Kapitel 49

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Es ist das erste Mal seit Monaten, dass ich wieder in das Haus zurückkehre, in dem ich aufgewachsen bin und in dem mein Vater mich beinahe tot geprügelt hätte. Da ich nun offiziell mit Carlos verlobt bin und bei ihm leben werde, möchte ich noch einige meiner Sachen von zu Hause holen.

„Du wirkst angespannt", stellt Carlos mit einem Blick in meine Richtung fest, als er mit seinem schwarzen Mercedes an einer roten Ampel hält. Er löst seine Finger vom Lenkrad und greift nach meiner Hand, welche auf meinem Schoß liegt. „Wir können umkehren, wenn du dich unwohl fühlst", schlägt er mir vor. Sanft streichelt er mit seinem Daumen über meinen Handrücken.

Doch ich schüttele entschlossen mit dem Kopf. „Ich kann nicht ewig vor meinen Problemen davonlaufen. Außerdem ist er nicht mehr da, um mir wehzutun", murmele ich und erwidere Carlos Blick. Seine grünen Augen bohren sich tief in meine braunen, ehe er seine Hand von meiner nimmt und stattdessen nach meinem Gesicht greift.

„Okay", sagt er und beugt sich zu mir herüber, um mir einen Kuss auf die Lippen zu hauchen. Daraufhin schlingt Carlos seine Finger wieder um das Lenkrad und richtet seine Augen wieder auf die Ampel, die gerade auf grün umspringt.

Der Wagen setzt sich wieder in Bewegung und nach einer weiteren zehnminütigen Autofahrt erreichen wir mein Elternhaus, in dem Barbara und meine Mutter vor wenigen Tagen wieder eingezogen sind.

Alles sieht aus wie immer und doch fühlt es sich anders an, hier zu sein.

Fremd.

Nach all den Jahren, die ich hier verbracht habe, fühlen sich diese Mauern dennoch nicht mehr länger wie mein Zuhause an.

Carlos parkt den Wagen unmittelbar vor der Haustür und schaltet den Motor aus. Daraufhin schnallt er sich ab und öffnet die Tür, um auszusteigen. Er hält jedoch sofort inne, als er bemerkt, dass ich mich nicht rühre und stattdessen aus dem Beifahrerfenster auf das Haus blicke.

„Alles in Ordnung, belleza?", erkundigt Carlos sich besorgt. Der Klang seiner Stimme holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück und wirkt gleichzeitig beruhigend auf mich.

Ich schlucke den Kloß herunter, der sich in meinem Hals gebildet hat. Daraufhin nicke ich.

„Es ist alles gut", versichere ich ihm und ignoriere das leichte Ziehen in meinem Bauch, welches ich seit einigen Tagen immer regelmäßiger verspüre. „Lass uns aussteigen"

Gemeinsam mit Carlos steige ich aus dem Wagen aus und als wir gerade auf die Haustür zugehen, öffnet sich diese bereits und meine Mutter begrüßt sowohl mich als auch Carlos mit einer herzlichen Umarmung.

„Wir haben schon angefangen deine restlichen Klamotten einzupacken", teilt Barbara mir mit, die hinter meiner Mutter im Flur auftaucht. Beide Frauen sehen unbeschwert und frei aus, was mich mehr als glücklich macht. Es fühlt sich gut an, meine Mutter mit einem Lachen im Gesicht zu sehen. Das kam in den letzten Monaten aber auch Jahren deutlich zu selten vor.

„Danke", sage ich und schlinge meine Arme um Barbara, die meine Umarmung lächelnd erwidert.

Obwohl ich genau weiß, dass mein Vater im Gefängnis sitzt, lässt mich die Vorstellung nicht los, dass er jeden Augenblick aus seinem Büro gestürmt kommt.

„Wir sollten anfangen", schlage ich ein wenig zu motiviert vor und löse mich aus Barbaras und meiner Umarmung, um Carlos anzusehen. Obwohl ich mich freue meine Mutter und Barbara wiederzusehen, möchte ich nicht eine Sekunde länger als nötig in diesem Haus verbringen.

Gemeinsam mit Carlos begebe ich mich nach oben in mein Zimmer, wo - abgesehen von meinem leeren Kleiderschrank - alles noch genau so aussieht, wie ich es hinterlassen habe. Während Carlos sich bereits an einem der gepackten Kartons zu schaffen macht, um diesen zu schließen, bleibe ich wie angewurzelt im Türrahmen stehen und starre an jene Stelle meine Zimmers, an der ich auf dem Boden lag, nachdem mein Vater mich so grausam zugerichtet hat, dass ich fast erstickt wäre.

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