Kapitel 35

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Obwohl das Essen herrlich riecht, stochere ich bloß darin herum, als ich mit Barbara, meiner Mutter und Carlos am selben Tisch sitze und zu Abend esse. Während Barbara und meine Mutter ihre Lüge einfach weiterleben, ist es für mich fast unerträglich überhaupt mit ihnen am selben Tisch zu sitzen und ihnen dabei zuzusehen.

Es fällt mir schwer die Wut und Enttäuschung, welche sich in mir aufgestaut hat, vor ihnen zu verbergen und ich bin mir sicher, dass es nicht viel braucht, bis all diese Emotionen aus mir herausbrechen.

„Schmeckt es dir nicht?", fragt Barbara, als ihr auffällt, dass ich mein Essen kaum angerührt habe. Mit aufeinander gepressten Lippen umklammere ich die Gabel in meiner Hand ein wenig fester.

Wie konnten sie mir mein Leben lang ins Gesicht lügen und sich nicht einmal ansatzweise dafür schlecht fühlen oder schämen?

„Ich bin nicht hungrig", erwidere ich mit zittriger Stimme.

„Liegt es am Lachs? Als Kind hast du Lachs schon nicht gerne gegessen", erinnert Barbara sich und zwinkert mir über den Tisch hinweg zu.

„Eigentlich liegt es daran, dass ich mein Leben lang ausgerechnet von den Menschen belogen wurde, denen ich mit am meisten vertraut habe", platzt es aus mir heraus, da ich es nicht länger in mir halten kann.

Das Lächeln auf Barbaras Lippen verblasst, während ich im Blick meiner Mutter, wenn man sie denn so nennen will, pure Panik erkenne.

„Wovon redest du?", fragt Barbara, als wüsste sie nicht ganz genau, wovon ich rede. Ich sitze ihr unmittelbar gegenüber und trotzdem besitzt sie die Dreistigkeit mir ins Gesicht zu lügen.

Plötzlich spüre ich Carlos Hand, die unter dem Tisch nach meiner greift und leicht zudrückt, als wolle er mir damit symbolisieren nichts zu sagen. Doch ich bin zu wütend, als dass ich jetzt schweigen könnte und weiter zusehe, wie ich belogen werde.

„Wovon ich rede?", wiederhole ich Barbaras Frage und lache ungläubig auf. Dabei schüttele ich Carlos Hand ab und schieße von meinem Stuhl nach oben. „Ich rede davon, dass du meine leibliche Mutter bist und es wagst mir weiterhin ins Gesicht zu lügen"

„Du hast es ihr erzählt?", fragt Barbara nun Carlos, der mit gesenktem Blick neben mir sitzt und seinen Nasenrücken massiert.

„Das war nicht nötig", erwidere ich und ignoriere die Tatsache, dass die Frau, die sich die vergangenen 20 Jahre als meine Mutter ausgegeben hat, mal wieder in Tränen ausgebrochen ist. „Ich habe euer Gespräch letzte Nacht gehört"

Nun erhebt auch Barbara sich von ihrem Stuhl.  „Glaub mir-", setzt Barbara an und will über den Tisch hinweg nach meinem Gesicht greifen, doch ich trete einen Schritt zurück. Kopfschüttelnd blicke ich in Barbaras braune Augen, die ich von ihr geerbt habe. Genau wie das braune Haar, welches sie hochgesteckt trägt.

„Dir glauben?", falle ich ihr ins Wort und schnaube verächtlich. „Wohin das geführt hat, sehen wir ja jetzt.." Meine Stimme zittert und meine Brust hebt und senkt sich unregelmäßig. 

Da ich es nicht länger aushalte mit ihnen im selben Raum zu sein, pfeffere ich meine Gabel auf den Tisch und stürme aus dem Esszimmer. Ich laufe die Treppen nach oben in mein Gästezimmer, wo ich mich auf das Himmelbett werfe und die Beine an meinen Körper ziehe.

Innerlich habe ich gehofft, dass sich all das nur als ein großes Missverständnis entpuppt. Doch nach diesem Gespräch mit Barbara habe ich nun die ungewollte Gewissheit; ich bin nicht die Tochter meiner Mutter, sondern von Barbara. Carlos wusste es und hat es mir nicht erzählt, aber ihm mache ich keinerlei Vorwürfe mehr. Es lag in ihrer Verantwortung mir die Wahrheit zu erzählen, nachdem ich mein Leben lang zu Ehrlichkeit erzogen wurde.

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