Caden

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»You made me heart forget how to beat properly«

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Ich saß noch eine Weile im Café und versuchte, meine Gedanken zu sortieren. Jamie hatte mich mit einem ungewissen Gefühl zurückgelassen. Ungewiss, da ich mir nicht darüber im Klaren war, was er in mir auslöste. 
Verträumt blickte ich aus dem Fenster und sah die kleine Straße hinab, die geradewegs zum Strand führte. Es war nur eine kleine Gasse, die beinahe von den angrenzenden Häusern verdeckt war. Doch ich wusste, wohin sie führte, da ich sie an heißen Sommertagen bereits etliche Male entlang gelaufen war. Ich stellte mir vor, wie ich dort neben Jamie gehen würde. Wie wir zum Strand schlendern und uns gemeinsam auf den Steg setzen, der sich unmittelbar am Wasser befand. Es war ein schöner Gedanke, den ich nicht so schnell wieder verdrängen wollte. 
Doch es war spät geworden und ich wusste, dass ich die anstehende Prüfung nicht schaffen würde, ohne davor noch etwas zu lernen. 
Aus diesem Grund erhob ich mich von meinem Sessel und warf einen letzten Blick auf den kleinen Weg, der so vertraut und unverändert auf mich zu warten schien. 
"Warte nur noch ein wenig länger", dachte ich. 
Als ich meine Jacke anzog, bemerkte ich, dass ein Portemonnaie auf dem Tisch lag, welches nicht mir gehörte. Verwundert nahm ich es in die Hand und öffnete es. Mir war zwar klar, dass es nur Jamie gehören könnte, doch zur Sicherheit überprüfte ich den Inhalt. 
Auf dem Personalausweis stand sein Name, also konnte ich das Portemonnaie zweifellos einpacken. Insgeheim war ich froh, da mir dies einen Vorwand lieferte, um Jamie wiederzusehen. Ich beschloss jedoch, es ihm erst am nächsten Tag zurück zu geben. Es würde bald dunkel werden und unter diesen Umständen wollte ich mich lieber nicht mehr auf die Suche nach seiner Wohnung machen. 

Ich war erleichtert, dass ich meine letzte Prüfung dieses Monates endlich hinter mich gebracht hatte. Es war anstrengend gewesen und ich war mir sicher, dass ich nicht alles fehlerfrei beantwortet hatte, doch das Lernen am gestrigen Abend hatte sich auf jeden Fall ausgezahlt. 
Gerade hatten Sam und ich ein wenig Fußball gespielt, um den Druck, der noch immer nicht ganz von uns abgefallen war, abzulassen. 
“Hast du heute noch was Besonderes vor? ”, fragte Sam, als er sich neben mich auf die Wiese setzte und seine Wasserflasche auf drehte, um einen großen Schluck daraus zu nehmen. Den Rest des Wassers kippte er sich großzügig über den Kopf, woraufhin er sein nasses Haar schüttelte. 
“Nicht mehr viel. Ich werde einem Freund nur noch etwas zurückbringen”, antwortete ich, wobei ich meinen Ausdruck bedacht wählte. “Wem?”, wollte Sam wissen. 
“Den kennst du nicht, ich habe ihn auf der Party letztens kennengelernt. Er heißt James”, erklärte ich ihm grob. 
“Du meinst, auf der Party, auf der du so schnell wieder verschwunden bist?”, hakte er nach und lachte. 
“Es tut mir leid, das sagte ich doch schon. Außerdem bin ich mir sicher, dass du mich in Gesellschaft der ganzen Mädchen eh nicht vermisst hast”, entgegnete ich grinsend. 
“Da hast du vielleicht gar nicht mal so Unrecht”, meinte er bloß und klopfte mir auf die Schulter. 
Sam war schon seit Ewigkeiten mein bester Freund und ich verbrachte wohl den Großteil meiner Zeit mit ihm. Wir kannten uns seit dem Kindergarten und hatten das Glück gehabt, auf der gleichen Universität angenommen zu werden. Er war eine der wenigen Personen, der ich private Dinge anvertraute. Ich wusste, dass es nichts gab, was uns trennen könnte und dennoch hatte ich ein wenig Angst davor, ihm mein größtes Geheimnis zu offenbaren. 
Ich war mir ja selbst nicht einmal sicher, ob das Geheimnis tatsächlich real war oder ob ich es mir bloß einbildete. 
Doch Jamie war der Grund dafür, dass ich meine Sexualität ein weiteres Mal hinterfragte. 
“Ich werde dann mal gehen, bevor die Sonne untergeht”, beschloss ich und stand auf, um mich auf den Weg zu machen. 
“Pass auf dich auf, Kleiner”, sagte Sam noch und warf mir ein breites Lächeln hinterher. 

Unsere Universität unterschied sich von vielen anderen durch die Tatsache, dass sie Apartmentkomplexe besaß, welche sich auf dem Campus befanden. Im Gegensatz zu einem Zimmer im Wohnheim sind die Apartments mit einer Küche und einem Badezimmer ausgestattet, sodass sich die Studierenden selbst verpflegen können. 
Ich persönlich fand diese Alternative um einiges angenehmer, als sich mit anderen Studenten ein Wohnheim zu teilen. Es war zwar eine große Umstellung  gewesen, von jetzt auf gleich für alles selbst verantwortlich zu sein, doch über die Zeit hatte ich eine positive Veränderung festgestellt. Dieses System war eindeutig fördernd für die Selbstständigkeit und außerdem empfand ich es als vorteilhaft, da ich mir die innere Gestaltung selbst aussuchen durfte. Des Weiteren fühlte ich mich um einiges wohler, wenn ich alleine lebte. Somit musste ich auf niemand anderen Acht geben und war auf keine weitere Person angewiesen.

