15. Einfach so

4.3K 522 88
                                    

[Elena]

Die Kneipe hat sich das letzte Mal vor Monaten mit so vielen Menschen gefüllt. Es ist heiß, stickig und der Schweiß tropft im Takt der Bassboxen von der Decke. Die gesamte Atmosphäre harmoniert nicht mit der Holztheke der Bar oder der restlichen Einrichtung, aber dennoch bilden sie eine Einheit.

Alles verschmilzt miteinander und scheint für diesen Abend ganz natürlich zueinander zu gehören.

Irgendwo zwischen hüpfenden Frauen, die ihre Crop-Tops auch als BH hätten tragen können, und Kerlen, die ihre Hemden bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt haben, steht M. und flüstert lächelnd irgendeiner kleinen Blondine was ins Ohr – wahrscheinlich versucht er nur, sich über die starken Elektrobeats hinwegzusetzen.

Meine Miene verzieht sich ein wenig, während ich ihn wahrscheinlich viel zu offensichtlich anstarre. Sie lacht, dann streicht sie ihm über die kurzen Haare und kichert irgendwas in sein Ohr. Wahrscheinlich gesteht sie ihm gerade, dass er selbst mit den raspelkurzen dunkelblonden Stoppeln noch gut aussieht.

Gereizt davon, dass es mich überhaupt interessiert, drehe ich mich weg und räume das Glas, das ich gerade gefühlt fünf Minuten lang poliert habe, ins Regal. Es ist das letzte aus der Spülmaschine, die jetzt wieder bereit ist, sich mit neuen Cocktail- und Biergläsern zu füllen.

„Wie gefällt dir die zahlende Kundschaft?", höre ich einen meiner Mitarbeiter – Tarek. Er steht direkt hinter mir, sodass ich seinen Oberkörper in meinem Rücken spüren kann. Ich muss lächeln und drehe mich zu ihm um. Zwischen Regal und Theke ist generell nicht sonderlich viel Platz, aber um sich hier zu zweit gegenüberzustehen, muss man sich schon mögen.

Und Tarek mit den schwarzen Haaren, die ihm immer wieder ins Gesicht fallen, den dunklen Augen, die mich jedes Mal in sich reißen, als wären sie ein schwarzes Loch, und der sonnengeküssten Haut ist jemand, bei dem ist es total okay, sich so nahe zu kommen.

Er riecht nach Bier.

„Ist doch nicht schlecht, wenn die Kasse klingelt." Ich lächle in sein kantiges Gesicht. Sein dunkler Bart ist perfekt getrimmt und überhaupt steht ihm dieser leichte Holzfäller-Look unglaublich.

„Lenny!", meldet sich jemand, bei dem ich es jetzt eine ganze Minute geschafft habe, nicht an ihn zu denken. Ich sehe Tarek entschuldigend an, quetsche mich an ihm vorbei und beuge mich zu M. rüber, der auf der anderen Seite des Tresens hängt und sich zu mir lehnt. „Was ist?", frage ich ihn genervt. Mir fällt sofort auf, dass er das Blondchen im Arm hält.

„Zwei Kurze", bittet er und zeigt zwei Finger. Ich würde dem auch gerne einen Finger zeigen.

Aus Erfahrung weiß ich, dass M. mit ‚Kurze' Wodka-Shots meint und tue ihm den Gefallen, aber noch während ich sie ihm rüberreiche, fällt es mir wieder ein.

Er darf keinen Alkohol.

Er hat Krebs.

Unsicher halte ich sein Glas in der Hand, während das Blondchen nach ihrem schon gegriffen hat. „Was ist?" Er beugt sich stirnrunzelnd zu mir rüber.

„Du darfst nicht", sage ich ihm ins Ohr. Er ist so nah, dass ich sein Parfüm riechen kann – etwas Süßliches, aber dennoch angenehm Raues.

„Heute schon!", ruft er zurück. Er nimmt mir das Glas weg und stürzt es runter.

„M.!", protestiere ich, doch er verschwindet schon wieder in der Masse. „Dieser Vollidiot", grummle ich.

„Hey, Elena – irgendwer hat auf der Toilette gekotzt. Kannst du das übernehmen? Ich hab hier alle Hände voll zu tun", lenkt Tarek meine Aufmerksamkeit plötzlich auf sich.

Der Club der WichserWhere stories live. Discover now