Kapitel 46

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Blinzelnd öffne ich meine schweren Lider, als ich allmählich das Bewusstsein wiedererlange.

Erleichtert stelle ich fest, dass ich mich nicht länger in Pablos Gewalt befinde, sondern in Carlos Haus, wo ich in mehrere warme Decken eingewickelt auf dem großen Himmelbett in meinem Gästezimmer liege.

Für einen Augenblick starre ich regungslos an die Decke, ehe ich es wage meinen Blick durch den Raum schweifen zu lassen.

Carlos ist nicht da.

Warum ist er nicht an meiner Seite? Wo ist er?

Stattdessen sitzt Barbara schlafend an meinem Bett. Ihr Kopf ruht auf meiner Matratze.

Mein Blick wandert zu meinen verbundenen Handgelenken. Obwohl ich im Augenblick keinerlei Schmerzen empfinde, verziehe ich das Gesicht, als ich all die Erinnerungen dieses schrecklichen Abends erneut Revue passieren lasse.

Carlos hätte sterben können. Ich hätte sterben können.

Sucht ihn erneut das schlechte Gewissen heim und wagt er es deshalb nicht mir unter die Augen zu treten?

Eine Träne löst sich aus dem Winkel meiner Augen und bahnt sich ihren Weg über meine Wange. Sofort wische ich sie mit meinem Handrücken fort.

Barbara hebt ihren Kopf. „Du bist wach", stellt die Frau mittleren Alters fest. An ihrer Stirn kleine ein Pflaster. Ihre braunen Augen strahlen Erleichterung aus, doch zugleich erkenne ich, wie mitgenommen sie ist.

„Wie geht es dir?", frage ich und deute auf das Pflaster an ihrer Stirn. Die Bilder, wie sie blutend und bewusstlos auf dem Küchenboden liegt, kommen mir in den Sinn.

„Wie es mir geht ist nebensächlich", winkt die Frau mit den braunen Haaren ab. „Wie geht es dir? Hast du Schmerzen?" Ich spüre noch immer das Pochen in meiner Schläfe, die durch den Schlag der Waffe zustande kam. Ansonsten nehme ich keine Schmerzen wahr.

Ich schüttele bloß mit dem Kopf.

„Wo ist Carlos?", will ich stattdessen wissen und versuche mich aufzurichten, doch ich fühle mich noch immer zu schwach, weshalb ich liegen bleibe.

„Er.. ist ziemlich mitgenommen", teilt Barbara mir mit, doch sie scheint genauso gut wie ich zu wissen, dass Carlos es meidet in meiner Gegenwart zu sein, weil er sich Vorwürfe macht.

Ich will nicht, dass unsere Beziehung durch das, was geschehen ist, negativ beeinflusst wird. Das würde mir das Herz brechen.

„Ich liebe ihn", flüstere ich mit Tränen in den Augen.

„Ich bin mir sicher, dass er dich auch liebt..", versucht Barbara mich davon zu überzeugen.

„Warum ist er dann nicht hier?", will ich wissen und kann die Enttäuschung, die ich empfinde, nicht verbergen.

„Ich bin hier", meldet sich Carlos zu Wort, der im Türrahmen steht und in meine Richtung sieht.

Das Herz in meiner Brust setzt einen Schlag aus. Unsere Blicke treffen einander und es fällt mir schwer, seinem Blick standzuhalten, denn in seinen grünen Augen spiegelt sich purer Schmerz wider.

„Ich lasse euch allein", teilt Barbara uns mit und erhebt sich von dem Stuhl, der an der Seite meines Bettes steht. Daraufhin verlässt sie mit einem letzten prüfenden Blick in Carlos und meine Richtung das Gästezimmer.

Schweigend steht Carlos noch immer einige Meter entfernt von mir da und sieht mich an. Seine Augen zieren dunkle Ränder und sind geschwollen. Hat er geweint?

„Sag doch etwas", flehe ich Carlos an. Dieses unbefriedigende Schweigen zerrt an meinen Nerven. Ich will wissen, was in seinem Kopf vor sich geht.

