Kapitel 8

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⚠️ Triggerwarnung ⚠️
Dieses Kapitel beinhaltet das Thema häusliche Gewalt

Mit rasendem Herzen betrete ich das Büro meines Vaters. Sein finsterer Blick ist auf den Bildschirm seines Computers vertieft, welcher sich in den runden Gläsern seiner Lesebrille widerspiegelt.

„Barbara hat gesagt dass du mich sprechen willst", sage ich mit zittriger Stimme.

Sofort hebt mein Vater seinen Blick und sieht mich über seinen Bildschirm hinweg an, ehe er sich von seinem Bürostuhl erhebt und seine Brille zur Seite legt.

Seit dem Vorfall vor drei Tagen beim Abendessen hat mein Vater es gemieden, mir über den Weg zu laufen. Mein Essen hat er mir von Barbara aufs Zimmer bringen lassen und sogar als Carlos gestern Abend zum Abendessen da gewesen ist, hat mein Vater mich nicht gezwungen, dabei zu sein. Vermutlich fürchtet er meine, wie er es nennt, unangemessenen Bemerkungen, die ihm doch nur aus einem einzigen Grund unangenehm sind. Nämlich deshalb, weil sie der Wahrheit entsprechen.

„Du hast mich vor Carlos blamiert und absolut schlecht dastehen lassen", sagt mein Vater mit brodelnder Stimme und kommt mit geballten Fäusten auf mich zu. Verängstigt weiche ich ein Stück zurück. „Du hast keinen Respekt vor deinem Vater und ich kann nicht zulassen, dass du alles zerstörst, was diese Familie sich über Jahrzehnte hinweg mühsam aufgebaut hat!"

Er sagt es so, als sei ich längst kein Teil dieser Familie mehr. Und dennoch nutzt er mich weiter aus, um an das Geld zu kommen, das er so dringend braucht und welches er seiner eigenen Tochter vorzieht.

Es kostet mich all meinen Mut für mich selbst einzustehen, denn ich habe Angst vor dem, was mein Vater imstande ist zu tun. Aber ich kann und werde mein eigenes Leben nicht kampflos aufgeben. Ich möchte selbst entscheiden wann und wen ich eines Tages heirate, wo ich leben werde und ob ich das Haus verlasse.

„Du bist derjenige, der mit seinen betrügerischen Machenschaften alles in den Ruin getrieben hat!", werfe ich meinem Vater vor. Erschrocken von meinem Mut, schlucke ich. Eigentlich bin ich noch gar nicht fertig, doch bevor ich noch etwas hinzufügen kann, fliegt die Hand meines Vaters ungebremst auf mich zu und trifft mich im Gesicht.

Die starke Wucht bringt mich sofort zu Boden, wo ich durch den Schock und den pochenden Schmerz an meiner Wange regungslos liegen bleibe.

Tränen laufen mir über das Gesicht. Noch nie in meinem Leben hat mein Vater es gewagt mich zu schlagen. Doch da ihn das wohl noch nicht zufriedenstellt, holt er weit mit seinem Fuß aus, um mir einige Male kräftig in die Seite zu treten. Wimmernd krümme ich mich und verziehe das Gesicht.

„Du bist eine Schande für die ganze Familie", wirft mein Vater mir vor. „Ab heute wirst du gefälligst tun, was nötig ist, um diese Familie vor dem Ruin zu bewahren. Du wirst dich so benehmen, wie es sich gehört, ich möchte keine einzige Widerrede und keine schnippischen Antworten mehr von dir hören. Haben wir uns verstanden?!" Ich nicke kaum merklich.

Gelähmt vor Schmerzen liege ich am Boden. Ich bin unfähig mich zu bewegen, unfähig zu schreien, unfähig laut zu weinen. Ich liege einfach nur regungslos da und verstehe nicht, wieso Gott mich so bestraft. Weitere Tränen laufen mir über das schmerzende Gesicht und ich schließe die Augen, presse meine Lippen fest aufeinander.

„Steh auf", höre ich Barbaras Stimme und lasse mir von unserem Hausmädchen auf die Beine helfen. Mein Blick ist starr ins Nichts gerichtet, während Barbara mich aus dem Büro meines Vaters führt.

Mir wird klar, dass es keinen Ausweg aus dieser Situation gibt. Ganz gleich, wie sehr ich mich versuche zu wehren, ich werde Carlos trotzdem heiraten. Ich sollte aufhören dagegen anzukämpfen und stattdessen akzeptieren, dass ich verloren habe. Ich bin allein und habe versucht gegen den Rest der Welt zu kämpfen. Der Versuch ist von Anfang an zum Scheitern verurteil gewesen.

„Es tut mir so leid, was du durchmachen musst", flüstert Barbara leise, während sie kühlende Kompressen auf meinem Brustkorb verteilt und ich mir ein Kühlkissen an den schmerzenden Wangenknochen halte.

Obwohl ich Barbara wirklich gern habe, sage ich nichts. Der Schock darüber, was mein Vater mir angetan hat, sitzt zu tief. Jetzt verstehe ich auch, wie meine Mutter sich fühlen muss. Bis zum heutigen Tag hat mein Vater nämlich mit großer Wahrscheinlichkeit sie für jedes meiner Widerworte bestraft und sie hat es einfach über sich ergehen lassen, um mich vor seinem Zorn zu beschützen. Erst jetzt, wo ich am eigenen Leib erfahren habe, wie es sich anfühlt machtlos zu sein, verstehe ich, wieso sie sich seinem Willen fügt.

Mein Vater hat mich zwar immer gut behandelt, doch wieso hat sie mich nicht an der Hand genommen und ist mit mir abgehauen? Es hätte uns beiden so viel Leid erspart.

„Kann ich noch etwas für dich tun?", möchte Barbara wissen, als sie alle Kompressen verteilt hat.

„Ich wäre ehrlich gesagt gerne allein", sage ich, wobei meine Stimme nicht mehr als ein kraftloses Flüstern ist. Zu mehr als das bin ich nicht in der Lage. Barbara nickt verständnisvoll und erhebt sich von meiner Bettkante, woraufhin sie mein Zimmer verlässt.

Schmerzerfüllt verziehe ich mein Gesicht und beginne bitterlich zu schluchzen. Es tut sogar weh zu weinen. Wie ist es möglich, dass sich mein Leben binnen so kurzer Zeit in die pure Hölle verwandelt hat?

Das Schlimmste an all dem ist nicht einmal die erzwungene Hochzeit mit Carlos, sondern viel mehr das Verhalten meines eigenen Vaters. Es macht mir Angst, dass ein Mensch, den ich als Kind so vergöttert habe in der Lage dazu ist, mich sowohl psychisch und nun auch physisch so grausam zu behandeln.

Ich mag mir gar nicht ausmalen, wozu er dann erst in der Lage wäre, wenn das Geschäft zwischen ihm und Carlos durch mein unangemessenes Verhalten platzt.

Eine Weile liege ich einfach nur da und starre an die Decke, bis mir die müden Augen irgendwann zufallen.

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