Jamie

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»It doesn't matter which road you choose to take, it will always lead you into my arms«

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Der Weg war umringt von Bäumen, deren Blätter in einem hellen Rosa erblühten. Ein leichter, warmer Wind wehte mir entgegen und ich erblickte ein Ehepaar, welches mir mit einem Kinderwagen entgegen kam. Der Gedanke daran, dass mein Leben niemals so aussehen würde, traf mich schmerzlich. 
Ich hatte schon vor langer Zeit eingesehen, dass ich stets darum kämpfen musste, von meinen Mitmenschen akzeptiert zu werden. Dies lag daran, dass meine Familie mir vor einigen Jahren gezeigt hatte, dass mich nicht jeder tolerieren konnte.
Ihre Ablehnung zu erfahren, war das schmerzvollste Gefühl, das ich jemals gespürt hatte. 
Ich hätte mich verstecken, und mein Leben, das damals eine einzige Lüge gewesen war, fortsetzen können, doch das brachte ich nicht übers Herz. Wenn ich mich verstellen und meine wahren Gefühle leugnen musste, um mit meiner Familie zusammenzuleben, war es mir das nicht wert. 
Sie hatten immer gewusst, dass ich nicht ihren Vorstellungen entsprach. Ihre strenge Religion hatte ihnen eingeredet, ich würde mich durch meine sexuelle Orientierung gegen alles auflehnen, was ihnen wichtig war. Unzählige Male hatten sie versucht, mich zu ändern und nach all den Jahren noch immer nicht verstanden, dass es nun mal nicht funktionierte. 
Als ich ihnen eines Tages ins Gesicht sagte, dass ich niemals so sein würde, wie sie es sich wünschten, war ich für sie gestorben. 
Meine Eltern waren immer sehr religiös gewesen und hatten uns streng erzogen, weshalb sie nicht begreifen konnten, dass ich eine solche Enttäuschung geworden war.
Sie mussten realisiert haben, dass all ihre Versuche, mir eine Hochzeit mit einer Frau schönzureden, nichts bewirkt hatten. 
Letztendlich entschieden sie sich für ihre Religion und gegen ihren eigenen Sohn. 

