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Aidan

Wir saßen bestimmt gute drei Stunden im Dunkeln in der engen Kammer, in die Lorcan uns gebracht hatte. Es war eine Besenkammer. Ja, ich hätte auch nicht gedacht, dass ein Schloss, das voller Hexen und Zauberer war, tatsächlich noch eine Besenkammer besaß.

Es war stickig und warm und die Luft war trocken. Die Geräusche außerhalb wurden mit der Zeit leiser.

Beverly hatte sich mir gegenüber an der Wand zusammengekauert und starrte vor sich hin. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit wir hier drinnen saßen, aber wir hatten kein Wort gewechselt. Ab und zu hatte einer von uns beiden gehustet, weil uns der Rauch noch in den Lungen klebte, aber gesprochen hatten wir nicht.

Nach dem, was passiert war, fühlte es sich unmöglich an, zu sprechen. Was hätten wir auch sagen sollen? Es gab schlicht nichts mehr, das wir hätten sagen können.

Als die Türe endlich wieder geöffnet wurde und eine Person die Sonne abschirmte, sah ich erst, wie mitgenommen Beverly wirklich aussah. Ich hatte lediglich ein paar Kratzer abbekommen, die hoffentlich morgen verheilt sein würden.

Beverly hatte aufgeschundene Stellen am Hals, einen Schnitt, der sich quer über ihre Brust zog, die tiefe Wunde am Bein, die ich in der Kammer notdürftig mit meinen Socken verbunden hatte, die Brandwunden, auf ihrem gesamten rechten Arm, die von dem schwarzen Nebel stammten und Blut klebte in ihrem Gesicht und auf ihren Händen.

Lorcan trat vorsichtig in die Besenkammer und half Beverly und mir auf die Beine. Ich stützte sie, als wir uns durch den engen Flur kämpften, der zu dem Gang führte, auf dem das eigentliche Spektakel stattgefunden hatte.

Alles war zerstört. Die Wände standen zwar noch, aber die meisten Statuen waren kaputt, Teppiche und Vorhänge abgebrannt, der Geruch hing noch immer in der Luft. Körper überall auf dem Boden über die wir anteilnahmslos hinweg stiegen. Die meisten waren schwarz gekleidet.

Beverly's Geschwister standen vereinzelt oder zu zweit auf dem Gang herum und gingen die Leichen durch. Überprüften, ob sie wirklich tot waren. Weinten, weil Verwandte, Freunde und Geliebte darunter waren.

Am Treppenabsatz angekommen klammerte Beverly sich an dem Geländer fest und schaffte die ersten drei Treppenstufen, bevor sie den Kopf hängen ließ und stehen blieb.

Wir beide hatten denselben Gedanken. Wir wollten zu Addie und Trish gehen, sicherstellen, dass es ihnen gut ging und ignorieren, was passiert war. Ich hätte das vielleicht gekonnt, aber Beverly brachte es nicht zu Stande. Zitternd drehte sie sich um und humpelte angestrengt wieder an mir vorbei, ohne mich anzusehen. Zögernd ging ich ihr nach.

Ich wollte es nicht sehen. Ich wollte mir einreden, dass ich es mir nur eingebildet hatte, zumindest für ein paar Stunden. Dass er es schon irgendwie überlebt hatte und gerade von den Hexen versorgt wurde.

Es war zu schrecklich, Beverly dabei zuzusehen, wie sie über Köpfe und Beine und Arme hinwegtaumelte und einen ganz bestimmten Körper suchte, davor stehen blieb und mit schmerzverzerrtem Gesicht lange auf ihn hinabsah, bevor sie erschöpft auf die Knie fiel und den vermutlich herzzerreißendsten Schrei ausstieß, den ich jemals gehört hatte.

Sie schlang ihre Arme um ihn, drückte seinen Kopf an ihre Schulter und weinte. Ich konnte nicht weiter hinsehen. Alle Tränen blinzelte ich weg.

Es war nur Einbildung. Es ist nicht passiert.

Unter Beverly's Schluchzern hörte ich sie immer wieder sagen: „Es tut mir leid. Bitte, bitte, komm zurück! Es tut mir leid. Es tut mir leid."

So saß Beverly eine Weile da. Umgeben von Leichen hielt sie die einzige Person in den Armen, die nicht in dieses Massengrab hingehörte. Sie wiegte seinen Körper vor und zurück und weinte gen Himmel. Schrie. Verleugnete. Schrie mehr. Begriff. Weinte weiter. Bis sie kaum noch atmen konnte.

Wicked Game (Band 3)Where stories live. Discover now