3. Wir sind Asse

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[J.]

Der Deutsch-Grundkurs bedeutet: eine Doppelstunde am Dienstag und eine Einzelstunde am Donnerstag.

Heute ist Dienstag.

Wenn man sich in der Klasse umschaut, dann wirken alle ganz unscheinbar.

Da sitzt M. in der letzten Reihe neben Elena, der Strähnen aus dem Pferdeschwanz ins Gesicht fallen. Da ist F., der seine Jeansjacke wahrscheinlich aus Prinzip nicht auszieht und jedes verdammte Mal zu stoned ist, um irgendwas mitzuschreiben.

O., der neben mir sitzt und jedes zweite Kästchen in seinem karierten Block ausmalt. Er meldet sich nie freiwillig. Im Gegensatz zu Charlotte, die bei jeder Frage die Hand hochnimmt, als würde davon ihr Leben abhängen. Vielleicht tut es das auch?

Unseren Lehrer, ein dicker alter Kerl mit Schnauzer und Karo-Hemd-Fetisch, beeindruckt das trotzdem herzlich wenig, seine Lieblingsschülerin ist Ronja, der die Brüste aus ihrem Top fast herausfallen und deren braune Haare in perfekten Wellen über ihre Schultern fallen.

Wären wir in einem amerikanischen Teenie-Film gefangen, dann wäre sie der Cheerleader-Kapitän, aber so ist sie nur Vorsitzende vom Abi-Komitee, Stufensprecherin und die Masturbationsvorlage von jedem Jungen, der in diesem Raum sitzt.

Die würden sich für das Busenwunder die Köpfe einschlagen, aber Ronja selbst ist angeblich schwer in M. verschossen, der sich gerade große Mühe gibt, überzeugend zu vermitteln, dass seine Hausaufgaben nur zufällig exakt die gleichen sind wie die seiner Freundin.

„Wenn das Ihre Hausaufgaben sind, M., dann können Sie mir bestimmt sagen, welche drei großen Ziele Obama mit der Rede verfolgt hat."

Er weiß es nicht.

„Ähm ...", beginnt er zu stottern und schaut auf sein Blatt.

„Dachte ich mir." Der Lehrer zieht herzlos einen Strich mit seinem abgenutzten Kugelschreiber ins Notenbuch und geht dann weiter.

Ich glaube, M. hat dieses Jahr kein einziges Mal selbstständig die Hausaufgaben gemacht.

Der Lehrer kontrolliert noch den Rest, schreibt bei F. einen weiteren Strich auf, genauso wie bei mir, und geht dann zurück zur Tafel. Er schwafelt etwas über Obama und dann darüber, dass er möchte, dass wir selbst eine Rede schreiben und sie nächste Stunde vortragen. Da er aber weiß, dass der Kurs aus inkompetenten Idioten besteht, fügt er das schöne Wort „Gruppenarbeit" hinzu und ehe alle losstürmen und die üblichen Paarungen bilden können, präsentiert er ein Kartendeck.

„Die Asse bilden eine Gruppe, die Könige bilden eine Gruppe, die Damen bilden eine Gruppe und so weiter", rasselt er herunter und teilt dann die Karten aus. Auf manchen Gesichtern sieht man Enttäuschung, zum Beispiel bei Jannis, der einen Buben zieht oder bei Katharina, die aufgrund der fehlenden Dame nicht mit Elena eine Gruppe gründen kann. Charlotte hingegen zieht eine Dame, genauso wie Ronja die Masturbationsvorlage und Larissa, die niemand so richtig mag, weil sie niemanden mag.

Ich ziehe Kreuz-Ass.

M. zieht Herz-Ass.

F. zieht Karo-Ass.

O. zieht Pik-Ass.

Und so finden wir uns einander gegenüber an einem Tisch wieder. F. neben mir riecht nach Kippen und dem Gras, das er in der Pause geraucht hat. M.s Sporttasche, die er jeden Tag mitschleppt, stört mich an meinem Bein und O. neben mir schweigt vor sich hin.

„Wir brauchen ein Thema", erkläre ich und trommle mit dem Kugelschreiber auf meinem Block. „Irgendwelche Vorschläge?"

„Drogen", meint F. schulterzuckend.

„Vergiss es", entscheidet M. sofort.

„Wäre auf jeden Fall spannender als dein Fußball-Gedöns", kontert F. und lehnt sich auf dem Stuhl zurück. Ich mag es, wie lässig er dabei aussieht.

„Wie wäre es mit Doping?", kommt mir ein Gedanke, der von beiden abgenickt wird, während O. nur stumm da sitzt.

Das ist nicht der Moment, in dem wir beste Freunde werden, aber das ist der Moment, in dem wir das erste Mal wirklich miteinander reden.

Das ist der erste Moment, in dem ich mich wie ein Ass fühle und irgendwem zugehörig.

Dashier könnten meine Freunde werden.

Der Club der WichserWhere stories live. Discover now