Kapitel 17

14.9K 411 63
                                    

Als ich am darauffolgenden Morgen blinzelnd meine Augen öffne, liegt Carlos längst nicht mehr neben mir.

Sogar sein Kissen und seine Decke sind verschwunden, sodass nichts mehr den Anschein erweckt, dass er je hier gewesen ist. Doch das Laken hat noch immer seinen unverkennbaren Geruch an sich haften.

Langsam setze ich mich auf und blicke zu der Tür, die einen Spalt weit offen steht. Erst jetzt nehme ich das Klappern von Geschirr wahr, das von unten zu mir nach oben dringt. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es bereits kurz vor zehn ist.

Ich binde mir meinen Morgenmantel um, ehe ich das Zimmer verlasse. Der Holzboden gibt verräterische Laute unter meinen Füßen von sich, als ich die Treppen hinabsteige und mich Carlos nähere. Er steht mit dem Rücken zu mir und ist gerade dabei, Orangen auszupressen. Als er mich bemerkt, hält er inne, dreht sich jedoch nicht zu mir um.

„Du bist wach", stellt er fest und fährt mit dem Auspressen der Orange fort.

Obwohl Carlos es nicht sieht, nicke ich und schweife mit den Augen zu dem gedeckten Esstisch.

„Du hast Frühstück vorbereitet", stelle ich überrascht fest. Auf dem Tisch steht eine Schüssel mit Rührei, ein Korb mit frischen Brötchen, sowie Brotaufstrich und weitere Beläge. Offensichtlich hat Carlos all diese Dinge besorgt, während ich noch geschlafen habe.

„Sieht so aus", erwidert Carlos und füllt zwei Gläser mit dem soeben frisch gepressten Orangensaft, welche er schließlich auf den Tisch stellt. „Setz dich", fordert er mich beiläufig auf. Ohne zu zögern komme ich dieser Aufforderung nach und setze mich auf einen der beiden Stühle.

„Seit wann bist du wach?", frage ich Carlos.

„Seit ein paar Stunden", erwidert Carlos, der sich nun ebenfalls an den Tisch setzt. „Nimm dir ein Brötchen"

Seiner Bitte nachkommend nehme ich eines der Brötchen, welches noch lauwarm ist, und schneide es auf, um beide Hälften mit einer dünnen Schicht Butter zu bestreichen. „Du hast dir wirklich viel Mühe gegeben", sage ich anerkennend und greife nach dem Glas mit der Erdbeermarmelade. Amüsiert beobachtet Carlos mich dabei, wie ich erfolglos versuche das Glas zu öffnen.

„Gib her", sagt er und streckt seine Hand nach dem Glas aus.

„Nein, ich krieg das hin", erwidere ich und schüttele meine schmerzende Hand aus, um kurz darauf einen weiteren Versuch zu unternehmen den Deckel aufzuschrauben. Doch auch dieser Versuch bleibt ohne Erfolg.

Mit erhobenen Augenbrauen und einem Schmunzeln auf den Lippen mustert Carlos mich. Seufzend schiebe ich ihm das Glas rüber und sehe zu, wie er es mit einer einzigen, lockeren Drehung aus dem Handgelenk öffnet.

„Ich habe es vorgelockert", sage ich überzeugt.

„Natürlich", erwidert Carlos belustigt und stellt das offene Erdbeermarmeladenglas vor mir ab.

„Danke", seufze ich und bestreiche beide meiner Brötchenhälften mit Marmelade. Dabei entgeht mir nicht, wie Carlos mich unentwegt über den Tisch hinweg beobachtet.

„Danke", sage ich erneut, woraufhin Carlos verwirrt die Augenbrauen hebt. „Wegen heute Nacht.." Für einen Augenblick werden seine sonst stets angespannt wirkenden Gesichtszüge weicher.

„Was hast du geträumt?", möchte Carlos wissen, wobei er seine grünen Augen nicht von mir abwendet.

Nervös rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her. Räuspernd greife ich nach dem Glas und nippe an dem Orangensaft, den Carlos zuvor frisch gepresst hat. Der intensive, süßlich-saure Geschmack benetzt meine Zunge und ich verziehe das Gesicht. „Das spielt keine Rolle", erwidere ich und schüttele mit dem Kopf.

