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Beverly

„Ich bin 1765 in einem kleinen Dorf in Irland geboren worden", begann Cillian seine Geschichte. Ich wünschte nur, ich besäße Trish's Gabe, um herausfiltern zu können, ob er log. „Meine Mutter starb bei meiner Geburt. Mein Vater war ein Baumeister. Ich hatte drei Brüder und zwei Schwestern. Es war ein einfaches, simples Leben." Das sagte mir natürlich nicht viel. Ein einfaches Leben im einundzwanzigsten Jahrhundert sah natürlich anders aus als im achtzehnten. „Ich habe geheiratet, selbst Kinder bekommen. Bin in die Fußstapfen meines Vaters getreten. Es war alles gut."

Er schob den Stuhl zurück und stand auf. Mein ganzer Körper versteifte sich und bereitete sich darauf vor, sich im Notfall verteidigen zu können, aber Cillian ging nur gemächlich im Halbschatten auf und ab.

„Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen... Es war der 8. Oktober 1790, als Odilia durch das Dorf, in dem ich mit meiner Familie gelebt habe, geschlendert ist. Ich wusste nicht, dass sie eine Hexe war, aber wenn ich es gewusst hätte, hätte es mich nicht überrascht. Sie hat alle Blicke auf sich gezogen, weil sie nicht so gewirkt hat, als gehöre sie dort hin. Ihr Kleid war zu edel, ihre Haare zu schön."

„Wenn das hier nichts weiter als eine kitschige Liebesgeschichte werden soll, dann spul doch bitte zu dem Teil vor, der für mich relevant ist", meinte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Mir lief die Gänsehaut über die Arme. Ob das an Cillian oder den Temperaturen lag, wusste ich nicht. Er blieb stehen und betrachtete mich.

„Du hast ja keine Ahnung, wie sehr diese eine kurze Begegnung -ein einziger Blick- mein komplettes Leben verändert hat", sagte er schließlich, bevor er weiter auf und ab ging. „Sie ist an den Marktständen vorbeigegangen und hat sich mit jedem sehr freundlich unterhalten. Irgendwann kam sie bei dem Tor an, das die andere Seite des Dorfes vor Angriffen schützen sollte. Ich und ein paar andere Arbeiter haben daran gearbeitet, die Mauern zu stützen. Eine Zeit lang hat sie alles in einigen Metern Entfernung neugierig beobachtet und gefragt, was wir da machen. Ich habe es ihr erklärt und wir sind ins Gespräch gekommen. Als ich sie gefragt habe, woher sie kommt und was sie hier sucht, meinte sie, dass sie einmal etwas anderes sehen wollte, als die grauen Wände des Schlosses in dem sie wohnt. Und dann hat sie gelacht und gefragt, ob ich wüsste, wo sie über Nacht bleiben kann."

Angeekelt verzog ich das Gesicht. „Oh Gott, bitte überspringen wir die Nacktszenen."

Genervt atmete er aus, ging aber nicht auf meinen Kommentar ein. „Als mir klar war, dass ich mit einer Prinzessin oder zumindest einer adeligen Frau geredet habe, konnte ich sie schlecht in das einzige Gasthaus unseres Dorfes schicken. Es war Oktober, die Nächte wurden eiskalt und ich wusste, dass es dort Kakerlaken gab." Beinahe hätte ich gelacht. „Also habe ich sie zu mir nach Hause eingeladen."

„Wo ist der Vorspulknopf?"

„Es ist nichts passiert", erklärte er angespannt. „Meine Frau hat gekocht, wir haben zu Abend gegessen, Odilia hat im Gästezimmer übernachtet und am nächsten Morgen war sie verschwunden. Ich dachte, ich würde sie nie wieder sehen, aber eine Woche später stand sie wieder vor meiner Haustüre und meinte, sich für die Gastfreundschaft bedanken zu wollen. Sie hat uns reichlich zu essen gebracht und für meine Kinder Kleidung anfertigen lassen. Von da an kam sie regelmäßig zu Besuch. Meine Frau und sie haben sich gut verstanden, meine Söhne waren alle ziemlich in sie verschossen und meinen Töchtern hat sie einmal ihr Diadem zum Spielen mitgebracht und ein paar wunderschöne Kleider, mit denen sie sich als Prinzessinnen verkleidet haben."

Im Grunde genommen klang Odilia überhaupt nicht nach einem Monster. In dieser Geschichte klang sie eher wie Acacia. Eine friedliche, liebevolle Hexe. Keine fiese Schlampe, die gerade damit gedroht hatte, Aidan umzubringen oder ihre eigene Schwester zu erstechen.

Wicked Game (Band 3)Onde as histórias ganham vida. Descobre agora