Meine kleine Schwester Caitlyn saß auf einer der Parkbänke und war in ein Buch vertieft. 
Als sie mich erblickte, stürmte sie auf mich zu und fiel mir glücklich um den Hals. “Jamie”, sagte sie und klang erleichtert. Ihr braunes Haar fiel ihr in Locken über die Schulter. 
Ich nahm Caitlyn’s Duft wahr, der nostalgische Gefühle in mir weckte. Es waren schöne Kindheitserinnerungen, die ich mit ihm verband.
Sie schmiegte sich eng an meine Brust und lächelte zufrieden. “Ich habe dich so sehr vermisst”, murmelte sie und sah zu mir auf. 
Caitlyn war um einiges kleiner als ich. Sie war zwar erst 16 Jahre alt, doch für mich wirkte es so, als verstehe sie bereits viel von der Welt. Es war für sie nie in Frage gekommen, mich abzulehnen, so wie es der Rest meiner Familie getan hatte. 
Ich blickte in ihre Augen, welche dasselbe Blau in sich trugen, wie die meinen.
“Ich dich auch. Das glaubst du mir gar nicht”, erwiderte ich und lächelte. 
Caitlyn drückte mich ein weiteres Mal feste an sich, so als würde sie mich nie wieder loslassen wollen. “Ich bekomme keine Luft mehr”, sagte ich lachend und strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. “Das ist mir egal”, erwiderte sie und kicherte. 
“Komm, wir setzen uns auf die Bank”, schlug ich vor, woraufhin Caitlyn sich aus der Umarmung befreite. 
“Was liest du da?”, fragte ich sie neugierig, als wir auf der Bank Platz nahmen. 
“Das ist ein Roman von Stephenie Meyer. Er heißt ‘The Host’”, erklärte sie mir und ich konnte die Begeisterung in ihrer Stimme nicht überhören. 
“Ich nehme stark an, er ist gut”, sagte ich und betrachtete das Cover. “Ja, sehr gut sogar”, antwortete sie mir und klang fasziniert. “Wie geht es dir denn, Jamie?”, fragte sie dann und betrachtete mich unsicher. 
Ich seufzte und sagte: “Nicht sonderlich gut, wenn ich ehrlich bin. Es gibt momentan sehr viel, das mich beschäftigt, weißt du?”
Caitlyn nickte verständnisvoll. “Es tut mir so leid. Das mit Mom und Dad. Ich hatte nicht gedacht, dass sie so reagieren würden”, meinte sie traurig. “Es ist doch nicht deine Schuld. Sind sie noch immer sauer auf dich? Ich hatte gehofft, dass diese Drohung vielleicht nur aus der Wut heraus kam und nicht ernst gemeint war”, sagte ich und hatte Angst vor ihrer Antwort. 
“Ich glaube, damit hast du recht. Sie haben es nicht noch einmal erwähnt und ich habe mich auch nicht getraut, sie darauf anzusprechen. Wahrscheinlich belassen sie es bloß bei der Drohung. Du musst dir keine Sorgen machen, sie behandeln mich gut”, erklärte sie mir überzeugt. 
Ich atmete vor Erleichterung tief aus. “Es tut mir leid, dass du nur wegen mir solche Schwierigkeiten hast. Ich wünschte mir wirklich, das alles wäre anders”, meinte ich niedergeschlagen. 
Caitlyn schüttelte voller Bestimmung den Kopf. “Die einzigen, die Schuld daran haben, sind unsere Eltern. Bloß, weil sie so intolerant sind. Weißt du, was ich mir wünsche? Dass du Eltern hast, die dich lieben und so akzeptieren, wie du bist”, sagte sie und ich hörte den Zorn in ihrer Stimme, als sie unsere Eltern erwähnte. 
Ich beugte mich zu ihr, um sie erneut in meine Arme zu schließen. Es verlangte mir einiges ab, um meine Emotionen zu unterdrücken. Ihre Worte hatten mein Herz berührt. “Danke, Caitlyn”, flüsterte ich aufrichtig. “Ich habe dich lieb”, sagte sie und löste sich wieder von mir. “Und ich dich erst”, meinte ich lächelnd. 
“Du hast eben gesagt, dass es viele Dinge gibt, die dich beschäftigen. Ist sonst noch etwas? Erzähl mir bitte davon.” Caitlyn blickte mich eindringlich an, weshalb ich ihr den Wunsch nicht abschlagen konnte. 
“Ein Freund von mir hat mir vor ein paar Tagen von seinen Problemen erzählt und das hat mich sehr getroffen. Ich wusste nicht, dass er eine so schwere Kindheit gehabt hat”, begann ich zögerlich.
Caden’s tiefsitzende Trauer wollte mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Nachdem er mir diese vertraulichen Dinge erzählt hatte, fühlte ich eine gewisse Last auf mir. Es machte mich fertig, zu wissen, dass er innerlich so stark litt. Und die Tatsache, dass er so gut darin war, seine Gefühle zu verstecken, verdeutlichte nur, wie lange er all das schon aushalten musste.
“Konntest du ihn denn aufheitern?”, fragte sie mich betrübt. “In diesem Moment vielleicht schon, aber seine Trauer wird mit Sicherheit nicht vollständig verschwinden”, antwortete ich und seufzte. Caitlyn nickte und sagte: “Das verstehe ich gut. Ich weiß, wie es sich anfühlt, einer Person helfen zu wollen, obwohl man nicht wirklich in der Lage dazu ist. Hoffentlich wird es ihm bald besser gehen…” 
Dann betrachtete sie mich und ich bemerkte, wie sich ihr Gesichtsausdruck langsam veränderte. “Ein Freund, sagst du?”, fragte sie skeptisch und zog eine Augenbraue hoch. 
Ich begann zu verstehen, was sie mir damit sagen wollte, und grinste. 
“Das ist das nächste, was mich beschäftigt”, gab ich zu und spielte verlegen an meinem Reißverschluss herum. 

Wir redeten eine Weile weiter, bis Caitlyn sich gezwungenermaßen von mir verabschieden musste. Sobald sie mich verlassen hatte, vermisste ich sie schon wieder. Ich konnte nie viel Zeit mit Caitlyn verbringen, weshalb jede einzelne Sekunde mit ihr wertvoll war. 
Auf dem Weg zurück zu meiner Wohnung konnte ich mich auf keinen meiner Gedanken konzentrieren, da mir zu viele davon durch den Kopf gingen. 
Ich konnte die Liebe, die ich für meine Schwester empfand, nicht in Worte fassen. Sie schaffte es jedes Mal, dass ich mich besser fühlte. Mein Herz konnte unbeschwerter schlagen, denn ihre Worte heilten einige der Wunden. 

