8. Meine Avocado ist eine beschissene Avocado

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[M.]

Eineinhalb Wochen sind vergangen, seitdem ich das letzte Mal in der Praxis saß. Sie ist immer noch hässlich, immer noch weiß und mintgrün eingerichtet. Man riecht das Desinfektionsmittel.

Ich kratze mich am Kopf – die kleine feine Naht, verdeckt von meinen Haaren, nervt langsam. Die Naht haben sie gebraucht, um herauszufinden, ob mein Avocado-Kern lieb gesinnt ist oder nicht.

Meine Neurologin begrüßt mich mit einem freundlichen, aber falschen Lächeln.

„Wie geht es Ihnen?", möchte sie wissen.

„Das hängt stark davon ab, was Sie mir jetzt erzählen." Ich falte die Hände ineinander und versuche allen Ernstes, meine innere Mitte zu finden.

„Ohne mit der Tür ins Haus fallen zu wollen; der Tumor ist bösartig."

Vielleicht sind Avocados doch kein gutes Gemüse.

Vielleicht sind Avocados kleine Hurensöhne.

„Aha", gebe ich als Antwort, um den Eindruck zu erwecken, dass ich darauf entspannt reagiere. Ich mein, mir war das ja schon irgendwie klar. In welchem Film sind Hirntumore auch gutartig? „Also schneiden Sie mir den raus und alles ist wieder cool?", will ich wissen.

„So einfach ist das leider nicht."

Sie kramt in ihrer Schublade. Dann zieht sie Broschüren über Chemotherapie und etwas, was sich ‚Glioblastom' nennt, heraus. Es folgen eine Karte für einen Seelenklempner und mitleidiges Lächeln.

„Schauen Sie." Sie zeigt mir nochmal die Aufnahmen von meinem Avocado-Kern. „Ihr Tumor sitzt hier und kann noch wachsen ... dann könnte er zu Lähmungen, epileptischen Anfällen und Bewusstlosigkeit führen. Deshalb müssen wir ihn so schnell wie möglich versuchen zu entfernen. Mein Kollege, der im Krankenhaus auch die Probenentnahme durchgeführt hat, könnte einen Teil schon nächste Woche montags herausschneiden, wenn Sie möchten."

Wenn ich möchte?

Was soll ich denn sonst möchten?

Nein, bitte lassen Sie ihn drinnen. Ich bin ganz großer Fan vom Sterben.

„Und dann würden wir mit der Chemotherapie beginnen."

„Das, wo man die Haare verliert?"

Sie nickt.

Das ist schlecht. Ich mag meine Haare.

„Muss ich das machen?"

Die Ärztin runzelt die Stirn, wahrscheinlich glaubt sie, dass ich den Ernst der Lage nicht begreife. „Es tut mir leid, aber Sie haben Krebs und wenn Sie den besiegen möchten, dann sollten Sie die Chemotherapie machen. Es kann nämlich sein, dass Ihr Tumor gerade in diesem Augenblick Metastasen bildet."

„Ja, tut mir leid. Ist das erste Mal, dass ich Krebs habe", meine ich trocken. So wie sie es sagt, klingt es, als hätte das Ding ein Eigenleben, und Avocado-Kerne haben kein Eigenleben. Avocados sind kleine Hurensöhne, deren einziges Ziel die Vernichtung meines Gehirns ist.

Ehrlich gesagt finde ich so einen Tumor zeitlich extrem unangebracht.

Ich hab noch sehr viel vor.

„Können wir die Operation verschieben?", frage ich die Neurologin, die mich ansieht, als hätte ich eine Frage gestellt, die normale Patienten nicht stellen dürfen.

„Das wäre nicht gut."

Nichts daran ist auch nur im Entferntesten gut!

Krebs ist nicht gut!

Genauso wie diese Scheiße mit der Chemotherapie. Verdammt, ich mag meine Frisur und meinen Körper! Diese behinderten Gamma-Strahlen werden mich kaputt machen und dann sehe ich aus wie ein Junkie, der vorm Jobcenter um sieben Uhr morgens rumgammelt, damit er früh genug da ist, um sein Hartz4 zu beantragen.

Das kann ich nicht.

Und dann würden alle wissen, dass ich Krebs habe und Mitleid haben.

Von den Jungs im Krankenhaus besucht zu werden, wäre das Allerletzte.

„Es tut mir leid, aber ich kann und will das nicht. Ich komm auch ohne OP und Bestrahlung klar." Ich stehe auf.

„Hören Sie, das ist wirklich wichtig", erklärt sie eindringlich.

„Danke, aber nein danke." Ich ignoriere die Broschüren, die sie mir hinhält und gehe stattdessen einfach.

Ich brauch diesen Scheiß nicht.

Der Club der WichserWhere stories live. Discover now