2.

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„Was meinst du?", fragt M. und schaufelt sich noch eine Gabel der Spaghetti Carbonara in den Mund.

„Wir könnten es renovieren und dann haben wir unser eigenes Ding."

„Wir könnten es auch verkaufen, du wärst die Schulden los und wir könnten wegziehen?"

Still, nicht begeistert von dieser Idee und auch nicht von seinen drei letzten, schaue ich auf meinen Teller anstatt in seine Augen.

„Lenny, komm schon. Willst du das alles hier wirklich behalten?"

Ich zucke mit den Schultern, versuche meine Tränen zu verdrängen. Gott, wieso will ich überhaupt weinen? Weil er es offenbar immer noch nicht versteht oder weil es mir wirklich so lächerlich viel bedeutet, hier zu bleiben?

Er seufzt, sieht das Salzwasser in meinen grünen Augen und steht auf. „Hey, Lenny", sagt er behutsam und zärtlich, streichelt mir durch die Haare und lässt zu, dass ich meinen Kopf gegen seinen Bauch lehnen kann. „Alles wird gut", murmelt er.

„Nein, wird es nicht."

Ich sehe zu ihm auf. „M. wir wollen in zwei völlig unterschiedliche Richtungen. Du willst weg von hier, was Neues sehen, und ich kann nur hierbleiben, weil das hier – dieses Haus, die Kneipe, alles ... Das bin ich."

Er sagt nichts, hört nur zu, und ich stehe auf, damit wir auf Augenhöhe sind.

„Ich liebe dich, wirklich sehr", flüstere ich. „Aber ich will dich nicht hier festhalten. Mach dein Ding, mach diese dumme Weltreise, die du und F. schon nach dem Abi machen wollten, fühl dich frei und glücklich. Ich mein, ich sehe doch, dass du ..." Ich halte inne. Jetzt laufen die Tränen. „Dass du unglücklich bist, weil du hier bist und dich fühlst, als müsstest du hier sein, nur weil wir zusammen sind."

„Lenny, das ist doch Bullshit. Ich bin hier, bei dir, weil ich dich liebe."

„Aber du bist nicht glücklich, oder?"

M. schweigt, anstatt zu antworten.

„Ja, genau das meine ich. M., es ist okay. Du hast dein ganzes Leben damit verbracht, auf jemand anderen zu hören und Dinge zu tun, die du nicht wolltest, sondern die alle anderen für dich wollten.

Weißt du wann ich fand, dass du am glücklichsten warst?"

Er schüttelt den Kopf.

„Als du im Krankenhaus warst, weil du bei J. im Keller die Treppe runtergefallen bist und dir das linke Knie zertrümmert hast. Als alles vorbei war, dein Vater so furchtbar wütend war und alle Verträge platzen mussten. Da hab ich dich besucht, dachte, dass ich dich aufmuntern müsste, aber du warst schon so schrecklich glücklich, weil all die Last einfach weg war."

Ich breche wieder ab.

M. war mein Leben. Seitdem ich fünfzehn war, war M. meine große Liebe. Mein Zufluchtsort, meine Heimat, mein Vertrauter. Meine Zukunft, Gegenwart und nun nur noch meine Vergangenheit.

M. stand mir bei allem zur Seite, nahm sich immer Zeit, die er eigentlich nie hatte und gab mir alles, während ich versuchte, im Gegenzug alles für ihn sein zu können, was er brauchte.

Und jetzt, jetzt braucht er, dass er mich nicht braucht.

„Ich liebe dich so sehr", versichere ich ihm und kann nicht aufhören zu weinen. „So unglaublich sehr, das glaubst du gar nicht, aber ich kann nicht zulassen, dass du hierbleibst und unglücklich bist. Ich will nicht eine von diesen Personen in deinem Leben werden, die dir alles vorschreiben und für dich entscheiden. Es tut mir leid, aber ich will dich nicht festhalten."

Ich weine nur noch mehr, als ich sehe, dass sich auch in M.s Augen die Tränen sammeln.

„Lenny ...", beginnt er. Ich schüttle den Kopf, muss den Rotz in meiner Nase hochziehen und räuspere mich.

„Wir können nicht mehr zusammen sein. Zumindest eine Zeit lang nicht, bis wir beide dort sind, wo wir sein wollen."

Mein Herz bricht.

Es zersplittert in tausende kleine rote Glasscherben.

Weil ich nicht das sein kann, was er braucht.

„Ich liebe dich", flüstert M., will mich umarmen, aber ich schüttle den Kopf.

„Wir melden uns bei einander und erzählen, wie es läuft", sagt er mit brüchiger Stimme und ich nicke. „Wir schaffen das alles und dann sehen wir uns wieder. Und dann ..."

„Und dann wird alles gut, richtig?", unterbreche ich ihn und

sehe in seine warmen braunen Augen, die immer alles für mich waren und jetzt plötzlich nicht mehr alles sein dürfen.

„Versprochen."

„Für immer?"

„Für immer immer."

M. legt seine Hände auf meine Wangen, streichelt sie, schaut mir in die Augen, hebt mein Kinn an und küsst mich ein letztes Mal.

Abschied ist nichts Schlechtes. Abschied ist Beginn und Ende zugleich.

Der Club der WichserWhere stories live. Discover now