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Beverly

„Weißt du, was ich glaube?", fragte Chase, nachdem ich mich ausgiebig bei ihm über mein ungerechtes Leben ausgeheult hatte, und goss mir noch etwas von dem Alkohol, den ich nicht identifizieren konnte, ins Glas. Vielleicht war es Scotch. Er schmeckte jedenfalls verdammt gut. Der beste Alkohol, den ich in meinem Leben je getrunken hatte. Dann schob er das Glas über den Holzboden zu mir.

„Was?"

Ich hatte gewusst, dass es besser gewesen wäre, emotional nicht in diese Hexensache verwickelt zu werden. Aber ich war blöd genug gewesen, mich viel zu sehr darauf zu freuen, meine echten Eltern kennen zu lernen. Zumindest musste es so gewesen sein, sonst hätte mir Theodoric's Tod nicht so zugesetzt. Ich kam zu dem Schluss, dass es beschissen war, sich auf Dinge zu freuen, oder etwas zu haben, das einem wichtig war. Etwas Unwichtiges konnte nicht annähernd so verletzend sein.

Ich hatte beschlossen, meine Mutter nicht kennenlernen zu wollen. Mich nicht darauf zu freuen, sie zu sehen. Diese Freude würde mir doch bloß wieder weggenommen werden. Vielleicht würde ich sie sogar mögen, aber bei meinem Glück würde sie dann in, schätzungsweise ein bis zwei Wochen, in einen Vulkan plumpsen und sterben.

„Wenn wir uns unser Leben aussuchen könnten, wären wir auch nicht glücklicher." Chase trank einen Schluck aus seinem eigenen Glas und zog dann nachdenklich die Augenbrauen zusammen. „Wenn überhaupt, wären wir vermutlich nur noch unglücklicher."

„Und warum glaubst du das?"

„Du würdest dir doch ein perfektes Leben wünschen, oder nicht?", hakte er nach. Fast schon missbilligend. „Ein kleines Haus, ein Job, der dir Spaß macht, eine tolle Familie, eine schöne Kindheit und Grillabende im Garten mit Freunden, Aidan und euren Kindern."

„Willst du mich zum Weinen bringen?", fragte ich. „Du bist auf gutem Weg, wenn du mir weiter auflistest, was ich nie haben kann. Aber betrunken zu weinen ist armselig."

„Noch armseliger kannst du doch gar nicht mehr werden", entgegnete er. „Du bist im Keller der Armseligkeit angekommen. Hast dir eine Schaufel geschnappt und gegraben, und bist auf Beton gestoßen. Tiefer geht's nicht mehr, Bevy." Daraufhin verdrehte ich lediglich die Augen und trank das Glas in einem Zug leer, während Chase wesentlich stilvoller nur einen Schluck trank und nachdenklich auf den Teppich starrte. Im Kamin knisterte das Holz, das praktischerweise nie nachgelegt werden musste. Draußen rauschte der Regen. „Die Menschen mit den perfektesten Leben sind doch die traurigsten Schweine der Welt", murmelte er, vermutlich mehr zu sich selbst, als zu mir. „Wenn man alles hat, was man sich wünscht, wozu dann noch weiter leben? Worauf will man hinarbeiten?"

Ich war bereits zu betrunken, um seiner Vermutung zu widersprechen. Stattdessen lehnte ich meinen Kopf gegen die Rückseite der Couch. Wir saßen beide auf dem Boden. Er war noch nüchtern genug, um keine Stütze zu brauchen, saß aber trotzdem mit ausgestreckten Beinen an mein Bett gelehnt, gegenüber von mir. Ich hatte mich vor zehn Minuten gegen die Rückseite des Sofas fallen lassen, weil sich alles drehte.

Meine Augen waren bereits auf Halbmast, aber ich fixierte Chase trotzdem mit einem nachdenklichen Blick. Er erwiderte ihn geduldig, weil er eine tiefgreifende, persönliche Frage erwartete. Und das mit recht.

„Du hast mir nie von dem Phönix erzählt", begann ich schließlich. „Den du getötet hast, weil er dich angegriffen hat. Aber nach der ganzen Cillian-ist-ein-Phönix-Sache, hab ich das Gefühl, dass es Zeit ist, dass du mir davon erzählst."

Er sah mich kurz verwirrt an. „Wie kommst du darauf, dass mich der Phönix angegriffen hat?"

„Das hat Trish gesagt."

Wicked Game (Band 3)Where stories live. Discover now