann meine Gefühle besser so ausdrücken", sage ich und beobachte meinen Freund ganz genau, während er mein Gedicht liest.

There once was a boy
Who fell in love with a girl.
He noticed quickly
That she was a rose.
Beautiful but had thorns.
He wanted to help her
But stole her the light
She needed to grow
Because he was scared
It could burn her.
He forgot
She needed light to survive.
She wanted him to stop
And one day he did
Because he knew
That she would have stung him
And would have stayed away.
Be my sun
That makes me feel alive.
Don't be the cloud
That makes me die.

So Cookies! ❤️
Nach längerer Zeit mal wieder ein neues Kapitel für euch.
Was sagt ihr? :)
Wie findet ihr das Verhalten von Gus?
Courtneys Reaktion?
Welche Rolle wird Erich in nächster Zeit spielen und wann gehen die Ermittlungen gegen ihn weiter?
Ich freue mich schon auf eure Meinungen ;)
Read you next time ;*
Momofelton ❤️







Dark Secrets ✅Where stories live. Discover now