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Beverly

Nach drei weiteren Gläsern Scotch hatte ich schon eine ganze Reise durch meine Entführung gemacht. Ohne Hand und Fuß hatte ich Chase erzählt, dass ich nicht alleine gewesen war. Dass Dentalion ursprünglich an ihn gebunden war und mich so durch Zufall entdeckt hatte. Dass er meine Entführung nicht geplant hatte, Dentalion aber schon. Dass er meinen richtigen Namen von Dentalion wusste. Dass mein Dämon mein Vertrauen gewonnen hatte und mich manipuliert hatte. Dass Dentalion ihm gesagt hatte, er solle all diese schrecklichen Dinge mit mir machen, damit meine Seele brechen und Dentalion sich mit mir würde verbinden können, was letzten Endes nie geschehen war. Dass das Mädchen, Ava, mich lange Zeit vor ihm beschützt hatte. Dass sie an meiner Stelle gelitten und immer alles auf sich genommen hatte.

Bis ich sie umgebracht hatte.

„Wieso?", fragte Chase, der überraschenderweise nüchterner war als ich, obwohl er weit mehr getrunken hatte.

„Weil er ihr wehgetan hat", schluchzte ich. „So lange. So oft. Er hat Dinge getan, die keinem Menschen widerfahren sollten. Und als er sie an einem Abend wieder nach unten in den Keller zu mir geschubst hat-" Meine Stimme brach ab und ich presste meine Faust gegen den Mund. Ein paar Mal atmete ich durch. „Sie hatte ein Messer dabei." Ein rostiges, altes Klappmesser, das sie von seinem Arbeitstisch geklaut hatte, nachdem er fertig gewesen war. Zumindest hatte sie mir das erzählt.

„Und sie hat gesagt, dass ich es machen muss, dass ich sie umbringen muss, weil sie es nicht selbst tun kann." Ein stechender Schmerz zog sich durch meine Brust und mir drehte es dem Magen um.

„Du hast sie getötet..."

Ich wischte mir die Tränen von der Wange und schniefte. „Nicht sofort. Ich hab zwar verstanden, dass der Tod für sie besser ist, als diese Folter jeden Tag durchzustehen, aber..." Wieder schluchzte ich auf. „Ich wollte sie nicht verlieren, ich wollte nicht alleine sein." Ich konnte Chase durch meinen Tränenschleier gar nicht mehr sehen. „Aber es wurde immer schlimmer, und dann, eines nachts, als ich es einfach nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren konnte, habe ich gewartet, bis sie geschlafen hat, bevor ich-" Meine Schluchzer brachten meinen ganzen Körper zum Zucken. „Ich hab sie umgebracht, Chase."

So oft hatte ich zustechen müssen, so unfassbar oft. Aber ich hatte nicht genau gewusst, was sie am schnellsten umgebracht hätte. Sie hatte bestimmt gelitten. Aber sie hatte versucht leise zu sein, um ihn nicht zu wecken. Um in Frieden sterben zu können.

Ich hatte Ava umgebracht, um sie zu erlösen. Um sie zu beschützen.

So, wie Chase Amy umgebracht hatte.

Er verstand, warum ich es getan hatte.

Er konnte es nachvollziehen, weil er selbst in einer ähnlichen Situation gesteckt hatte.

Der Unterschied war, dass er innerhalb weniger Sekunden hatte entscheiden müssen.

Ich hatte Wochen und Monate Zeit gehabt.

Aber wir hatten uns beide gleich entschieden, und ich war mir sicher, dass wir uns wieder so entschieden hätten, wenn wir erneut in eine solche Situation gekommen wären.

Dass er auch daran dachte, seine kleine Schwester vor vielen Jahren umgebracht zu haben, erkannte ich daran, dass er sein Gesicht wegdrehte, damit ich seine Tränen nicht sehen konnte, obwohl ich ohnehin nicht viel erkennen konnte, denn sobald ich meine Augen trocknete, füllten sie sich wieder mit Tränen.

„Sie war die Erste", sagte ich mit rauer Stimme und trocknete meine Wangen erneut. „Die aller erste Person, dich ich umgebracht habe. Ava war es, nicht er. Ihn habe ich erst Monate später umgebracht. Fast zwei Jahre später, denke ich. Ava war die erste."

Wicked Game (Band 3)Where stories live. Discover now