Ich wusste nicht recht, wie ich Jamie's Apartment überhaupt finden sollte. Woher sollte ich wissen, in welche Richtung ich gehen musste?
Die Apartments der Studenten waren alle aneinander gereiht und es gab unzählige davon. Sie waren über vier Etagen verteilt und wenn man bei dem ersten Apartment anfing, dauerte es sicherlich 2 Stunden zu Fuß , bis man bei dem letzten angekommen war. Immerhin war die Universität sehr groß und musste folglich auch viele Studenten beherbergen. 
Ich entschied mich dazu, einfach ein paar Personen zu fragen, die mir über den Weg liefen. Die Chance, dass einer von ihnen Jamie kannte, war zwar nicht sehr hoch, doch immerhin bestand sie. Ich bereute, dass wir unsere Telefonnummern nicht ausgetauscht hatten, dann hätte ich mir die Suche nämlich sparen können. 
Alle Leute, die ich ansprach, wussten nicht, wen ich meinte, weshalb ich die Hoffnung beinahe aufgab. Ich hinterfragte sogar für einen Moment, ob er wirklich Jamie hieß und ob er seinen Personalausweis nicht möglicherweise gefälscht hatte. Dann musste ich mir jedoch eingestehen, dass diese Annahme ziemlich unwahrscheinlich war. Vielleicht suchte ich sein Apartment bloß an der komplett falschen Stelle. 
Ich lief an einigen Eingangstüren vorbei, bis mir ein Mädchen ins Auge fiel, die in meine Richtung kam. 
Ich räusperte mich und dachte mir, dass sie die letzte Person sein würde, die ich nach Jamie fragen würde. Für den Fall, dass auch sie ihn nicht kannte, musste ich ihm sein Portemonnaie eben wiedergeben, wenn ich ihn das nächste Mal auf dem Campus antraf. 
Das Mädchen hatte einen äußerst interessanten Kleidungsstil und auch ihre Haare waren ziemlich außergewöhnlich. Sie trug ihre pink gefärbten Dreadlocks in einem hohen Zopf und aus irgendeinem Grund erinnerte sie mich an die Sängerin einer Hip-Hop-Band. 
“Ähm, hey. Hast du kurz einen Moment Zeit?”, fragte ich, wodurch sie abrupt vor mir stehen blieb. 
“Klar, was gibt's?”, wollte sie wissen und lächelte. Ihre Erscheinung beeindruckte mich wirklich sehr, weshalb ich mit meinen Worten ins Straucheln kam. 
“Kennst du zufällig einen Jungen namens Jamie? Ich suche sein Apartment”, erklärte ich ihr nervös. Ihre Augen verengten sich für einen Moment und sie musterte mich von Kopf bis Fuß. 
“Ja, natürlich kenne ich ihn. Soll ich dir den Weg zeigen?”, bot sie mir freundlich an. Ich nickte erleichtert und sagte: “Danke, das wäre sehr nett von dir.”
Sie schien ihn gut zu kennen, was ich tatsächlich nicht für möglich gehalten hätte. 
“Wir meinen aber auch denselben Jamie, oder?”, fragte ich verunsichert, als ich neben ihr her ging. 
“Also ich kenne nur einen und ich gehe davon aus, dass du ihn meinst. Beschreibe ihn mir mal”, antwortete sie und warf mir heimlich einen seitlichen Blick zu. 
“Ähm… Er hat dunkelbraune Haare und ist fast so groß wie ich, würde ich behaupten”, begann ich zögerlich. 
“Sieht er gut aus?”, fragte sie ungeduldig, um direkt auf den Punkt zu kommen. 
“Wie soll ich das denn beurteilen?”, meinte ich, obwohl ich die Antwort in meinem Kopf schon längst bereit hatte. 
“Also ja?”, hakte sie nach und lächelte. “Ich denke schon, ja”, sagte ich und klang ein wenig eingeschüchtert. 
“Dann meinen wir denselben”, stellte sie kurzerhand fest und blieb vor einer der Wohnungen stehen. 
“Ich heiße übrigens Beth, freut mich, dass ich dir den Weg zeigen durfte. Ich nehme an, du wirst ihn in nächster Zeit öfter gehen müssen”, sagte sie und schüttelte meine Hand, ohne mich vorher auf irgendeine Weise vorzuwarnen. Ich verstand nicht recht, was sie mir damit sagen wollte. 
“Danke, das war wirklich sehr lieb von dir”, antwortete ich und lächelte ebenfalls. “Ich bin Caden”, fügte ich noch schnell hinzu. 
Ihr Grinsen vergrößerte sich ein wenig und ich hatte das merkwürdige Gefühl, als hätte sie dies bereits geahnt. 
“Wir sehen uns”, verabschiedete sich Beth von mir und machte sich erneut auf den Weg in die entgegengesetzte Richtung. 
Ich atmete einmal tief durch, bevor ich an Jamie's Wohnungstür klopfte. Sie sah genauso aus, wie all die anderen Türen, auch wie die meine, doch trotzdem wirkte sie anders. Neben mir stand eine kleine Holzbank, auf der man sicherlich gut den Sonnenuntergang genießen konnte. 
Langsam wurde die Tür geöffnet, was mein Herz schneller schlagen ließ. 
Jamie stand mir gegenüber, und obwohl sich seine Augen für einen Moment erhellten, konnte ich ihm direkt ansehen, dass etwas nicht stimmte. Er wirkte traurig und verletzlich, ohne jeglichen Zweifel. 
Meine Freude, ihn zu sehen, wandelte sich von der einen in die andere Sekunde in große Sorge um. 

Unexpected Love (boyxboy) Where stories live. Discover now