„Ich werde mir selbst niemals verzeihen können, was du meinetwegen durchmachen musstest", setzt Carlos an. Seine Stimme wirkt zittrig, doch er fängt sich schnell wieder. „Ich habe dir versprochen, dich zu beschützen. Und ich habe versagt.."

„Du hast nicht versagt", erwidere ich sofort und stemme mich mit meinen Ellenbogen weiter nach oben. „Hättest du versagt, wäre ich jetzt tot. Aber ich lebe."

Carlos scheint einen Augenblick angestrengt nachzudenken, ehe er seufzend seinen Blick von mir abwendet und auf den Boden starrt. „Ich habe Angst, Emilia. Ich will dich nicht verlieren.. das würde mich umbringen", gesteht Carlos mir. Es ist selten und ungewohnt ihn von dieser verletzlichen Seite zu sehen. Aber ich bin froh, dass Carlos ehrlich zu mir ist.

„Du wirst mich nicht verlieren", erwidere ich und schüttele mit dem Kopf.

Carlos nähert sich meinem Bett und setzt sich auf den Stuhl, auf dem zuvor Barbara gesessen hat. Er greift nach meiner Hand und haucht mir einen sanften Kuss auf den Handrücken. „Es tut mir leid, was du meinetwegen heute alles durchmachen musstest. Du hättest nie in diese Sache mit reingezogen werden dürfen", teilt Carlos mir mit und massiert sich mit Daumen und Zeigefinger seinen Nasenrücken.

Ich denke daran, was Pablo mir erzählt hat; dass Carlos Vater und sein Onkel das Leben seiner Familie auf dem Gewissen haben.

„Ich muss dich etwas fragen..", beginne ich. Carlos hebt seinen Blick, um mir wieder in die Augen zu sehen. „Wusstest du, dass dein Vater und dein Onkel angeblich etwas mit dem Tod von Pablos Familie zutun haben sollen?"

Carlos sieht mich verwirrt an. „Wovon redest du?", erkundigt er sich bei mir und zieht nachdenklich die Augenbrauen zusammen.

Ich erzähle Carlos, was Pablo mir erzählt hat. Angefangen von den Vorwürfen gegen seinen Vater und seinen Onkel über den Racheplan und den Unfall, den Pablo damals inszeniert hat und bei dem Carlos Vater starb, während Carlos schwer verletzt im Koma lag.

„Ich wusste von all dem nichts", versichert Carlos mir und seufzt hörbar. „Aber jetzt, wo du es sagst, ergibt das alles sogar einen Sinn. Pablo wollte Rache für den Tod seiner Familie"

Wollte?

„Wo ist Pablo jetzt?", frage ich verwirrt.

Carlos senkt den Blick. „Lucian hat ihn erschossen. Er ist tot", teilt er mir mit und ich spüre, wie sich eine Last von meinem Herzen löst. Ich wünsche niemandem den Tod, aber Pablo hätte nicht gezögert Carlos zu töten. Und mich.

„Also ist es vorbei?", flüstere ich mit brüchiger Stimme.

Carlos nickt. „Es ist vorbei", stimmt er mir zu und wirkt sichtlich erleichtert. Er greift nach meinem Gesicht, um mir mit seinem Daumen die Tränen fortzuwischen, die sich ihren Weg über meine Wangen bahnen.

„Ich liebe dich, Carlos..", sage ich. Ich habe noch nie zuvor in meinem Leben jemanden so sehr geliebt, wie ich Carlos liebe.

„Ich liebe dich auch, belleza", erwidert Carlos und haucht mir einen sanften Kuss auf die Lippen, den ich mit geschlossenen Augen erwidere.

Carlos legt sich zu mir ins Bett und zieht mich in seine Arme. Ich platziere meinen Kopf an seiner Brust und lausche seinem regelmäßigen Atem und dem Pochen seines Herzens, bis ich in einen tiefen Schlaf sinke.

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