Als ich den Park durchquerte, nahm ich mir vor, selbst die kleinen Dinge wertzuschätzen. Ich konnte nicht ändern, was meine Familie von mir hielt. Sie würden mich niemals akzeptieren können. Doch was mir noch blieb, war Caitlyn.  Ich würde nicht zulassen, dass sie mir jemals weggenommen wird. 
Mein Leben war durch die Abneigung meiner Eltern stark beeinträchtigt worden. Es hatte Zeiten gegeben, in denen ich einfach verschwinden wollte. Ich hatte geglaubt, es würde sich nicht mehr lohnen, weiter zu leben. Obwohl ich nicht einmal richtig gelebt hatte. Existiert traf es wohl auf den Punkt. So hatte ich mich jedoch auch bereits vor dem Outing gefühlt, da ich genau gewusst hatte, was auf mich zukommen würde. Meine Eltern hatten mir von klein auf klar gemacht, dass es nicht akzeptabel war, anders zu sein. Nachdem sie mich schließlich von Zuhause verbannt hatten, brach für mich eine Welt zusammen. Meinen Schmerz und meine Wut, die ich zu diesem Zeitpunkt in mir trug, lässt sich nicht in Worte fassen. 
Von seiner eigenen Familie verstoßen zu werden, weil man bloß die Person ist, als die man geboren wurde, war ein grausames Gefühl.
Noch immer konnte ich es nicht begreifen und verstehen, doch ich hatte den Fakt akzeptiert, dass es sich nicht ändern ließ. 
Hätte ich diese harte Zeit jedoch nicht durchgestanden und stattdessen ein Leben geführt, in dem ich meine wahres Ich geleugnet und versteckt hätte, könnte ich jetzt in diesem Augenblick nicht in Freiheit leben. 
Auch wenn ich gehasst und verachtet wurde, so war ich immerhin im Reinen mit mir selbst und musste meine Gefühle nicht unterbinden. 
Ich verließ den Park und brauchte nur wenige Minuten, bis ich das Campusgelände erreichte. 
Es war ein gutes Gefühl, auf einer solchen Universität studieren zu dürfen. Von außen waren die Hauptgebäude ebenso prachtvoll anzusehen , wie die große parkähnliche Anlage, auf der die Studenten in ihrer Freizeit vieler Aktivitäten nachkommen konnten. Allein dies war einer der Gründe, die dazu beitrugen, dass an unserer Universität ein großes Gemeinschaftsgefühl herrschte. Das Campusleben war stark von den großzügig angelegten Sport-und Freizeitanlagen geprägt. Es gab für jeden Studenten mindestens eine ansprechende Aktivität, da war ich mir sicher. Hier gab es Fitnessstudios, Hallen für Volley- und Basketball, Tennis- und Fußballplätze, sowie Schwimmbäder. Außerdem besaß die Universität ein eigenes Football-Stadion, auf welchem regelmäßig Spiele stattfanden. Selbstverständlich gab es auch einen Cheerleader-Verein, der unsere Mannschaft stets unterstützte. Wenn man sich nicht für Sport interessierte, existierte noch immer die riesige Bibliothek, in der man beinahe jedes Buch finden konnte. 
Des Weiteren gab es viele gemeinsame Aktivitäten, wie beispielsweise Clubs, Workshops, sowie sportliche und soziale Events.
Da alle Studenten in unserer Universität in einzelnen Apartments wohnten, benötigten wir den Supermarkt, der sich auf dem Campus befand, zur eigenen Verpflegung. Andere öffentliche Orte, wie Cafés, Museen, Kinos, Theater, und Kunstgalerien waren in Campusnähe zu finden. 
Insgesamt konnte ich mich nicht über das riesige Angebot beschweren, welches mir hier geboten wurde. Beth zwang mich des Öfteren dazu, mit ihr Volleyball zu spielen, obwohl ich meine Freizeit lieber auf den Tennisplätzen verbrachte. 

Unexpected Love (boyxboy) Where stories live. Discover now