„Sag es mir", fordert Carlos mich auf.

Seufzend wende ich meinen Blick von Carlos ab und hoffe, dass er merkt, dass ich nicht darüber sprechen möchte. Doch stattdessen greift Carlos über den Tisch hinweg nach meinem Gesicht und hebt es, sodass ich ihm wieder in die Augen sehen muss.

Er sagt es zwar nicht laut, doch in meinem Kopf höre ich seine Stimme, die mich auffordert nie den Blick von ihm abzuwenden, wenn er mit mir spricht. Jedoch ist das gar nicht so leicht, wie es sich anhört, denn jedes Mal, wenn er mich so intensiv ansieht, fühlt es sich an, als würde er soeben alle meiner tiefsten Geheimnisse lesen.. alle. Und das erfüllt mich mit einer Heidenangst.

„Es ist viel passiert..", beginne ich und schlucke schwer, als Carlos mich weiterhin nicht loslässt und stattdessen auffordernd die Augenbrauen hebt. „Genauso wie du mir nicht von deiner Mutter erzählen möchtest, möchte ich dir auch nicht von meinen Alpträumen erzählen.. es ist sowieso Vergangenheit"

„Nick?", hakt Carlos dennoch nach.

Vielleicht kann er doch meine Gedanken lesen.. Allein die Vorstellung schreckt mich, sodass ich mein Gesicht sofort aus Carlos Griff befreie und schließlich doch mit fest aufeinander gepressten Lippen meinen Blick von meinem Gegenüber abwende. „Hast du ernsthaft etwas für ihn empfunden?"

„Nein", sage ich ein wenig zu schnell. Ein verräterisches Stechen in meinem Herzen, welches Carlos glücklicherweise nicht fühlen kann, erinnert mich an die Gefühle, die ich für Nick empfunden habe.

Carlos schnaubt und lehnt sich mit vor der Brust verschränkten Armen in seinem Stuhl zurück, um mich verständnislos zu mustern. „Du empfindest immer noch etwas für ihn, oder?"

Schweigend betrachte ich mein Brötchen, von dem ich bisher nicht einen Bissen genommen habe und vermutlich auch nicht mehr nehmen werde, da mir der Appetit mit diesem Thema bereits vergangen ist.

Ich glaube nicht, dass ich noch etwas für Nick empfinde. Das, was er mir angetan hat, war ein zu großer Vertrauensbruch.

„Ich fasse es nicht", seufzt Carlos beinahe schon urteilend. „Der Typ wollte dich nur benutzen und du hegst weiterhin Gefühle für ihn?" Verwirrt von Carlos Wut runzele ich die Stirn.

„Ich habe von Nick geträumt", gestehe ich ihm im nächsten Atemzug. „Davon, wie er mich an jenem Abend bedrängt hat" Seufzend schließe ich meine sich allmählich mit Tränen füllenden, brennenden Augen. Es fühlt sich verdammt scheiße an über etwas zu reden, worüber man nicht reden möchte. Es ist erniedrigend. „Und dann habe ich von meinem Vater geträumt.. wie er mich verprügelt hat, weil ich in seinen Augen eine solche Enttäuschung bin"

„Verzeih mir", höre ich Carlos Stimme zu mir hindurch dringen. „Es steht mir nicht zu über dich zu urteilen.. du hast in den vergangenen Wochen wirklich mehr als genug leiden müssen"

Zögernd öffne ich meine Augen wieder und richte sie auf Carlos, der meinen Blick mit ernstem Ausdruck erwidert.

„Ich gebe dir ein Versprechen", beginnt er. „Ich lasse nicht zu, dass dir je wieder wehgetan wird. Vor allem nicht von deinem Vater. Ich werde dem nicht tatenlos zusehen. Sollte so etwas wie das noch einmal vorkommen, erwarte ich von dir, dass du mir sofort Bescheid gibst. Verstanden?"

Carlos grüne Augen huschen hektisch auf meinem Gesicht hin und her. „Verstanden?", möchte er erneut wissen, diesmal mit deutlich mehr Nachdruck.

Ich nicke. „Verstanden", murmele ich leise. Carlos zieht seine Hand zurück und beginnt schweigend sein Brötchen zu essen.

Make me love you Where stories live. Discover now