21. Wir sind unendlich

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[O.]

Es brennt. Es brennt nieder. Lichterloh geht der Himmel in Flammen auf.

Wir stehen am Waldrand.

Hinter uns die tote Marie, verscharrt zwischen Wildschwein-Pisse und zersetztem Laub.

Vor uns der brennende Himmel.

Das Gewinnspiel-Haus brachte ihr keinen Sieg, kein Glück, keinen Gewinn. Es bringt nur warmes, beruhigendes Feuer.

Vielleicht hätte Marie ja überlebt, wenn ihre Treppe eine andere gewesen wäre?

Oder F. keinen Hunger gehabt hätte?

Vielleicht hätte Marie einfach nicht an diesem einen bestimmten Abend mit mir aufs Zimmer gehen sollen?

Vielleicht hätte Marie sagen sollen, dass ich ihr weh tue?

Vielleicht wäre mir das nicht egal gewesen?

Ein 'Vielleicht' ist ein Trugbild der Realität, um sie zu verschönern. Es erzeugt Hoffnung auf etwas Besseres, weniger Düsteres. Es verschleiert, dass der Wahnsinn im Verborgenen weiter wächst und sich ausbreitet wie eine gierige Krankheit.

Wir sind alle schon längst von dieser Krankheit befallen. Es ist ein Virus, der sich in uns heimisch fühlt und uns aussaugt.

Es war nicht ich, der Marie vergewaltigt hat.

Es war nicht M., der sie bedroht hat.

Es war nicht F., der sie getötet hat.

Es war der kleine schleichende Wahnsinn.

Wenn man ganz genau horcht, dann kann man ihn hören.

Man hört ihn in F.s klickendem Feuerzeug, das gerade noch ein Haus angezündet hat und jetzt seine Zigarette anzündet.

Man hört ihn in der Schaufel aus Maries Gartenhäuschen, die ein Loch in den Waldboden formte.

Man hört ihn in unseren Schuhsohlen, die auf den Scherben des Sterbens knirschen.

Man hört ihn in jedem unserer Atemzüge, in jedem Herzschlag.

Wir sind nicht nur wahnsinnig. Wir sind der Wahnsinn.

Wir besiegen den Druck.

Wir sind Helden, wir sind Legenden, wir sind Götter.

Wir vernichten, was uns behindert.

Wir können nicht zerbrechen, können nur brechen.

Wir sind endlich unendlich.

Der Club der WichserWhere stories live. Discover now