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Beverly

Wie kommt es eigentlich, dass Schlaf immer ausbleibt, wenn man ihn am dringendsten braucht? Ich hatte vielleicht zwei Stunden geschlafen, weil ich wusste, dass ich heute die Entscheidung fällen musste. Und mir graute vor dieser Entscheidung, denn sie würde den weiteren Verlauf dieses Chaos bestimmen. Irland oder Schottland?

Felicity oder Arthur?

Möglicherweise durfte ich mit meiner Wahl auch festlegen, wer leben und wer sterben würde. Und ich wurde das hässliche Gefühl nicht los, dass jemand sterben würde. Ja, es war bestimmt nur eine weitere paranoide Angst, aber war das nicht jede Angst?

Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass mir irgendwann, als die Sonnenstrahlen den Horizont in einen sanften Orangeton getaucht und den Tau an meinem Fenster zum Glitzern gebracht hatten, klar gewesen war, was ich zu tun hatte. Stattdessen hatte ich mir bei Sonnenaufgang die Decke über den Kopf gezogen und mich mürrisch zur Wand gedreht, weil ich immer noch nicht gewusst hatte, wie ich mich entscheiden sollte.

„Ich hoffe, deine Wahl ist auf Irland gefallen", bemerkte Chase mit mahnendem Unterton, als ich zum Frühstück nach unten kam. „Du siehst übrigens beschissen aus. Hast du überhaupt geschlafen?"

Aidan holte mir einen Früchtetee von der Bar und ich entdeckte währenddessen Arthur an seinem Platz, der mich zur Abwechslung mal nicht anstarrte, sondern in einer Zeitung blätterte.

Was für ein seltsames Bild, schoss es mir durch den Kopf. Dass sich ein Dreihunderteinundvierzigjähriger noch für solch simple Dinge begeistern konnte. Allerdings musste ich zugeben, dass er nicht sonderlich begeistert aussah. Aber wer sah beim Zeitunglesen schon begeistert aus?

Ich rieb mir übers Gesicht, um diese komischen Gedanken loszuwerden. Ich war definitiv übermüdet. Aidan stellte mir meinen Tee vor die Nase und riss mich aus meinen Grübeleien, bevor er sich neben mir niederließ und unter dem Tisch nach meiner Hand griff.

„Also?", fragte Chase mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich wog noch einmal alle Vor- und Nachteile, Fakten und Ereignisse, sowie möglichen Risiken ab. Ich war mir sicher, dass ich meine Entscheidung so oder so bereuen würde, also ließ ich mein Bauchgefühl entscheiden.

„Schottland."

Da Chase schon mit dieser Entscheidung gerechnet hatte, sagte er nichts dazu, sondern fluchte vermutlich nur in Gedanken vor sich hin, während er mich schweigend anstarrte, als beschuldigte er mich für seine Hinrichtung.

„Ich wiederhole es nochmal", begann ich und sah ihm fest in die Augen. „Du bist nicht verpflichtet, mit mir zu kommen. Ich übernehme nämlich keine Verantwortung für das, was passieren wird."

Er trank seinen Kaffee in einem Zug leer und beugte sich über den Tisch zu mir. „Irgendwann kommt der Tag, an dem du anfangen musst, die Verantwortung für deine Entscheidungen zu tragen." Er stand auf und sah abschätzig auf mich herunter. „Davor kannst du dich nicht drücken." Dann verschwand er die Treppen nach oben und ließ mich in meinen Zweifeln und Unsicherheiten sitzen.

~~ ~~

„Ich hab doch gesagt, wir werden es bereuen", murmelte Chase, als wir knappe vier Stunden später mit unserem Gepäck, auf Arthurs Anweisung hin, in Blackvalley angekommen waren. Aidan hatte uns mit dem Mietwagen, den ich bezahlt hatte, als wir in Irland angekommen waren, hergefahren. Ich war bei der Hälfte der Stecke eingeschlafen und hatte noch die Knitterfalten von dem Schal, den ich als Polster missbraucht hatte, an der Wange.

Jetzt standen wir vor... Steinen. Vielen Steinen und das meine ich nicht metaphorisch. Sie sahen aus, wie die Überreste eines Hauses. Der Grundriss war noch zu erkennen, und da, wo früher wohl einmal der Eingang gewesen war, waren die Steine etwas höher gestapelt und bildeten einen Torbogen.

Wicked Game (Band 3)Where stories live. Discover now