Caden

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»Love makes your soul crawl out from its hiding place«

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Während ich neben Jamie zum Strand ging, versuchte ich, meine aufgewühlten Gefühle zu sortieren. Es war eine Erleichterung, ihn direkt neben mir zu haben. Obwohl das kurze Gespräch mit meinem Vater meine Stimmung hat sinken lassen, spürte ich all die unterschiedlichen Gefühle, die Jamie mich fühlen ließ, umso intensiver.
Er musste nichts weiter tun, als mich bloß anzusehen, um mich in seinen Bann zu ziehen, aus dem es kein Entrinnen mehr gab.
Während wir nebeneinander her gingen, glitt mein Blick an Jamie hinunter, der schließlich an seiner Hand hängen blieb. Ich verspürte den starken Drang dazu, meine Finger in seinen zu verschränken und ihn nie wieder loszulassen. Doch die unzähligen Gründe, dies nicht zu tun, überwogen letztendlich. Ich erinnerte mich an das Gefühl zurück, seine Hand zumindest für einen kurzen Moment zu berühren, und hielt an diesem Gedanken fest. Es war an dem Tag gewesen, als ich das letzte Mal bei ihm übernachtet hatte, und seine Hand unüberlegt auf meine Brust gezogen hatte, damit er an meinem schnellen Herzschlag erkannte, wie verrückt mich seine bloße Anwesenheit machte. Außerdem hatte er mir ein paar Worte auf spanisch ins Ohr geflüstert, welche ich noch immer nicht übersetzt bekommen hatte. Bei der nächsten Gelegenheit würde ich ihn danach fragen müssen, denn meine Gedanken kamen immer wieder voller Neugierde darauf zurück.
“Caden?”, fragte Jamie mit seiner sanften Stimme, die mich unwillkürlich an die ruhigen Wellen des Michigansees erinnerte, welcher direkt vor uns lag. Ich sah ihn an, um zu zeigen, dass ich ihm aufmerksam zuhörte.
“Wenn du dich gleich nicht wohlfühlst oder irgendetwas sein sollte, dann sag es mir bitte. Okay?”
Ich lächelte vor Rührung und hätte ihn am liebsten auf der Stelle in den Arm genommen, um ihm meine Dankbarkeit zu demonstrieren. “Danke, Jamie. Das ist wirklich lieb von dir”, antwortete ich ihm, woraufhin er mein Lächeln verlegen erwiderte.
Wir erreichten die Stuhlreihen vor dem Torbogen, die schon größtenteils von Personen besetzt waren. Als wir uns in die erste Reihe begaben, begrüßte ich bereits einige Familienmitglieder und Bekannte, an denen wir vorbeigingen.
Es war schön, meine Tanten und Onkel wiederzusehen und ich freute mich bereits darauf, mich nach der Trauung mit ihnen unterhalten zu können. Meine Familienmitglieder hatten sich untereinander stets gut verstanden, weshalb unser Verhältnis großartig war.
Die einzigen fremden Gesichter waren Angehörige und Freunde von Jane, was mich jedoch keineswegs störte.
“Ich stelle sie dir beim Essen vor”, flüsterte ich Jamie ins Ohr, damit er sich nicht ausgeschlossen fühlte.
Henry hatte bereits in der vordersten Reihe auf der rechten Seite Platz genommen und blickte ungeduldig zu uns auf. Ich war froh, ihn so ausgelassen zu sehen. Immerhin konnte er diesen Tag vollkommen genießen, ohne von dieser ständigen Traurigkeit überwältigt zu werden.
Als unsere leibliche Mutter gestorben ist, war Henry gerade einmal 2 Jahre alt gewesen. Einerseits war es vermutlich von Vorteil für ihn, dass er kaum Erinnerungen an sie zurückbehalten hatte und somit nicht den gleichen Schmerz verspürte, wenn er ihren Namen hörte, wie ich.  Auf der anderen Hand hatte er jedoch nicht das Glück gehabt, viel Zeit mit seine Mutter zu verbringen und zu erkennen, was für eine einzigartige Frau sie gewesen war.
Für Henry war es immer schwer zu verstehen gewesen, weshalb er keine Mom mehr hatte, während all seine Kindergartenfreunde von ihrer eigenen Mutter abgeholt wurden. Dad und ich hatten uns stets bemüht, ihm die Wahrheit schonend beizubringen. Mittlerweile kannte Henry die grausamen Details und fragte mich hin und wieder nach Dingen, die sie ausgemacht hatten. Er interessierte sich dafür, wann Mom und Dad ihren ersten Kuss gehabt hatten und wollte von mir wissen, wie es sich angefühlt hatte, gemeinsam mit ihr zum See hinauszufahren, auf dem wir uns früher oft mit dem selbstgebauten Boot hatten treiben lassen. Ich wusste, dass Henry auf diese Weise versuchte, all die Momente aufzuholen, die er niemals mit ihr hatte erleben können.
Ihn jetzt, an der zweiten Hochzeit unseres Vaters, so sorglos und glücklich zu sehen, spendete meinem Herz ein wenig Trost.
“Sitzt du neben uns, Jamie?”, fragte Henry, und es war nicht zu überhören, wie sehr er es sich wünschte. Jamie schenkte ihm ein warmherziges Lächeln, welches mir zeigte, dass er sich über Henrys Zuneigung freute, und antwortete: “Natürlich sitze ich neben euch.”
Ich ließ mich auf dem Stuhl neben Henry nieder, woraufhin Jamie zu meiner Rechten Platz nahm.
Wir sprachen eine Weile über unterschiedliche Dinge, während sich allmählich alle Gäste zusammenfanden. Der Fotograf befand sich im Hintergrund und schien bloß darauf zu warten, das Brautpaar endlich ablichten zu können. Für die musikalische Untermalung sorgte eine Kombination aus Pianist, Gitarrist und Sängerin, die im Anschluss auch im Festsaal eine gute Stimmung verbreiten würde.
Mein Vater hatte sich bereits am weiß eingekleideten Tisch mit dem Hochzeitsredner versammelt und traf die letzten Vorbereitungen mit ihm. Mein Dad wirkte nervös und voller Aufregung, dennoch stand ihm die Freude ins Gesicht geschrieben.
Er hatte Jane kennengelernt, als er mit seinem besten Freund im Urlaub auf Kuba war. Sie hatte zu dieser Zeit mehrere Monate dort verbracht und in einer kleinen Bar gearbeitet, die mein Dad jeden Abend aufgesucht hatte, nicht zuletzt wegen Jane.
Gebürtig kam sie jedoch aus Atlanta und schien nichts dagegen zu haben, nach einigen Jahren inniger Freundschaft mit meinem Dad nach Chicago zu ziehen.
Ich war damals 14 Jahr alt gewesen und hatte Jane schnell gern gehabt, da sie ein wirklich großes Herz besaß. Henry hatte jedoch ein wenig mehr Zeit mit ihr verbringen können, da ich mein Studium vor einem Jahr begonnen hatte.
Ich wusste, dass sie meinem Dad eine gute Frau sein würde. Sie ergänzten sich perfekt.
In meinem Kopf hörte ich plötzlich die Stimme meiner Mutter, doch es waren keine zusammenhängenden Sätze, bloß einzelne Dinge, die sie mir immer zu sagen pflegte. Mit ihrer sanften Stimme kehrten Erinnerungen an sie zurück, von denen ich in vielen Nächten träumte.

Unexpected Love (boyxboy) Where stories live. Discover now